Lichtmeß

Von | Februar 9, 2021
Darbringung Christi im Tempel

Gnade sie mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus. Amen.

Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will. Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist. Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, – darum bin ich vor dem HERRN wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.

Jesaja 49, 1-6

HERR, segne Dein Wort an uns, Dein Wort ist die
Wahrheit. Amen.

Liebe Gemeinde!
Heute endet der Weihnachtsfestkreis im Kirchenjahr. 40 Tage nach der Geburt des HERRN bringen Maria und Joseph gemäß dem Gesetz des Mose den Knaben Jesus zum Tempel nach Jerusalem. Zwei Gesetze mußten sie erfüllen.

  1. Jesus war eine männliche Erstgeburt. Deshalb mußte er
    im Tempel dargestellt und, wie es heißt, ausgelöst werden. Im 2. Buch Mose 13, 15 wird uns gesagt, daß die männliche Erstgeburt Gott gehört. Doch Gott verlangt nicht das Kind als Opfer, sondern gegen ein Opfer bekommen die Eltern ihren Sohn wieder zurück – er wird „ausgelöst“. (2. Mose 13, 2.12.15)Es war eine Erinnerung daran, daß bei der Rettung Israels aus Ägypten Gott durch seine Engel die Erstgeburten Ägyptens tötete, als 10. ägyptische Plage. Diese Darstellung im Tempel führte dem Volk Israel Jahrhunderte lang immer wieder vor Augen, daß seine Freiheit einen Preis hatte. Die Eltern wurden sozusagen für einen Moment in die Situation der Eltern Ägyptens versetzt, die ihre männliche Erstgeburt hergeben mußte. Und es war zugleich ein Weichenstellung Gottes, daß einmal in Israel die Befreiung und Rettung auch ein Opfer kosten würde: Das Opfer des Sohnes Gottes.
  2. Das andere Gesetz war allgemeiner: Nach der Geburt eines Jungen war die Mutter 40 Tage vom Gottesdienst ausgeschlossen. Danach sollte ein Opfer zur Reinigung dargebracht werden. Wenn eine Tochter geboren wurde, sollte das Opfer nach 80 Tagen dargebracht werden. (3. Mose 12, 1-8). Auch war vorgeschrieben, wenn die Eltern sich nicht ein Lamm leisten konnten, dann sollten zwei Tauben geopfert werden. Maria und Joseph gehörten also zu den Armen, denn sie opferten Tauben.
    Diese Opfer waren im Alten Testament. Im Neuen Testament haben sie aufgehört. Nicht, weil sie ein Fehler oder ein Irrtum waren, oder weil wir Menschen schlauer geworden wären, sondern, weil Jesus das Gesetz erfüllt hat.
    Jesus wurde in ein Volk hineingeboren, in dem der Unterschied und die Zuordnung von Mann und Frau heilig war. Es war sofort von immenser Bedeutung, ob eine Junge oder ein Mädchen geboren wurde. Das hat sich durch die Jahrhunderte tief eingeprägt. Das Evangelium kam ans Licht in einem Raum, wo Gott selbst zwischen Mann und Frau unterschieden hat. Ohne diese Unterscheidung hätten wir kein Evangelium.
    Ebenso, wie diese beiden Gesetze, war das Volk Israel getragen und erfüllt von der Hoffnung, die Jesaja ihm verkündigt hat. Damit kommen wir zu unserem Predigttext.
    Wenn wir ihn hören, dann müssen wir behalten, daß diese Worte über 500 Jahre vor Christus verkündigt wurden, also gute 500 Jahre gehört, bedacht und geglaubt wurden in Israel.
    „Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.“ – Hier spricht ein ICH mit einem ganz gewaltigen Selbstbewußtsein. „Hört mir zu, ihr Inseln!“ – Ich habe etwas zu sagen, was euch alle angeht. Zwischen mir und euch ist zwar das große, wilde, gefährliche Meer. Doch was ich sage, ist größer und stärker als das Meer und seine Stürme und Wogen. Inseln sind isoliert, abgetrennt. Das ist jetzt vorbei.
    Das muß ein gewaltiges Wort sein, stärker als das Meer! Ein Wort, das jede Isolation und Trennung durchbricht und überwindet.
    Doch es ist kein blutrünstiger Weltherrscher, der mit Waffen und Medien oder Finanzen alles unter sich beugen will. Es ist kein Eroberer. Denn er sagt: „Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.“ Er ist gehorsam, er ist ein Diener. Und zwar nicht des Mammons, auch nicht der Wünsche von uns Menschen, sondern der Schöpfer Himmels und der Erden hat ihn berufen, beauftragt. Er ist Knecht Gottes, und Knecht keines einzigen Menschen. Nur Gott hat ihm etwas zu sagen. Von Anfang an, von Geburt an. Sein Weg liegt klar vor ihm.
    Im Neuen Testament sagt Jesus im Johannes-Evangelium: „Die Werke, die mir der Vater gegeben hat, daß ich sie vollende, eben diese Werke, die ich tue, zeugen von mir –also beweisen – daß mich der Vater gesandt hat.“ (Johannes 5, 36). Und in 14,10: „Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir wohnt, der tut die Werke.“ Dieser Knecht also zu keinem einzigen Zeitpunkt eine menschliche Entscheidung getroffen, Gottes Knecht zu sein. Schon vor seiner Geburt, im Mutterleib, steht das alles fest. Aber nicht als etwas fremdes, was ihm zwingt gegen seinen Willen. Schon seine Menschwerdung ist Gehorsam, Einwilligung in seinen Auftrag, seine Sendung.
    Das ist ein einmaliger, besonderer Diener Gottes, der sich da hören läßt!
    „Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht,
    mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will.“
    Ein Mund wie ein scharfes Schwert. Er spricht, und durchdringt allen Schein, alle Konstruktionen, hinter denen wir Menschen uns vor Gott verstecken. Sein Wort ist seine Waffe. Mit dem Wort kämpft er, mit dem Wort erreicht er sein Ziel, mit dem Wort übt er seine Macht aus.
    Und das ist unsere große Hoffnung. Das wir gerettet werden durch Anrede. Nicht durch Operationen, wo wir nicht wissen, was dann von uns übrigbleibt. Nicht durch einen großen Umbau, wo wir nie wissen, ob wir endlich gut genug sind. Dieser Knecht spricht, und alles verliert Macht über uns. Darauf hat Israel gehofft, und sich danach gesehnt.
    Im Evangelium hören wir wiederholt, daß Jesus mit Machtworten die Komplexe und Knoten, die arme Menschen so sehr knechten, daß sie oft ins Feuer und oft ins Wasser fallen, anherrschte, anfuhr und rausschmiß. (Matthäus 17, 15. 18, und oft).
    Der Knecht sagt auch, daß Gott ihn „mit dem Schatten seiner Hand bedeckt und zum spitzen Pfeil gemacht und in seinem Köcher verwahrt hat.“ Der Knecht erscheint wie ein normaler Mensch. Doch er wird begleitet von einer ungreifbaren Macht. Ein Schatten ist scheinbar nichts. Aber da ist die Hand, die einen Schatten hat. Dieser Knecht ist so sehr und ganz UNTER Gott, daß Gott ganz da ist, wo der Knecht ist.
    Im Evangelium hören wir immer wieder, daß man Jesus fangen und verhaften wollte, aber „er ging mitten durch sie hinweg“ (Lukas 4, 30); „niemand legte die Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen“ (Johannes 7, 30. 44). Er geht seinen Weg, und wie ein scharfer Pfeil hält ihn nichts auf, bis er sein Ziel trifft.
    Doch der Knecht spürt den Widerstand, den er überwindet auf seinem Weg. Der Widerstand ist für ihn eine Last, eine große Last:
    „Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist.“
    Es scheint alles sinnlos zu sein. Es scheint alles ins Nichts zu gehen. Die Menschen, für die der Knecht sich einsetzt und opfert, nehmen es nicht an. Sie sehen nicht ein, daß sie Hilfe brauchen, oder sie trauen dem Knecht nicht zu, daß er helfen kann. „O du ungläubige und verkehrte Art“, ruft Jesus einmal aus: „Wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?“ (Matthäus 17, 17). Der Eigenwille, die Blindheit, die Selbstgefälligkeit der Menschen ist riesig. Sie überschätzen sich völlig und ahnen nicht, wie sie vor Gott dastehen. Der Knecht muß das tragen. Unsere Dummheit trägt er als seine Last, die ihn drückt, bis er Blut schwitzt, weil er nicht aufgibt. (Lukas 22,44).
    Doch der Knecht ist nicht von uns Menschen abhängig. Er tut es um Gottes willen: „Wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist.“ Seine Liebe zu den Menschen hat ihren Grund in sich selbst. Darum hört diese Liebe nicht auf. Gott wird ihm Recht geben, und der ganzen Welt klarmachen, daß er Gottes Willen vollbracht hat, und nicht seine Gegner.
    Wie diese Rechtfertigung des Knechts aussehen sollte, das konnte man sich in Israel nicht vorstellen. Sie mußte aber kommen. Im Neuen Testament wissen wir, daß das die Auferstehung Jesu von den Toten war. Damit hat Gott klargemacht, daß Sein Knecht alles richtig gemacht hat.
    „Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, daß ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, – darum bin ich vor dem HERRN wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –, er spricht: Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.“ – Der Knecht soll ein Wunder vollbringen: Das Volk Israel wieder vollständig machen. Gute 200 Jahre vor Jesaja hatten die Assyrer 10 der 12 Stämme Israel vertrieben und vernichtet. Und was von ihnen übrig war, war mit den beiden bleibenden Stämmen verfeindet. Das Volk Gottes hatte sein Land verloren, und wurde in alle Welt zerstreut. Andere hatten die Macht über sie. – Im Evangelium hören wir, wie Jesus immer wieder zwischen Galiläa im Norden, und Juda im Süden unermüdlich unterwegs war. Auch, daß er bei den Samaritern war. So hören wir in Matthäus 4: „Es folgte ihm eine große Menge nach – aus Galiläa, aus den Zehn Städten, aus Jerusalem, aus Judäa und von jenseits des Jordans“ (4, 25). Die verlorenen, zerstrittenen und verstreuten Stämme Israels kamen wieder zusammen! Und wie erreicht der Knecht Gottes dieses Wunder, das keine Politik erreichte? Durch Heilung und durch Predigt. Durch Gnade und Hingabe.
    Das ist schon ein Wunder. Doch: Wer Israel wieder zusammenkriegt, der schafft auch alle anderen Völker: „Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.“ Gottes Licht für die gesamte Menschheit. Simeon sagt es zu dem 40 Tage alten Kinde: „Ein Licht, zu erleuchten die Heiden.“ Und Jesus hat sich auch ausdrücklich so verstanden: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“(Johannes 8, 12).

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Beitragsbild: Giovanni Bellini, Darbringung Christi im Tempel, etwa 1490 bis 1500