4. Passionsandacht


69 Petrus aber saß draußen im Hof; da trat eine Magd zu ihm und sprach: Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa.
70 Er leugnete aber vor ihnen allen und sprach: Ich weiß nicht, was du sagst.
71 Als er aber hinausging in die Torhalle, sah ihn eine andere und sprach zu denen, die da waren: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth.
72 Und er leugnete abermals und schwor dazu: Ich kenne den Menschen nicht.
73 Und nach einer kleinen Weile traten hinzu, die da standen, und sprachen zu Petrus: Wahrhaftig, du bist auch einer von denen, denn deine Sprache verrät dich.
74 Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht. Und alsbald krähte der Hahn.
75 Da dachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich.
1 Am Morgen aber faßten alle Hohenpriester und die Ältesten des Volkes den Beschluß über Jesus, ihn zu töten,
2 und sie banden ihn, führten ihn ab und überantworteten ihn dem Statthalter Pilatus.
3 Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, daß er zum Tode verurteilt war, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Ältesten zurück
4 und sprach: Ich habe Unrecht getan, daß ich unschuldiges Blut verraten habe. Sie aber sprachen: Was geht uns das an? Da sieh du zu!
5 Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich.
6 Aber die Hohenpriester nahmen die Silberlinge und sprachen:
Es ist nicht recht, daß wir sie in den Gotteskasten legen; denn es ist Blutgeld.
7 Sie beschlossen aber, den Töpferacker davon zu kaufen zum Begräbnis für Fremde.
8 Daher heißt dieser Acker Blutacker bis auf den heutigen Tag. 9 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht: »Sie haben die dreißig Silberlinge genommen, den Preis für den Verkauften, der geschätzt wurde bei den Israeliten,
10 und sie haben das Geld für den Töpferacker gegeben, wie mir der Herr befohlen hat« (Jer 32,9; Sach 11,12-13).
11 Jesus aber stand vor dem Statthalter; und der Statthalter fragte ihn und sprach: Bist du der König der Juden? Jesus aber sprach: Du sagst es.
12 Und als er von den Hohenpriestern und Ältesten verklagt wurde, antwortete er nichts.
13 Da sprach Pilatus zu ihm: Hörst du nicht, wie hart sie dich verklagen?
14 Und er antwortete ihm nicht auf ein einziges Wort, sodaß sich der Statthalter sehr verwunderte.

Matthäus 26, 69 – 27, 14
  1. Die Verleugnung des Petrus
    Petrus wollte nur zugucken – unverbindlich sehen „worauf es hinauswollte“ (Matthäus 26, 58). Anonym bleiben. Erst gucken, und sich dann entscheiden. Sozusagen neutral, ohne sich festzulegen. Er hatte sich ja festgelegt: Er wollte nicht an Jesus irre werden (Matthäus 26, 33), ja, mit Jesus sterben (Matthäus 26, 35). Er hatte im Garten das Schwert gezogen, um für Jesus zu kämpfen (26, 51). Doch Jesus hatte ihm gesagt: „Stecke das Schwert an seinen Ort!“. Petrus will nur zugucken aus einem sicheren Abstand.
    Es gibt Jesus gegenüber aber keine Neutralität. In der Passionsgeschichte werden alle schuldig. Alle entscheiden sich gegen Jesus, oder können sich jedenfalls nicht für Jesus entscheiden.
    Eine Magd spricht ihn an. Aus dem Johannes-Evangelium wissen wir, daß der Apostel Johannes mit ihr gesprochen hatte, damit sie Petrus in den Palast hineinließ. Sie wußte etwas. Sie konnte es nicht für sich behalten. Es war eine gute Gelegenheit, sich interessant zu machen. „Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa!“. Da ist es aus mit der Anonymität, und vorbei mit der Neutralität. Petrus bestimmt nicht mehr darüber, was mit ihm geschieht.
    Liebe Gemeinde! Wie gern und selbstverständlich bewegen Christen sich in die Anonymität, um neutral zu sein, nur zuzugucken! Erst mal sehen, wo man da hineinpaßt in die Situation! Erst mal überschauen, wie sicher oder gefährlich es ist!
    Von allen, die um Petrus sind, geht von der Magd die geringste Drohung aus. Während Petrus sich vielleicht ausgemalt hatte, daß er als Held vor der Weltöffentlichkeit für Jesus kämpfen und gar sterben würde, reicht schon eine wehrlose Magd im kleinen verborgenen Kreis, im Halbdunkel, Petrus zu Fall zu bringen. Es ist so unnötig und so absolut peinlich. Nicht einmal, sondern dreimal. Nicht nebenher, sondern schließlich mit einem feierlichen Schwur. „Gott möge mich vernichten, wenn ich diesen Menschen kenne!“
    Das zeigt uns zwei Dinge:
    a. die Schwäche und die Selbstüberschätzung von uns Menschen. Wir sonnen uns in unseren Vorsätzen und guten Absichten. Der Mensch denkt, daß seine Gedanken schon Taten sind, und ist bereit, in Gedanken ganz wunderbar Ideale zu erfüllen.
    b. Petrus sagt sich von Jesus los. Jesus ist wirklich allein. Er hat wirklich keinen Mitstreiter, keinen Mitarbeiter. Was Jesus tut, das tut er wirklich ganz allein für die ganze Menschheit. Jesus ist nicht nur zufällig allein. Sondern er wird mit Willen, um nicht zu sagen: Mit Anlauf, verlassen. Es ist keine Neutralität. Jesus ist der HERR und der König. Er gebietet Gehorsam und Nachfolge, Bekenntnis und Öffentlichkeit – und der Mensch gehorcht und folgt, oder er ist gegen ihn. Und damit aber auch gegen alles, wofür Jesus steht. Denn wofür Jesus steht, das ist sein königliches Eigentum. Das kann der Mensch nicht einfach so nehmen.
    Die Früchte des Glaubens, die Erkenntnis des Glaubens sich aneignen, aber Jesus nicht als König und HERRN bekennen, das wird nicht gelingen. Im Kleinen, wie im Großen.
    Unsere Kultur, die einen christlichen Aufbau hat, und sich dem christlichen Glauben verdankt, möchte neutral sein. Die Früchte des christlichen Glaubens haben, ohne Jesus als den König zu verehren. Wie wird Jesus sich als der HERR erweisen? Auch der Eifer, mit Jesus nichts zu tun zu haben, beweist, daß Jesus Macht hat!
  2. Der Todesbeschluß des Hohen Rates
    Die Hohenpriester und der Hohe Rat hatten vergeblich versucht, mit falschen Beweisen Jesus zu verurteilen. Es ist ein verrücktes Schauspiel. Der Beschluß, ihn zu töten, steht von vornherein fest. Und doch wollen sie innerhalb ihrer Regeln einen Schein des Rechts aufbauen. Sie wollen, daß das ganze Volk, um nicht zu sagen: Die ganze Menschheit ihnen in ihrem Urteil Recht gibt. Dabei soll in Israel in Verantwortung vor Gott das Urteil gefällt werden. Stattdessen urteilt man aus Furcht vor dem Volk und aus Furcht vor den Römern.
    Auch hier wird deutlich: Die Repräsentanten des Volkes Israel haben keinen Anteil am Erlösungswerk. Jesus steht wirklich der ganzen Menschheit als Angeklagter, als Verurteilter, aber dann auch als das Lamm Gottes, als der Erlöser gegenüber. Er „trägt die Sünde der Welt.“ (Johannes 1, 29).
    Der Hohe Rat und die Priester übergeben Jesus dem heidnischen Statthalter Pontius Pilatus. Damit stellen sie fest: Jesus gehört nicht mehr dem Volk Israel an. Er ist ausgeschlossen – auch von Gott selbst. So wird Israel als menschliches Volk auch nicht beitragen zum Erlösungswerk. Jesus tut es wirklich ganz allein. Und umgekehrt kommt ihm gegenüber die Schuld aller Menschen ans Licht.
    Gerade die Passionsgeschichte zeigt uns: Zur Schuld gehört es, daß Menschen sie mit Überzeugung, und mit den allerbesten Absichten begehen.
    Der Übergang vom Hohen Rat zu Pilatus ist ein ganz entscheidender Schritt. Das Leiden Jesu und sein Tod sind spätestens ab dem Moment nicht mehr eine nur innerjüdische Angelegenheit. Jetzt steht Jesus der Menschheit gegenüber.
  3. Das Ende des Judas
    Judas sagt sich auf seine Weise von dem, was Jesus leidet und tut, los. Wir könnten ja denken: Hm. Judas hat Jesus ja verraten und ausgeliefert. Also ist Judas notwendig für die Erlösung.
    Doch das ist nicht möglich. Judas will seine Tat ungeschehen machen. Er will das mit Geld tun. Denn er bringt die 30 Silberlinge zurück.
    Da wird in ganz wenigen Worten unendlich viel über das Wesen des Geldes gesagt. Es erweckt den Schein, Taten ungeschehen machen zu können. Mit Geld sich freikaufen. Mit Geld wieder gut machen. In der Welt macht das Geld vieles möglich.
    Doch Jesus steht über dem Geld. Jesus gegenüber ist sogar das Geld nicht neutral. Der Wille Jesu, sich zu opfern, Seine Liebe für uns Menschen ist größer und stärker als Geld.
    Das zeigt sich ja auch nach der Auferstehung: Der Hohe Rat will mit Geld die Wachen vom Grab Jesu und Pilatus zum Schweigen bringen, und sich damit eine eigene Wahrheit verschaffen.
    Doch es gelingt nicht.
    Judas erhängt sich. Er vollzieht ein Todesurteil an sich selbst. An Gott vorbei. Er sieht keine Gnade. Anders als Petrus. Seine Tränen zeigen, daß er auf eine Gnade hofft, die er nicht verdient.
    Judas kennt keine Gnade.
    Judas ist ein abschreckendes Beispiel für alle Christen.
  4. Der Töpfersacker
    Die 30 Silberlinge verdienen eine eigene Predigt. Sie sprechen eine vielfältige geheimnisvolle Sprache.
    Judas wirft sie in den Tempel. Damit gehören sie Gott selbst. Doch die Hohenpriester und Schriftgelehrten, von denen ja genau dieses Geld herkommt, bezeichnen es als Blutgeld. Sie bestätigen, daß Judas Verrat verübt hat. Sie bekennen damit, daß sie Verrat angenommen und in Kauf genommen haben, um ihre Absicht durchzuführen. Jesus zwingt sich noch in der äußersten Machlosigkeit, das zu bekennen.
    Gerade indem sie peinlich genau darauf achten, daß dieses schmutzige Geld nicht in den Gotteskasten gelegt wird, klagen sie sich selbst vor Gott an.
    Und das tun sie? Sie kaufen einen Töpfersacker zum Begräbnis der Pilger. Matthäus selbst sagt uns, daß sie damit eine Prophezeiung aus den Propheten genau erfüllen. Sie erfüllen Gottes Willen.
    Und noch etwas: Dieses Geld ermöglicht ein Grab in Jerusalem für die, die es sich nicht leisten konnten.
    Das Leiden, die Schmach Jesu kommt den Armen zugute. Ähnlich, wie seine Kleider den Soldaten zugute kommen. Jesus gibt alles alles her. Er gibt es zum Vorteil derer, die vor Gott arm sind. Die um einen Platz bei Gott bitten.
  5. Jesus vor Pilatus
    Jesus ist so erhaben über alle Mächtigen. Vor den Augen der Welt ist er machtlos, und muß sich alles gefallen lassen. Aber vor Gott ist es so, daß genau dadurch Gottes Wille geschieht. Jesus wird im Namen Israels und im Namen der Heiden zum Tode verurteilt. Auch Rom wird an Jesus schuldig. Ganz deutlich: Denn Pilatus wird ja sagen: Dieser ist unschuldig. Und dann läßt er ihn doch kreuzigen und töten.
    Pilatus wird auf Drängen der Hohenpriester ein für allemal vor der Welt dokumentieren: Jesus von Nazareth ist der König der Juden.
    Jesus ist so erhaben, daß er sich der Weltöffentlichkeit nicht aufdrängt, sondern sich durch seine Feinde an die Weltöffentlichkeit bringen läßt.
    Jesus verteidigt sich nicht. Das ist für Pilatus und für die Menschheit ein Rätsel. Ein göttliches Rätsel. Pilatus kann im Grunde nichts mit Jesus anfangen.
    Jesus spricht nicht für sich. Er läßt seinen himmlischen Vater für ihn sprechen. Das wird bei der Auferstehung geschehen.

Lätare

Predigt: Pfarrer Johann Hillermann

Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus,
und die Liebe Gottes,
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen.
Amen.

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, daß ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Jesaja 54, 7-10

Liebe Gemeinde!

Wie ein liebender Mensch von Herzen sagt, wie er es meint, so spricht Gott hier mit denen, die Er liebt.

Gott ist die Liebe (1. Johannes 4, 16) – also nicht unsere Liebe ist Gott. Sondern Gott liebt Seine Menschen mit Seiner Liebe. Und wie Seine Liebe ist, das sagt Gott selbst. Wenn die Liebe spricht, dann sagt sie, daß sie unerschütterlich ist und bleibt. Gottes Liebe ist vollkommene Liebe, sie kommt, um zu bleiben.

Das kann kein Mensch sich selbst einreden, sondern das kann ausgesprochen werden, weil Gott es sagt. Es bleibt Gottes Aussage, und das ist gut so.

Unser Predigttext ist Teil einer Predigt aus Jesaja. Gott legt fest, wie diese Worte verstanden werden sollen.

Es sind wirklich Liebesworte.

Wie heißt es direkt vorher?

„Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann –Denn der HERR hat dich zu sich gerufen … wie eine verlassene und von Herzen betrübte Frau; und die Frau der Jugendzeit, wie könnte sie verstoßen bleiben!, spricht dein Gott.“ (Jesaja 54, 5+6).

Gott als der liebende Mann, der alles tut, der von Herzen betrübten Frau die Liebe zu versichern.

Liebe Gemeinde. Das alles ist göttlich, und niemals weltlich, menschlich oder selbstverständlich.

Gottes Wort, die ganze Bibel spricht diese Sprache. Wer in Gottes Nähe kommt, der betritt den Raum dieser Sprache. Wer vor Gott lebt, der lebt sich in diese Sprache ein. Diese Sprache ist für Gott unantastbar und von unendlicher Bedeutung. Diese Sprache soll mit der größten Ehrfurcht gehört werden, und alles, was ihr widerspricht, sich an ihr ärgert oder sich über sie erhebt, und stolz meint, sie hinter sich zu lassen, das alles wird zum Schweigen kommen, denn Gott ist größer.

Eine Zusicherung der Liebe ist nötig, weil die Liebe verunsichert ist. Die Liebe ist verunsichert, wenn geglaubt wird, daß die Liebe aufhört. Die größte Furcht ist es, ohne Liebe zu sein. Doch Gottes „vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“ (1. Johannes 4, 18).

Gottes Liebessprache spricht es aus: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen.

Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen.“

Das ist beides das Gegenteil von Liebe, und stellt sie in Frage:

Verlassen.

Verbergen.

Zorn.

Das trifft. Das erschüttert und schmerzt und stellt in Frage.

Verlassen – nicht da sein.

Verbergen – nicht in Sicht sein, nicht erkennbar sein, sondern fremd. Alles scheint vorbei zu sein. Die Liebe ist weg.

Aber dann kommt noch der Zorn.

Im Zorn kommt die Absicht zum Ausdruck. Die bewußte Ablehnung, um nicht zu sagen: Die Verstoßung. Wenn der Zorn berechtigt ist, dann ist Anklage und Verurteilung drinnen: Du hast es verdient, daß die Liebe weg ist.

Jesaja sagt das, als es für Gottes Volk Israel genau so war. Gottes Liebe war nicht in Sicht. Fremde Mächte hatten Gottes Volk besiegt, gedemütigt und vernichtet. Gott hatte es nicht verhindert. Er war nicht da, er hatte es verlassen. Er war nicht wie sonst ein Retter und Beschützer, nein, er hatte Sein Angesicht verborgen, Gott der HERR war Israel fremd geworden.

Hinzu kam der Zorn. „So spricht der HERR: Ihr habt mich verlassen; darum habe ich euch auch verlassen.“ (2. Chronik 12, 5. vgl. 2. Chronik 24, 20). Israel hatte sich durch Unglauben und Lieblosigkeit von Gott losgesagt, es hatte sich aus dem Bereich von Gottes Liebe entfernt. Mit frecher Selbstgerechtigkeit und Überzeugung. Israel hatte Gottes Liebe verletzt.

Das ist die Essenz von Sünde. Jedes Gebot trägt die Überschrift: Ich bin der HERR, dein Gott. Meine Liebe für dich steht fest. Ich will alles für dich sein.

Darum: Mißbrauche meinen Namen nicht (2. Gebot).

Darum: Mach Zeiten fest, auf mein Wort zu hören (3. Gebot). Darum: Ehre Gott an den Menschen, die dir das Leben geschenkt haben (4. Gebot).

Darum: Töte nicht! (5. Gebot).

Darum: Schenke deinen Leib und Leben einem Menschen, mit dem Ich, Gott, dir die Einsamkeit vernichten werde (6. Gebot). Darum: Nimm an, was Gott selbst dir gibt. Was Gott deinem Nächsten gibt, wird dich niemals glücklich machen; stiehl nicht! (7. Gebot).

Darum: Schütze deinen Nächsten mit dem, was du sagst; schütze, und schade nicht! (8. Gebot).

Darum: Sei nicht von dem besessen, was du nicht hast! (9.+10. Gebot).
Dann bin ich ganz bei dir. Sagt Gott.

Sünder wissen es besser, und übertreten Gottes Gebot.

Gott nimmt das ernst, weil Gott sich selbst ernst nimmt.

Gottes Zorn wäre ohne Gottes Liebe nicht.

Wer die Propheten liest, wird sehr oft von Gottes Zorn lesen. Wie sieht es aus, wenn Gott Israel verläßt, weil Israel Gott verlassen hat?

Zusammenfassend kann man sagen: Gott gibt den Menschen preis. Der Mensch ist dann sich selbst ausgeliefert. Es gibt keinen Schutz mehr. Jede Gabe, die Gott mit Seinen Geboten schützt, geht kaputt, kann nicht erkannt werden und wird ersetzt.

So kommt es dazu, daß Menschen ihre Herzen an falsche Götter hängen. Es kommt dahin, daß Menschen nicht mehr zur Wahrheit zurückfinden. Es kommt soweit, daß Menschen Liebe verachten, daß man zwischen Mein und Dein nicht mehr unterscheiden kann.

Und es kommt dazu daß Gott Leiden zuläßt, weil die Menschen sonst jeden Segen als eine Bestätigung für den falschen Weg mißbrauchen.

Der Prophet Hosea sagt:

„So spricht der HERR: Ich will mich zurückziehen, bis sie ihre Schuld erkennen und mein Angesicht suchen; wenn’s ihnen übel geht, so werden sie mich suchen und sagen: Kommt, wir wollen wieder zum HERRN; denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. Er macht uns lebendig nach zwei Tagen; er wird uns am dritten Tag aufrichten, daß wir vor ihm leben werden.“ (Hosea 5,15 – 6, 2).

So sagt es auch unser Predigttext.

Gott kann verlassen und tut es auch, Gott kann zürnen, und tut es auch.

Menschen, gerade Christen, vor allem aber Christen, die im Glauben unsicher sind, hören nicht gerne von Gottes Zorn. Denn menschlicher Zorn ist meistens lieblos und egoistisch. Doch Gottes Zorn ist heilig und niemals ungerecht. Gott ist ein ernster Gott. Er nimmt sich selbst ernst, und vor allem auch uns. Gott nimmt uns ernster, als wir selbst.

Auch Jesus spricht vom Zorn Gottes, auch das Neue Testament.

So hören wir in Johannes 3: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“

Das Evangelium ist nicht, daß es keinen Zorn Gottes gibt, sondern daß der Zorn Gottes ein Ende hat.

Das kündigt der Prophet Jesaja in unserem Predigttext:

Ja, Gott hat sich zurückgezogen, ja, Gott hat sich verborgen, ja, Gott ist fremd geworden –

ABER – aber nur einen kleinen Augenblick, nur für eine begrenzte Zeit. Nicht für immer:

„Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.

Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.“

Die Liebe hinter dem Zorn bricht durch. Die Liebe, die dafür sorgt, daß wir Menschen Gott niemals egal sein werden, diese Liebe geht wieder auf, wie die Sonne.

Der Schrecken, der Zweifel, die Unsicherheit, die Hölle hat eine klare Grenze und ein Ende.

Warum? Weil Gott sich selbst ernst nimmt, weil Gott Sein gegebenes Wort unter allen Umständen wahr machen will und wird:

So spricht Gott: „Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, daß ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.“

Die Sintflut war ein Werk des Zornes Gottes über die Gottlosigkeit der Menschen. Doch danach hatte Gott feierlich bei sich selbst geschworen: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.“ (1. Mose 8,21). Gott setzt Seinem Zorn selbst eine Grenze. Wir singen es xmal im Jahr: „All Fehd‘ hat nun ein Ende.“ Also: Der Zank ist vorbei, Gott will, daß es dich gibt, und Seine Liebe soll dich erreichen.

Die Liebe steht fest. Das wird überdeutlich, wenn wir sehen, was im Neuen Testament geschieht. Jesus nimmt Gottes Zorn auf sich. Aus Liebe. Er weicht nicht aus, als die Anklage des Gesetzes kommt und ihn anklagt und verurteilt. Obwohl er wirklich nichts Böses getan hat. Seine Schuld ist, daß er sich zur Verfügung stellt. In Seinem Leiden hat er den Zorn Gottes über uns Menschen auf sich gezogen und gelenkt. Darum sprechen wir über das Kreuz Jesu. Nur deshalb. Weil das der Ort ist, wo mir und dir überdeutlich gesagt wird: Da ist der Zornableiter. Du mußt dich nicht mehr verstecken, oder aufgeben oder trotzig und grimmig denken: Gott ist sowieso gegen mich. Das ist nicht mehr wahr.

„Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“

Das ist der neue Bund, die neue Grundlage, auf der Gott mit uns Menschen umgehen will. Das ewig Neue Testament. Es wird im Alten Testament angekündigt und vorbereitet, und im Neuen Testament offenbart und in Kraft gesetzt. Der Gott des Alten und des Neuen Testaments ist ganz und gar ein und derselbe. Jesus zeigt, daß Gott Sein Wort hält.

So spricht Gott als der liebende Mann zu der Frau, die sich verlassen und verstoßen und preisgegeben fühlte, Sein Volk Israel.

Liebe Gemeinde – wir sind hier in Seinem Namen versammelt. Hier hört der Zorn Gottes auf. Um uns herum tobt der Zorn Gottes, auch in uns. Die Folgen der Gottlosigkeit werden immer deutlicher und immer bedrückender. Doch wir kennen sein Ende. Wir wissen, daß es nur ein Augenblick ist im Vergleich zu der Liebe, die Jesus gebracht hat.

Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

2. Passionsandacht

Predigt: Pfarrer Johann Hillermann

    26 Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib.
    27 Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus;
    28 das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.
    29 Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von Neuem davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. 30 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.
    31 Da sprach Jesus zu ihnen: In dieser Nacht werdet ihr alle Ärgernis nehmen an mir. Denn es steht geschrieben (Sach 13,7): »Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.«
    32 Wenn ich aber auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach Galiläa.
    33 Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Wenn sie auch alle Ärgernis nehmen, so will ich doch niemals Ärgernis nehmen an dir.
    34 Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.35 Petrus sprach zu ihm: Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen. Das Gleiche sagten auch alle Jünger.
    36 Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hier, solange ich dorthin gehe und bete.
    37 Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen.
    38 Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wacht mit mir!
    39 Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!
    40 Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?
    41 Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
    42 Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, daß dieser Kelch an mir vorübergehe, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! 43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf.
    44 Und er ließ sie und ging abermals hin und betete zum dritten Mal und redete dieselben Worte.
    45 Dann kam er zu seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, daß der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird.
    46 Steht auf, laßt uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

    Matthäus 26, 26 – 46

    Gebet: HERR, Du bist nicht ausgewichen vor der schwersten Last und dem bittersten Leiden: Nimm von uns, was uns runterzieht, erbarme Dich! Amen.

    Liebe Gemeinde!
    Die Leidensgeschichte unseres HERRN prägt uns die Liebe ein, mit der wir geliebt werden, mit der Gott uns liebt.
    Man kann die Liebe bewundern, man kann das Unmögliche versuchen, sie nachzuahmen.
    Wer liebhat, weiß: Die Liebe will ankommen. Solange sie nicht ankommt, ist sie nicht am Ziel. Sie zielt auf Annahme und Dank. Liebe, die kommentiert, oder verglichen wird, wo gefragt, ob sie nötig sei: Das alles würde zeigen, daß Liebe noch nicht erkannt wurde.
    „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab ….“ (Johannes 3, 16).
    Wir werden hier geliebt. Das soll ankommen. Diese Überwältigung. Die Passion Jesu soll den Menschen umwerfen, wie Liebe umwirft.
    Am vergangenen Mittwoch habe ich versucht zu zeigen, daß Jesus am Ende seines Lehrens, als er alle Rede vollendet hatte, sich zum Leiden anschickte. Alle Aktivität in Worten und Taten dienten Seiner Passivität. Jede Aktion zeigen Seinen Willen zur Passion. Das Leiden, bis in den furchtbaren Tod, ereilt ihn nicht, überfällt ihn nicht, sondern er opfert sich.
    Bisher ging er diese Schritte:

    1. Er sagt Seinen Kreuzestod voraus.
    2. Er nimmt die Salbung von der Frau an, und sagt: Das ist für mein Begräbnis.
    3. Er sagt den Verrat durch Judas an, und hindert den Verrat nicht.

    Heute hören wir von der Einsetzung des Heiligen Abendmahls,
    von der Ankündigung der Verleugnung des Petrus und der Flucht der Jünger,
    und dann das Gebet im Garten Gethsemane.

    1. Die Einsetzung des Abendmahls.
      Das ist ein einmaliger, ein ungeheurer Vorgang. Jesus gibt sich zu essen und zu trinken. Er vermacht seinen Leib und sein Blut seinen Jüngern.
      Christen feiern es seit bald 2000 Jahren überall auf der Welt, jeden Tag, und vor allem sonntags. Dann geschieht das, was Jesus in der letzten Stunde seiner Freiheit befohlen hat. Dann kommt Gottes Liebe bei denen an, die Jesu Liebe erkennen. Christentum ist geliebt werden. Genau so geliebt werden, wie Jesus liebt. Wie er es festgelegt hat. Über diese Liebe bestimmen wir nicht, sondern sie bestimmt über uns. Es ist die eine große Liebe, die einem jeden Menschen zugedacht ist, mit der wir geliebt werden.
      Liebe will, daß der Geliebte lebt, und unversehrt, und ganz und im Frieden ist. Dazu tut die Liebe alles, was sie kann. Es ist eine Hingabe an Gedanken, Gefühlen, Taten, Kräften, Zeit – die Liebe hat diesen Zug, diese Richtung in sich, und ist unglücklich, wenn sie bei sich auf eine Grenze stößt – daß man nicht so ganz und gar und völlig für den anderen da sein kann, wie man will, oder wie es nötig erscheint. Eine solche Grenze ist der Tod. Deshalb gibt es Testamente, die über den Tod hinaus bestimmen, was im Sinne der Liebe weiter gehen soll.
      Jesus setzt am letzten Abend Seines irdischen Lebens Seine Jünger zu Erben ein. Sie werden Ihn, Jesus, erben. Das Abendmahl macht deutlich, wer oder was oder wie Jesus für Seine Jünger sein will: Eine Speise und ein Trank. Also eine Gabe, die restlos und uneingeschränkt dem Leben der Erben dient. Es ist doch so: Wenn du ißt und trinkst, dann gehen beide, Brot und Wein, als Speise und Trank ganz und gar in dein Leben über. Sie kommen in deinen Leib und dienen deinem Leben. Ja, der Geschmack, das Aroma diese scheinbar überflüssigen Eigenschaften sprechen die Sinne, und damit deine Seele an und rufen auch der Seele, am Leben teilzunehmen, sie rufen zur Freude.
      Jesus setzt sich als Gabe, als Liebesgabe für Seine Jünger ein. Mit allem, was Er gesagt hat, getan hat, und nun vor allem mit Seinem Tode ist Jesus Gottes Liebe, die deinem und meinem Leben dient. Das ist die größte Liebe. Jesus hat bestimmt, daß wir diese Seine große Liebe empfangen – dazu gibt Er uns Seinen Leib, für uns gegeben, und Sein Blut des Neuen Testaments, für uns und für viele vergossen.
      Damit wird der Begriff „Für dich da sein“ auf die höchste, unüberbietbare Stufe gebracht, für alle Zeiten. Eine größere Liebe gibt es nicht, und wer sie angenommen hat, wird auch keine andere suchen. Einen solchen Willen, daß ich lebe, wird man nicht finden.
    2. Ankündigung der Flucht der Jünger und der Verleugnung des Petrus
      Diese Liebe bekommt eine weitere, ungeheure Dimension, wenn Jesus genau Seinen Erben auf den Kopf ankündigt, daß sie sich alle von ihm lossagen werden. Sie werden sozusagen das Erbe ausschlagen – sich selbst enterben. Das steigert die Liebe noch: Da ist keine Gegenliebe. Paulus bringt es auf den Punkt: „Gott erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Römer 5). Also menschlich gesprochen: Es ist eine aussichtslose Liebe. Das bedeutet aber vor allem: Diese Liebe hat ihren Grund nur in sich selbst. Sie ist nicht abhängig von Eigenschaften oder Leistungen im Geliebten. Sie hat ihren Grund in sich selbst. Sie liebt, weil sie liebt. Das ist göttlich.
      Diese Ankündigungen von Verleugnung und Flucht der Jünger zeigen auch, daß diese göttliche Liebe alle Schuld, alle Fehler, alles Versagen, alle Sünde auf sich nimmt. Alles, was der Liebe widerspricht, erleidet und trägt Jesus, damit die Liebe bleibt. Diese Liebe ist ohne Ausnahme vor allem vergebende Liebe. Bis dahin, daß Jesus ja für die Kriegsknechte betet: „Vater VERGIB ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
    3. Das Gebet in Gethsemane
      Über diese Gebete kann es viele Gedanken geben. Es ist einmalig, es erklingt zwischen Himmel und Hölle, zwischen Leben und Tod. Jesus sagt ja: „Meine Seele ist betrübt, bis an den Tod.“ Er beginnt, den Tod am lebendigen Leibe zu spüren, und in Seiner Seele. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als er nun endgültig Seinen Jüngern ganz allein gegenübersteht. Er bittet sie, mit ihm zu beten. Aber sie schlafen. Jetzt steht Jesus allein dem ganzen Versagen der Menschheit gegenüber. Was tut Er? Er betet. Er verbindet sich mit Seinem Vater im Himmel. Dieses Gebet zeigt, daß Jesus mit bewußter voller eigener persönlicher Freiheit diese Liebeshingabe vollzieht. Jesus nimmt die ganze vollständige göttliche Freiheit mit sich, als Er verraten und gefangengenommen wird. Seine Freiheit ist immer größer als alles, was Ihm angetan wird. Diese Freiheit, die aus dem Gebet kommt, ist untrennbar Teil der Liebe, mit der wir geliebt werden.
      Jesus tut alles, daß Seine Liebe, die zugleich Gottes Liebe ist, bei uns ankommt und unserem Leben dienst. „Du sollst unter allen Umständen leben, Gott will das!“ Diese Worte kommen immer wieder durch in der Passionsgeschichte.

    Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


    Beitragsbild: Fresko in Sant’ Angelo in Formis bei Capua, um 1100

    Aschermittwoch

    Predigt von Pastor Johann Hillermann

    Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus.
    Amen.

    Jesus lehrte seine Jünger und sprach:
    16 Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
    17 Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht,
    18 damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
    19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen.
    20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.
    21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.

    Matthäus 6, 16-21

    Liebe Gemeinde!
    Heute geht es um das Fasten und um Schätze sammeln.
    Christen sollen für Gott fasten,
    und Schätze im Himmel sammeln,
    sagt Jesus.
    Beides sind Dinge, die nicht von selbst kommen. Das Gegenteil ist normal.
    Wenn schon fasten, dann für menschliche Anerkennung,
    und wenn schon Schätze sammeln, dann auf Erden für irdische Sicherheit.
    Heute sagt Jesus: Menschliche Anerkennung und Gott schließen sich gegenseitig aus;
    und irdische Sicherheit und Gott schließen sich gegenseitig aus.
    Beides ist nicht gut für die Seele,
    und beides ist auch eine Täuschung.

    1. Fasten
      Jesus sagt: Wenn ihr fastet. Er setzt es voraus.
      Fasten – das ist Verzichten, vor allem auf Essen.
      Man kann auf Süßigkeiten oder Alkohol verzichten. Das wird auf jeden Fall Vorteile für die Gesundheit haben.
      Fasten ist in erster Linie Verzicht auf Lebensnotwendiges, das ist mehr als Verzicht auf Luxus.
      Im Alten Testament war Fasten ein Teil der Trauer und der Buße. Durch Verzicht auf Essen und Trinken sollte vor allem bei der Buße Raum für Neues geschaffen werden. Fasten konnte im Alten Testament auch Ausdruck der Klage vor Gott sein. Die Erinnerung an die Zerstörung des Tempels wurde mit Fasten und Klagen begangen, und der Prophet Sacharja fragt einmal: „Habt ihr das wirklich für Gott getan?“ (Sacharja 7,4) – an anderer Stelle (Sacharja 8, 18) sagt der Prophet, da Gott sich erbarmen wir, und das Fasten sich in Freude verwandeln wird.
      Der Prophet Jesaja durchschaut das Volk Israel – es will durch Fasten seinen Gott manipulieren, das wird natürlich nicht klappen. Er sagt: „Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen läßt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet?“ – (Jesaja 58, 5). Das Fasten soll dazu dienen, daß Gottes Wille besser getan wird – Mehr Beten, mehr Nächstenliebe. Fasten ist nicht Selbstzweck.
      Auch Jesus sagt von seinen Jüngern, daß sie fasten werden, wenn ihr Bräutigam, also Jesus, von ihnen genommen wird (Matthäus 9, 15).
      Wir sind meistens nur noch damit beschäftigt, das Fasten zu vermeiden, um die Heuchelei zu vermeiden. Wenn wir nicht fasten, dann heucheln wir wenigstens nicht.
      Das ist nicht Gottes Wille.
      Fasten soll ohne Heucheln, und allein für Gott geschehen.
      Aber wie kann das Aussehen?
      Fasten ist eine Unterbrechung. Man ißt nicht. Man nimmt nicht in sich auf. Das ist für den Körper, und dadurch auch für die Seele eine Herausforderung. Man muß sich überwinden. Man soll nicht nachgeben. Man spürt das Verlangen nach Speise, aber man gibt dem Verlangen nicht nach. Das Leben dreht sich mehr um Essen, als einem bewußt ist. Auch die Gedanken. Der Körper ist mit Nahrung und Verdauung befaßt. Fasten soll zu innerer Freiheit führen. Weniger an Essen denken, und mehr an Gott und den Nächsten denken. Mehr innere Freiheit, mehr Distanz zu den eigenen Bedürfnissen üben.
      Der Hunger ist da und spürbar, aber er beherrscht dich nicht. Es kommt Platz für neue Gedanken für Gott und den Nächsten.
      Das bedeutet auch: Wenn mit etwas fehlt, dann bin ich nicht von dem Gedanken besessen, daß ich es haben muß. Meine Wünsche und Bedürfnisse treten in den Hintergrund.
      Wenn jemand etwas hat, dann muß ich ihn nicht auch noch beneiden.
      Fasten ist also eine Übung des Leibes und der Seele, die eignen Bedürfnisse und Bequemlichkeiten in den Hintergrund zu stellen. Für den Glauben und die Liebe ist das einleuchtend.
      Wir wissen alle: Zuviel Essen und Trinken bindet viele Kräfte in uns, gerade auch mentale und emotionale Kräfte. Menschen, die nicht verzichten können, können sich nicht überwinden, um eine Aufgabe zu erfüllen. Wer von seinen Bedürfnissen beherrscht ist, für den kann die Not des Nächsten lästig sein. Er ist getrieben von einer Angst, zu kurz zu kommen.
      Fasten kann eine Übung sein, über diesen Dingen zu stehen.
      Jesus sagt nun: Tut es um Gottes willen. Ob und wie ihr fastet, geht nur Gott etwas an, und sonst niemanden. „Wasche dein Haupt und salbe dein Angesicht“ – wie zu einem Fest! Es soll mehr Freude am Glauben und mehr Freude an der Nächstenliebe dabei herauskommen. Je weniger es Thema ist, je weniger ICH und meine Gefühle dabei Thema sind, um so besser. Dein Fasten soll Gott gehören, und sonst niemanden, nicht einmal dir selbst.
      Dieses Bedürfnis nach Anerkennung und Wahrnehmung spielt eine große Rolle in unserem Leben. Es ist fast wie Essen und Trinken. Jeder merkt das doch, wenn er wahrgenommen wird und Anerkennung bekommt, wie gut das tut. Und wie schwer es ist, wenn Anerkennung und Wahrnehmung ausbleiben.
      Doch auch hier sollen wir uns üben, innere Freiheit zu bekommen, und nicht abhängig zu werden.
      Es ist ja so: Menschen, die nicht um sich selbst und ihre Bedürfnisse kreisen, die können ihren Mitmenschen am besten wahrnehmen und ihm Anerkennung schenken, die gut tut.
      Wenn ich mich also darin übe, meine Bedürfnisse in den Hintergrund zu bringen, kann ich mit Gottes Hilfe mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit verschenken.

    Jesus ist da ganz deutlich in seinen Worten: Wer sich nur darum kreist, ob Menschen ihn anerkennen und wahrnehmen – der wird auch nicht mehr im Leben haben – „der hat seinen Lohn schon gehabt“, das heißt: Von Gott kann er dann nichts mehr erwarten. Gott will ganz für uns da sein, doch dazu erwartet er, daß wir ganz für ihn da sind. Fasten, um mit Gott allein zu sein. Das ist gemeint. Die Anerkennung und Wahrnehmung von Menschen, so wichtig sie sein mag – sie bringt uns nicht näher zu Gott. Im Gegenteil. Es kann leicht passieren, daß Menschen deshalb von Gott nichts erwarten, weil sie meinen: Die Menschen sind auf meiner Seite. Doch Menschen können mir nicht helfen, wie Gott mir hilft. Gegen den Tod kann nur Gott helfen. Segen kann mir nur Gott geben. Vergebung gibt es nur von Gott. Darum erwartet Gott, daß ich ganz bei ihm bin. Und ich bin nur ganz bei Gott, wenn ich nicht von der Anerkennung und Wahrnehmung der Menschen frei bin.

    1. Schätze sammeln
      Es ist normal, daß der Mensch sein Leben materiell absichern will. Er braucht ein Zuhause, er braucht Kleidung, Essen und Trinken, denn er soll leben.
      Ja, wir sollen so leben, daß wir unserem Nächsten nicht zur Last fallen, sondern belastbar sind. Der Apostel Paulus bringt es auf den Punkt: „Wer gestohlen hat der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit den Händen etwas Gutes, auf daß er habe, zu geben dem Dürftigen.“ (Epheser 4, 28).
      Uns wird auch sehr sehr deutlich gesagt: „So aber jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger denn ein Heide.“ (1. Timotheus 5, 8). Es hat mir auch sehr zu Denken gegeben, daß der Apostel schreibt: „Es sollen nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern.“ (2. Korinther 12, 14).
      Und doch sagt Jesus: Sammelt euch nicht Schätze auf Erden.
      Warum? – Diebe graben danach und Motten fressen sie.
      Diebe: Menschliches Begehren, menschlicher Neid.
      Motten und Rost: Natürliche Vergänglichkeit, Zerbrechlichkeit.
      Wo es überhaupt was zu haben gibt, werden Begehrlichkeiten geweckt. In alten Kulturen gibt es den bösen, den neidischen Blick. Man hat Angst davor. Das neidische Auge ist eine Bedrohung. Darum verbirgt man vieles, oder man verschenkt Dinge, damit der Neid weggeht. Der Neid verdirbt alles, vor allem den Neider selbst.
      „Schatz“ ist ein herrliches Wort. Schatz ist mehr als ein Wert in Zahlen. Ein Schatz macht glücklich. So kann ein Mensch auch ein Schatz sein, weil er glücklich macht.
      Jesus lehrt uns: Irdische Schätze machen nicht glücklich. „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ Wenn du dein Herz an irdischen Reichtum bindest, dann wirfst du dein Leben den Dieben und den Motten zum Fraß vor. Das ist töricht. Es ist eine Täuschung. Das Herz will mit dem Schatz allein sein, und dann soll der Schatz sein ein und alles sein. Das Herz überschätzt sich, und überfordert den Schatz. Das Leben ist schon da, bevor der Schatz da ist. Wenn also das Herz sein Leben durch den Schatz garantieren will, dann vergißt das Herz, daß es sein Leben schon vorher von Gott bekommen hat. Gott ist der größte Schatz, und gibt alle Schätze.
      Darum spricht Jesus davon, daß der Mensch Schätze im Himmel sammeln soll. Reich sein bei Gott, sagt Jesus an anderer Stelle (Lukas 12, 21). Einmal kam ein reicher junger Mann zu Jesus und wollte wissen, wie er das ewige Leben ererben könne. Jesus sagt schließlich: „Gehe hin und verkaufe alles, was du hast und gibs den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.“ Matthäus 19, 21. Dann hätte der Jüngling nämlich gezeigt, daß Gott sein größter, wertvollster Schatz ist, der ihm das Leben geschenkt und erhalten hat.
      Einen Schatz im Himmel haben, oder Schätze im Himmel sammeln, das ist nichts andres als ein Leben mit Gott. Und ein Leben mit Gott bedeutet: Gott gibt mir mein Leben jeden Augenblick. Immer. Er hat es mir durch meine Eltern gegeben, aber ist ist in erster Linie von Gott. Gott erhält mein Leben –durch Mitmenschen, durch ein Zuhause, oder was auch immer, aber es ist Gott, der mir das Leben ganz und gar gibt.
      Wenn also nicht Geld mir das Leben gibt, dann kann ich davon abgeben, ohne etwas zu verlieren. Denn ich habe ja Gott. Das ist der Schatz. Dann geht es dem Herzen erst richtig gut. Dieser Schatz kann nicht überschätzt werden.
      Aber auch hier ist es wie dem Fasten. Es ist eine Sache der Überwindung. Es ist normal, daß in uns Widerstand ist. Das hängt mit der Erbsünde zusammen. Von Natur sind wir nicht fähig, Gott zu fürchten und zu lieben. Auch das will Gott uns schenken. Unser Gesangbuch kennt diese Erfahrung:
      „Herr, bewahr auch unsern Glauben, / dass kein Teufel, Tod noch Spott / uns denselben möge rauben, / du bist unser Schutz, o Gott. / Sagt das Fleisch gleich immer Nein, / laß dein Wort gewisser sein.“ Jesus führt uns zu dem, was unbedingt mehr ist, als unser Fleisch, unser Leben ohne Gott. Das Leben mit Gott wird aber von Gottes Bedürfnis geleitet. Unsere müssen in den Hintergrund.
      Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

    Lichtmess

    Predigt: Superintendent Roger Zieger

    Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die
    Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen
    Geistes sei mit uns allen. Amen.

    [22] Und da die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz Mose’s kamen, brachten sie ihn gen Jerusalem, auf daß sie ihn darstellten dem Herrn [23] (wie denn geschrieben steht in dem Gesetz des Herrn: »Allerlei Männliches, das zum ersten die Mutter bricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«) [24] und daß sie gäben das Opfer, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.« [25] Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem, mit Namen Simeon; und derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war in ihm. [26] Und ihm war eine Antwort geworden von dem heiligen Geist, er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. [27] Und er kam aus Anregen des Geistes in den Tempel. Und da die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, daß sie für ihn täten, wie man pflegt nach dem Gesetz, [28] da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: [29] Herr, nun lassest du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast; [30] denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, [31] welchen du bereitet hast vor allen Völkern, [32] ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel. [33] Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich des, das von ihm geredet ward. [34] Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird [35] (und es wird ein Schwert durch deine Seele dringen), auf daß vieler Herzen Gedanken offenbar werden. [36] Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuels, vom Geschlecht Asser; die war wohl betagt und hatte gelebt sieben Jahre mit ihrem Manne nach ihrer Jungfrauschaft [37] und war nun eine Witwe bei vierundachtzig Jahren; die kam nimmer vom Tempel, diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. [38] Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries den Herrn und redete von ihm zu allen, die da auf die Erlösung zu Jerusalem warteten. [39] Und da sie es alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder nach Galiläa zu ihrer Stadt Nazareth. [40] Aber das Kind wuchs und ward stark im Geist, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.

    Lukas 2, 22-40

    Dank an Gott

    Nach jüdischem Brauch wurde der erstgeborene
    Sohn einer Familie nach 40 Tagen seiner Geburt
    zum Tempel in Jerusalem gebracht, um ihn in
    besonderer Weise Gott zu weihen. Dieser Brauch
    hatte sich im jüdischen Glauben entwickelt aus
    einer dankbaren Haltung Gott gegenüber. Danken
    wollte man für den geschenkten Sohn und mit
    dem Dank die Bitte verbinden, Gottes Segen soll
    auf ihm ruhen und ihn durch das Leben begleiten.
    Maria und Josef wird an erster Stelle der Dank an
    Gott ein Herzensanliegen gewesen sein. Wie viel
    Gnade und Segen haben sie bisher bereits von
    ihrem Gott erfahren! Neben dem vorhandenen
    jüdischen Brauchtum wird allein schon ihre
    innere Ergriffenheit über Gottes Handeln an ihnen
    sie gedrängt haben, zum Tempel aufzubrechen,
    um Gott für alle Gnade zu danken. Und mit
    Inbrunst werden sie Gott angefleht haben, für
    Jesus gute Eltern zu sein.

    Begegnung mit Simeon und Hanna

    Im Tempel geschieht dann ganz Unerwartetes.
    Simeon und Hanna begegnen Maria und Josef mit
    ihrem Kind.
    Simeon wird beschrieben als ein Mann, der sich
    ganz in Gott verankert hatte. Von Gott erwartete
    er voll Vertrauen Heil und Segen. Sein Leben
    verbrachte er sicher nicht sorglos nur mit Beten.
    Aber wie kantig, mühsam oder gar leidvoll
    streckenweise sein Leben auch verlief, Simeon
    ließ sich von seinem Glauben an Gottes
    Heilswirken und immer neues Danksagen dafür
    nicht abbringen. Gott wird mir und der Welt Heil
    gewähren, von dieser Überzeugung war er ein
    Leben lang bis ins hohe Alter durchdrungen.
    Mit Hanna, die die gleiche Einstellung hatte wie
    er, Simeon, durfte er am Ende seines Lebens
    Gottes verheißenen Heilsbringer in die Arme
    schließen. Welch ein Geschenk Gottes an beide!
    Es ist sicher nicht schwer, das Anliegen des Lukas
    zu erkennen, das er mit seinem Bericht verfolgt.
    Wir sollen uns ermutigen lassen, die
    Glaubenshaltung eines Simeon und einer Hanna
    in uns aufzunehmen und nachzuahmen.
    Bei der Vorstellung Hannas betont der Erzähler,
    wie schwer ihr Leben war. Sich zu damaliger Zeit
    als Witwe durchschlagen müssen, war nicht
    leicht, in der Regel mit harter Arbeit und Not
    verbunden. Dennoch weicht Hanna von ihrem
    Glauben an die Liebe Gottes nicht ab. Wie oft
    wird sie in den vielen Jahren ihres Witwenstandes
    Gott um Hilfe angefleht haben und bei ruhigem
    Nachdenken erspürt haben, dass Gott ihr immer
    wieder seinen Beistand gewährt hatte. Inzwischen
    hat sie ein hohes Alter erreicht, zu harter
    körperlichen Arbeit größeren Stils ist sie nicht
    mehr fähig. Aber was sie noch kann, das tut sie:
    Ihrem Gott jeden Tag aufs Neue hingebend und
    ausgiebig Dank zu sagen.

    Stärkende Begegnung

    Maria und Josef erleben in der Begegnung mit
    Simeon und Hanna zunächst das ganze Glück
    hochbetagter, im Glauben Gott treu gebliebener
    Greise. Hier sind zwei lebenserfahrene Menschen,
    die sich wie sie, Maria und Josef, mit aller
    Hingabe Gott ausgeliefert haben. Maria und Josef
    werden Zeugen, welch überwältigendes Glück in
    den Menschen aufkommt, die sich am Ende ihres
    Lebens sagen können: Goldrichtig habe ich
    gehandelt, vom Vertrauen in Gott ein Leben lang
    nicht abzulassen. Wie viel Kraft und Energie
    werden Maria und Josef aus dieser Begegnung
    geschöpft haben. Sie werden ungeheuer bestärkt,
    dass ihre persönliche Hingabe an Gott richtig ist.
    Sie werden ermutigt, diese Haltung ein Leben
    lang nicht aufzugeben.
    Wie schwer dies in manchen Situationen des
    Lebens werden kann, haben Simeon und Hanna
    zu Genüge erfahren. Daher wendet sich Simeon
    eigens an das junge Paar und im Besonderen an
    Maria. Er preist ihr Kind Jesus, durch den Heil
    und Freude in die Welt kommt. Viel Schönes und
    Beglückendes werden sie durch ihn und mit ihm
    erleben, aber auch viel Leidvolles. Simeon, der
    Maria voraussagt, dass ihr Herz oft bluten werde,
    möchte Maria vorbereiten, standhaft zu bleiben,
    wenn die Stunden bitteren Leidens bei ihr
    anklopfen. Maria wird sich oft dankbar an die
    Worte Simeons erinnert und Kraft aus ihnen
    geschöpft haben.
    In der Taufe wurden auch wir von unseren Eltern
    unter den besonderen Segen Gottes gestellt. Und
    in der Konfirmation haben wir persönlich
    bestätigt, dass wir mit unserem Leben Gott
    gehören wollen. Um wie Maria und Josef Simeon
    und Hanna begegnen zu können, hat uns Lukas
    die Geschehnisse bei der Darstellung Jesu im
    Tempel aufgezeichnet. Nutzen wir die Chance,
    durch Besinnung und Betrachtung den beiden
    Gott Treuen immer wieder einmal zu begegnen.
    Beide wurden trotz ihrer Treue zu Gott nicht von
    den Mühen, Nöten oder Leiden in ihrem Leben
    völlig befreit. Was sie stark gemacht hat, war
    einmal ihre innere Bereitschaft und ihr Sehnen,
    jederzeit ganz Gott zu gehören. Zum anderen
    werden Simeon und Hanna sicher oft über ihr
    Leben mit all seinen Vorkommnissen und
    Ereignissen nachgedacht haben. Dabei konnten
    sie erspüren: Auch in den schlimmsten Tagen
    meines Lebens war Gott nicht fern oder
    abgewandt. Dieses Erkennen – oft sehr deutlich
    im Nachhinein –
    ermutigt in besonderer Weise, in der Treue zu
    Gott und im bewussten Handeln nach seinem
    Willen zu verharren.
    Simeon hatte das einmalige Glück, Jesus selbst in
    seine Armen schließen und ihm voll Freude ein
    Loblied singen zu können. Diese Möglichkeit
    haben wir nicht. Aber wer könnte uns hindern,
    immer wieder einmal sehr bewusst Freude über
    Jesus aufkommen zu lassen und auszukosten, um
    ihm – innerlich beglückt – zu danken.

    Und die Liebe Gottes, welche höher ist als all
    unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und
    Sinne in Christus Jesus. Amen

    3. Sonntag nach Epiphanias

    Predigt von Pfarrer Johann Hillermann

    Gnade sei mit euch und Friede,
    von Gott, unserem Vater,
    und dem HERRN, Jesus Christus.
    Amen.

    13 Ich will euch aber nicht verschweigen, liebe Brüder, daß ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert –, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden.
    14 Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen;
    15 darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen.
    16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.
    17 Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt,
    welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Hab 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.

    Römer 1, 13-17

    Gebet: HERR, segne Dein Wort an unser aller Herzen! Amen.

    Liebe Gemeinde!

    Eine Kraft erkennt man daran, daß sie wirkt. Sie macht einen Unterschied. Ich kann vom Aldi zwei 6er Packs Wasser nach Hause tragen. Das ist keine außergewöhnliche Leistung, aber auch das bißchen Kraft muß man haben. Wenn ich einkaufen gehe, dann kann ich einschätzen, wieviel ich nach Hause tragen kann, ich verlasse mich auf meine Kraft, die ich habe. Es wäre schon peinlich, wenn ich auf halbem Wege feststelle: Ich schaffe das nicht! Ich habe mich überschätzt.

    Paulus spricht von einer Kraft Gottes. Einer Kraft, die wirkt und einen Unterschied macht; es ist eine Kraft, auf die Paulus sich ganz und gar verläßt.

    Nun, daß Gott Kraft hat, ist selbstverständlich. Gott hat alles geschaffen, gerade auch die Kräfte und Energien, mit denen wir leben, und mit denen wir rechnen müssen. Was Gott will, das geschieht, Gott hat Macht und Kraft, Seinen Willen zu verwirklichen. „Denn so er spricht, dann geschieht’s; so er gebietet, dann steht’s da.“ (Psalm 33, 9). Ohne Gottes Willen geschieht nichts. Unser Gesangbuch sagt: „Hier sind die starken Kräfte, die unerschöpfte Macht; das weisen die Geschäfte, die seine Hand gemacht.“

    Doch heute hören wir von einer besonderen Kraft Gottes. Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, schreibt uns Paulus.

    Diese Kraft Gottes hat eine ganz spezielle Wirkung: Es ist eine Kraft Gottes, die selig macht.

    Das Evangelium schafft eine Realität, die nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Durch nichts. Das Evangelium macht einen Unterschied, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Durch nichts.

    Die Ursache ist das Evangelium, die Wirkung ist Seligkeit.

    Paulus schreibt an die christliche Gemeinde in Rom, dem damaligen Mittelpunkt der Weltmacht. Paulus will die Christen in Rom unbedingt besuchen und kennenlernen. Er hat mit Staunen und Freude gehört, daß dort eine christliche Gemeinde gibt. Er betet für sie dort, er ist fest überzeugt, daß sie und er denselben Glauben haben, und will nicht nur aus diesem gemeinsamen Glauben Trost schöpfen, sondern auch „Frucht schaffen“, also durch das Evangelium noch mehr Menschen zum Glauben an Christus führen.

    Darum kann er schreiben: „Ich will euch aber nicht verschweigen, liebe Brüder, daß ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert –, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden.“

    Christen wollen einander begegnen. Das Evangelium hat diese Kraft, Menschen zusammenzuführen. Unser Katechismus sagt, daß der Heilige Geist uns durch das Evangelium beruft und sammelt. Der Heilige Geist sammelt dich ein und dann bist du Teil von Gottes Sammlung.

    Es ist schon beeindruckend, wie Paulus ohne Einschränkung sich darauf verläßt, daß er auch in Rom „Frucht schaffen“ wird. Das steht für ihn fest.  Gott schafft durch Sein Evangelium neues Leben. Gott verwendet das Evangelium dazu, eine neue Wirklichkeit zu schaffen.

    Paulus war noch nie in Rom. Er kennt natürlich Römer, wie sie sind, was sie sonst so glauben und anerkennen. Aber er kennt vor allem das Evangelium, was es tut und wie es wirkt. Und auf diese Kraft Gottes verläßt er sich.

    Er ist  … „ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen; darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen.“ Ein Schuldner – also: Es wäre eine Schuld, das nicht zu tun. Es geht ihm besser, wenn er es tut.

    Wie weit sind wird von Paulus entfernt! Es ist doch sehr verbreitet, daß wir unseren Glauben nur dort ansprechen, wo es paßt. Daß wir das Evangelium nur dann bezeugen, wenn es erwünscht ist. Wie oft begegne ich der Einstellung: Das Evangelium wirkt nicht. Es gibt eine ganze Industrie, die sich damit beschäftigt, wie man dem Evangelium Kraft geben kann: Neue Bilder, neue Methoden, neue Töne, neue Erlebnisse, neue Veranstaltungen – warum? Weil man dem Evangelium nicht zutraut, daß Gott dadurch wirkt. Wie leicht und wie sehr kann man sich daran gewöhnen: Ich weiß, daß mein Glaube exotisch ist. Es gibt unzählige Christen, die haben sofort volles Verständnis für jeden, der über sie den Kopf schüttelt.

    Paulus erlebt sich als Schuldner – der seine Schuld abbezahlen will und muß.  Das tut das Evangelium als eine Kraft Gottes. Alles in uns, was nur für den Unglauben Verständnis hat, ist nicht Teil der Kraft Gottes. Dieses Verständnis für den Unglauben ist schon Teil des Unglaubens und nicht des Glaubens.

    Paulus verläßt sich auf die Kraft des Evangeliums. Da ist Gott selbst am Werk, und Paulus darf dabei sein.

    Der Heilige Geist führt ihn auch nicht nur zu einer bestimmten Klientele. Das ist auch so eine Sache. Man denkt, daß nur eine bestimmte Art von Menschen dazu geeignet ist, Christen zu werden. Niemand ist dazu geeignet, Christ zu sein aus eigener Vernunft noch Kraft. Wir alle sind von Natur nicht fähig, Gott zu fürchten und zu lieben. Für alle ist das Evangelium gleich neu, fremd, und wirklich nicht eine eigene Kraft, sondern eine Kraft Gottes. Es ist auch nicht die persönliche Kraft des Apostels Paulus. Gott bedient sich des Paulus. Paulus konzentriert sich ganz und gar auf das Evangelium, und dadurch begegnet er den unterschiedlichsten Menschen. Griechen und Nichtgriechen. Das bedeutete in der damaligen Zeit: Zivilisierte und Nichtzivilisierte. Gebildete und Ungebildete. Weise und Unweise. Denn die Zivilisation macht  vor Gott nicht gerecht – aber  das Ablehnen von Zivilisation auch nicht. Das Evangelium soll überall ankommen und gehört werden. Darum traut Paulus sich zu, gebildeten und ungebildeten Menschen nicht nur zu begegnen, sondern ihnen Gottes Kraft zu bringen.

    „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“  Er schämt sich nicht. Er spricht über Gottes Dinge, ohne rot zu werden. Unsereins schämt sich. Das ist beschämend.

    Paulus schämt sich nicht. Wie geht das? Er hat erkannt, und er verläßt sich darauf, daß Gottes Wort wirklicher und größer ist, als alles andere. Größer als alles, was mich in Verlegenheit bringen könnte. Petrus wollte für Jesus sterben – aber als eine machtlose Magd vorsichtig fragt: Gehörst du zu Jesus? Da schämt er sich und stolpert und fällt.

    Sind die dümmsten Fragen oder Bemerkungen von Zeitgenossen wichtiger als das, was der Sohn Gottes gesagt und getan hat? Wird Gott dich wirklich sofort im Stich lassen, wenn du einmal bekennst? Hat das Grinsen von Menschen, die keine Ahnung haben, was sie verspotten, oder irgendwas aus der Zeitung oder dem Internet nachplappern, haben die soviel Macht und Kraft? Muß ich mich vor ihnen schämen? 

    In der Familie und vor Freuden fällt es noch schwerer. Doch Paulus schämt sich nicht. Es ist eine Kraft Gottes. Sie ist wirksam und zuverlässig, und wir sollen und dürfen dabei sein.

    Was tut diese Kraft den eigentlich?

    „Die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Hab 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«“

    Selig: In Sicherheit sein bei Gott. Wissen: Gott hat sich für mich entschieden. Die größte Infragestellung ist nicht der Spott von Menschen. Die größte Infragestellung ist die Anklage von Gottes Gesetz, die dir beweist, daß du danebenliegst – egal wie du dich fühlst, oder was andere von dir denken. Das Evangelium bringt dir die Nachricht: Jemand hat das für dich übernommen. Jemand hat sich für dich hingegeben, damit du Vergebung bekommst. Diese Infragestellung, diese Verunsicherung, diese Anklage trifft dich nicht mehr. Dieser Jemand ist der Sohn Gottes, Jesus. Und er hat das getan für alle Menschen, als er als maximal Angeklagter gelitten und gestorben ist. Das läßt Gott selbst dir sagen. Der Fluch hat ein Ende. Deine Fehler werden dich nicht umbringen. Gottes Liebe ist größer. Die Verzweiflung ist angezählt. 

    Darum dreht sich das alles hier, liebe Gemeinde.

    Amen.

    Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

    2. Sonntag nach Epiphanias

    Predigt: Pfarrer Johann Hillermann

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus,
    und die Liebe Gottes,
    und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
    sei mit euch allen. Amen.


    18 Mose sprach: Laß mich deine Herrlichkeit sehen!
    19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
    20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
    21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.
    22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.
    23 Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

    Mose 33, 18-23

    Gebet: HERR, segne Dein Wort an uns – Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

    Liebe Gemeinde!
    „Laß mich deine Herrlichkeit sehen!“ – Wir hören das aus einem Gespräch zwischen dem Mann Mose und dem lebendigen, allmächtigen Gott. Es war ein Gespräch „von Angesicht zu Angesicht, wie mit einem Freund“ (2. Mose 33, 11) – also voller Vertrauen und Freude.
    Das war ein Gespräch nach einer furchtbaren Krise.
    Während Mose auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote von Gott empfing, hatte das ungeduldige Volk Israel Moses Bruder, Aaron, dazu gebracht, ein Bild Gottes zu machen, das Goldene Kalb. Man meinte, den richtigen Gott zu meinen, aber es war eigenmächtig. Unser Gottesbild, die menschliche Meinung und Vorstellung über Gott ist niemals Gott selbst, sondern immer nur rein menschlich, und nicht nur das, sondern ohne und gegen Gott. Gott ist nur so, wie Er sich selbst offenbart, und Seine Offenbarung ist der Maßstab.
    Mose hatte die steinernen Tafeln mit den Geboten zerbrochen und das Goldene Kalb vernichtet. Gott hatte allen Grund, mit Seinem Volk Israel ganz und gar Schluß zu machen.
    Doch Mose wirft seine ganze Person in das Gespräch mit Gott, Mose nimmt Gott bei Seinem Wort, das Er den Vorfahren: Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte.
    Ein ringendes Gespräch um Leben und Tod.
    Und so kommt es denn auch, daß Gott den Weg mit Mose und dem Volk Israel weitergeht. Es ist ein Weg der Gnade, der unverdienten Gnade, ein Weg, dessen einziger Grund Gottes Liebe und Treue ist.
    „Von Angesicht zu Angesicht, wie mit einem Freund“ – da konnte alles gesagt werden – aber auch alles Gesagte und Gehörte erinnert und ernstgenommen werden.
    Das ist der Vorspann zu der Bitte des Mose.
    „Laß mich deine Herrlichkeit sehen!“
    Mose hat das Gespräch mit Gott, in diesem Gespräch hat Gott Seine Gnade für Mose, Seine Entscheidung zur Freundschaft mit Mose, klar zum Ausdruck gebracht. Mose ist in Sicherheit bei Gott. Was kann er noch mehr wollen?
    Mose will sehen.
    Je vertraulicher das Gespräch, je deutlicher und klarer die Worte, desto dringender fühlt Mose diese Grenze, daß Gott unsichtbar ist.
    Was wäre denn dieses „Mehr“, was über Gottes Gnade und Freundschaft hinausginge?
    Es ist sicher die letzte Gewißheit, der Beweis, wenn alle Zweifel mit einem Mal verschwunden sind.
    Mose will das sehen, was er glaubt.
    Ein Grundsatz der ganzen Bibel lautet: „Der Glaube kommt aus dem Gehörten – aus dem verkündigten Wort Gottes“ (Römer 10, 17) –und für uns heißt das: Der Glaube entsteht, wo die Bibel als Gottes Heilige Schrift im Sinne der Bibel ausgelegt, verkündigt wird. Das ist schon bei Mose so. Auch Mose bezieht sich in der Krise auf das, was Gott zu den Vorfahren verbindlich gesprochen hatte. Das Ohr ist das Organ des Glaubens.
    Doch obwohl wir Menschen „ganz Ohr“ sein können, und im Hören ganz und gar bei einer Sache sein können – so sind wir doch mehr als nur Ohren. Wir haben Augen zum Sehen, Nasen zum Riechen, Zungen zum Schmecken, Haut zum Tasten ….
    Mose will sehen. Sein ganzer Mensch soll Gott noch mehr erfahren.
    Das spricht Mose nicht aus dem Mißtrauen heraus, wie das Volk Israel, das mißtrauisch wurde, weil Mose so lange fort war – und deshalb sagte: „Wir wissen nicht, was diesem Mose widerfahren ist“ (2. Mose 32, 1). Das Goldene Kalb, wie alle Gottesbilder, soll den Glauben, der da fehlt, mit einer anderen Gewißheit ersetzen. Der fehlende Glaube soll mit einem eindeutigen Bild ersetzt werden.
    Das will Mose hier nicht. Er will Gott selbst sehen, wie Er ist. Er will als ganzer Mensch ganz und gar Gott begegnen, nicht nur über das Wort, das Ohr, das Gespräch.
    Die Antwort ist klar: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“
    Das überlebst du nicht, Mensch. Das ist zuviel. Die Sonne kann dich mit ihrem Schein blenden. Und sie ist nur ein Geschöpf. Donner kann dich taub machen, und der Donner ist nur eine Wirkung des Schöpfers. Deinem Schöpfer, deiner Ursache zu begegnen, das verkraftest du nicht, Mose. Das geht nicht gut.
    Wir leben unser leben, verstehen einiges, aber: Wenn wir nur mit dem leben dürften, was wir durchschauen, dann könnten wir nicht leben. Es ist alles größer als du. Ohne Vertrauen läuft überhaupt nichts. Wir können nicht nachvollziehen, wie leblose Materie sich so zusammensetzt, daß daraus unser Auge wird. Und wenn Menschen auch das Auge genau studiert haben, dann haben sie das mit Augen getan, die funktionierten, bevor sie sie verstanden.
    Unser Herz würde es nicht verkraften, ohne Filter mit der Liebe Gottes konfrontiert zu werden, die uns so gewollt hat. Wir können den Schritt nicht Eins zu Eins nachvollziehen, wie Gott aus dem Nichts Etwas gemacht hat: Das Licht, Oben und Unten, Zeit, Leben. Es wäre ein Überforderung, die uns auflösen würde.
    Und nicht nur das.
    Gottes Herrlichkeit ist ja nicht nur Seine Schöpfermacht.
    Seine Herrlichkeit ist auch Seine Gnade und Geduld.
    Wenn Gott uns diese Herrlichkeit zeigen würde – nämlich Seine unendliche Bereitschaft, uns zu helfen, heilig zu sein, das würde uns dermaßen beschämen, daß uns unsere Kraft verlassen würde.
    Gott ist doch ständig dabei, uns vor den Konsequenzen unserer Dummheit zu schützen. Krisenmanagement. Wir bekommen die Folgen unseres Kleinglaubens doch nicht sofort zu spüren. Gott gibt uns mehr „als wir bitten und verstehen.“ (Epheser 3,20). Es ist nichts selbstverständlich. Gott erhält die Ordnung von Vater und Mutter, Eltern und Kinder, obwohl wir Menschen – jeder für sich und insgesamt – sie ständig in Frage stellen.
    Und bei jeder Sünde, die du tust, wendet Gott nicht nur eine totale Katastrophe ab, sondern Gott ist mit allen Kapazitäten da, und würde dir helfen, umzukehren. Gott ist ganz da, dich zu begleiten, wenn du die Wahrheit sagst – aber du siehst keinen anderen Weg, als zu lügen.
    Liebe Gemeinde, wenn uns das alles offen vor Augen liegen würde, dann würde es uns zerstören.
    Kein Mensch kann Gott sehen und leben.
    Das ist einfach eine Grenze. Nicht nur, weil Gott unendlich ist, und wir endlich, nicht nur, weil Gott absolut ist, und wir relativ – sondern vor allem auch, weil Gott heilig ist, und wir eben nicht heilig. Wir können nicht gewinnen.
    „Wir wandeln im Glauben, und nicht im Schauen“, sagt uns der Apostel Paulus (2. Korinther 5, 7).
    Doch das Gespräch ist damit nicht zu Ende.
    Mose hat Unmögliches gebeten.
    Das dürfen wir als Gottes Kinder alle.
    Mose hat Unmögliches gebeten, und Gott erhört das Gebet nicht so, wie Mose es dachte.
    Aber Mose bekommt eine Antwort. Das ist es.
    „Siehe, es ist ein Raum bei mir“. Mose, du hast eine festen, geschützten Raum bei mir, bei dem lebendigen, allmächtigen, heiligen Gott. So wahr ich Gott bin, hast du Platz, einen festen Platz bei mir. Gott selbst schafft die Bedingungen, unter denen der Mensch die Herrlichkeit aufnehmen, und verkraften kann.
    Eine Kluft im Felsen, eine Höhle, und dann hält Gott Seine Hand über Mose, und Mose darf hinterherschauen, die Spuren, die Wirkungen. Ich denke da an das Psalmwort: Liebe Seele – vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat. Laß dir aus Gottes Wort zeigen, welche Gaben Gott dir gegeben hat. Laß dir sagen, welch ein Schutz es jeden Tag und jede Nacht war.
    Die wichtigste und größte Spur Gottes ist, daß er selbst Mensch wurde. Gott selbst hat Seine Herrlichkeit so verpackt, daß Jeder überleben kann, ja, er hat sie so verpackt, daß nicht wir an ihm sterben, sondern er an uns. Der Gott, der Mose so behutsam in einem Felsen einen Schutzraum schenkt, ist derselbe Gott, der in dem Leib der Jungfrau Maria sein wollte, und von ihr zur Welt gebracht werden wollte, um bei uns zu sein.

    Man muß schon göttlich sein, um Gott sehen zu können, und das überleben.
    Das ist wird uns auch verheißen.
    Paulus schreibt uns: Philipper 3, 21: Jesus der Sohn Gottes wird … „unsern nichtigen Leib verklären, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe nach der Wirkung, mit der er kann auch alle Dinge sich untertänig machen.“
    Johannes schreibt an alle Christen: „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ (1. Johannes 3,2).

    Die Kirche hat eine Bitte, die fast so unmöglich ist, die des Mose:
    Es ist die Bitte: Gott, mache uns göttlich.
    Ich lese dieses Gebet aus unserm Gottesdienstbuch vor:
    „HERR, gib uns Anteil am göttlichen Leben durch die Menschwerdung deines Sohnes, mit dessen Fleisch und Blut du uns genährt hast. Durch ihn, unser Herrn Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geiste lebt und regiert in Ewigkeit. Amen.“
    Sie wird in der Epiphaniaszeit nach dem Abendmahl vor Gott gebracht.
    Das ist dieselbe Bitte, wie Mose. Aber jetzt mit der Grundlage, die Gott uns geschenkt hat. Und darum wird sie auch erhört.
    Wer da bittet, der empfängt, sagt Jesus. (Matthäus 7,8).
    Amen.

    Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

    Neujahr

    Predigt von Pfarrer Johann Hillermann

    Gnade sei mit euch und Friede,
    von Gott unserem Vater
    und dem HERRN Jesus Christus.
    Amen.

    16 Jesus kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf und wollte lesen.
    17 Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht (Jes 61,1-2):
    18 »Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt,
    zu predigen den Gefangenen, daß sie frei sein sollen, und den Blinden, daß sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen,
    19 zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.«
    20 Und als er das Buch zutat, gab er’s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn.
    21 Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.

    Lukas 4, 16-21

    Gebet: Herr Jesus, laß Deinen Namen vor uns hergehen in diesem Neuen Jahr. Amen

    Liebe Gemeinde!

    Eine Stimme, die sagt: „Siehe, ich mache alles neu!“ (Offenbarung 21, 5) kann nur eine göttliche Stimme sein.

    Ab heute haben wir neue Kalender. Wir werden sicher noch eine zeitlang aus Versehen „2022“ statt „2023“ schreiben. Vielleicht gelten ab heute neue Preise und Verträge.

    Darüber hinaus werden sich manche von euch vielleicht etwas vorgenommen haben, was ab heute anders sein soll im eigenen Leben – Vorsätze für das neue Jahr. – Mögen die guten Vorsätze auch gute Frucht bringen!

    Doch was ist wirklich neu? Und woran werde ich es erkennen?

    Kluge und erfahrene Menschen sagen: Du mußt etwas Neues mindestens 3 Wochen täglich umsetzen, bis es Teil deines Lebens wird. Andere sprechen von gut 2 Monaten. Eine überschaubare Zeit! Eine Zeit, in der einem klar werden kann, wieviel von mir will einfach beim Alten bleiben! Alte Gewohnheiten, gerade die schlechten, sind hartnäckig, und manche wird man einfach nicht los, bei aller Einsicht!

    Alles neu machen, das ist göttlich. Mit Gott wird das Alte alt und bleibt das Neue neu. Mit Gott ist Neues möglich, trotz allem Alten.

    Darum beginnen Christen das Neue Jahr im Namen Jesu. Mit dieser Person: Jesus von Nazareth, Jesus, Sohn der Maria, Jesus Christus, ist das eine Neue auf die Welt und zu uns Menschen gekommen. Jesus ist der Neue, über den alles Alte keine Macht hat, sondern Er hat Macht über das Alte. Über uns alle hat das Alte macht. Alte Schuld holt uns ein. Die Tatsache, daß wir sterben müssen, ist letztlich der Beweis, daß wir dem Alten nicht entrinnen können, sondern daß es uns doch einholen wird.

    Wenn Jesus kommt und das Neue bringt, was gut ist, dann ist das keine Flucht aus dem Alten. Jesus verwirft das Alte nicht wie ein Revolutionär, sondern er zeigt sich als Herr über das Alte und schafft genau den Übergang, das eine neue Zukunft beginnen kann. Darum beginnen Christen das Neue Jahr im Namen Jesu – Weil Er über Vergangenheit und Zukunft gebietet.

    Der Predigttext beschreibt die erste Predigt Jesu in Nazareth, Seinen ersten öffentlichen Auftritt in Seiner Vaterstadt – „wo er aufgewachsen war“.

    Bis dahin hatte er schon in anderen Synagogen in der Gegend gepredigt, und war gut angekommen. Es heißt: „Er wurde von jedermann gepriesen“ (Lukas 4, 15).

    Doch in Nazareth kannte man ihn als den Sohn der Maria und Josephs, der als Zimmermann unauffällig seinen Beruf ausübte. Jesus war „einer von uns“. Man hatte ihn aufwachsen sehen. Man kannte ihn. Nazareth war für Jesus eine Zusammenfassung des Bisherigen. Eine Zusammenfassung des Alten, der Vergangenheit. Und die Menschen in Nazareth verkörperten das.

    Was wird Jesus tun? Wie wird Er auftreten?

    Es ist alles sehr konventionell, sehr unauffällig – scheinbar nichts Neues.

    Denn Jesus geht am Sabbat in die Synagoge „nach seiner Gewohnheit“. Er tat, was ein israelitischer Mann tat: er ging zu dem Versammlungsort, der Synagoge. Seit der Zerstörung des ersten Tempels etwa 600 vor Christus, und der Verschleppung und Gefangenschaft Israels in Babel gab es diese Versammlungsorte, in denen Israeliten gemeinsam die Heiligen Schriften lasen und hörten. Vor allem wurde das Gesetz des Mose in festen Abschnitten gelesen – das ist eine Wurzel unserer Lesungen, die auch alle Jahre wiederkehren, und so zu einer Gewohnheit werden. Zur Zeit Jesu war es auch schon längst Gewohnheit geworden, daß neben dem Gesetz auch ein Abschnitt aus den Propheten verlesen wurde.

    Gottes Wort sollte zur Gewohnheit werden. – Jesus fügt sich in diese Gewohnheit ein! Im Namen Jesu sollte jeder Christ anfangen, die Heilige Schrift regelmäßig zu hören und zu lesen. Es soll eine Gewohnheit werden!

    Das Gesetz des Mose war zur Zeit Jesu schon alt. Es kam aus einer anderen Zeit, über 1000 Jahre alt. Aber durch Lesen und Hören war das Alte gegenwärtig, und weil Gott selbst darin sprach, war dieses Alte gegenwärtig und wirksam, und nicht vergangen.

    In der Synagoge durfte jeder erwachsene Israelitische Mann aus der Heiligen Schrift vorlesen. Jeder, der lesen konnte. Dazu gehörte nicht nur, Buchstaben entziffern. Man muß bedenken, dáß die hebräische Schrift nur Konsonanten hat, keine Vokale. Man muß also Wörter und ihren Sinn erkennen. Durch Tradition hatte sich auch eine feste Sprachmelodie und Betonung herausgebildet, die dem Sinn der Worte diente und das Hören erleichterte. Man mußte also schon viel zugehört haben, um in der Lage zu sein, vorzulesen. Auch wurde zu Jesu Zeiten der Hebräische Text sofort nach dem Lesen in die damalige Sprache Aramäisch übersetzt, die war damals im Land allgemein verständlich.

    Man muß sich also vorstellen: Jesus ist in der Synagoge – alle kennen ihn als kleinen Jungen, als jungen Mann, der als Zimmermann arbeitet. Doch in letzter Zeit ist er als Prediger aufgefallen. Was ist daran? Bringt er wirklich etwas Neues, was man ernst nehmen muß?

    Er steht auf. Er geht an das Lesepult. Ein Diener holt von einem Regal hinter einem Vorhang eine Schriftrolle. Jesus rollt sie auf und „findet“ – also hat er sie gezielt gesucht! – die Stelle aus dem Buch des Propheten Jesaja. Er liest den Text vor. Den alten Text. Dann setzt er sich – das war das Zeichen: Ich will über den Text predigen, ihn auslegen. Es ist kein Wunder, daß „aller Augen auf ihn sahen.“ Was ist das Neue an Jesus? Jetzt muß es kommen!

    Jesus liest wenige Verse aus dem Buch Jesaja. Aus diesen Worten spricht eine geheimnisvolle Person. Es ist nicht der Prophet selbst, es ist auch nicht einfach Gott der HERR, der da spricht, sondern eine einmalige Person, durch die Gott in Israel entscheidend handeln wird: Der Knecht Gottes.

    »Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat“ – Der Geist, der bei der Schöpfung von Himmel und Erde aktiv war, der Atem, mit dem Gott selbst spricht, der Geist, der allem gegenüber frei und überlegen ist, der mitteilt, was Gottes Wille ist, der Geist, der lebendig macht – die Kraft, die mit der Wahrheit unzertrennlich verbunden ist. Dieser Geist ist auf dem Knecht Gottes, dessen Wort wir hören.

    Er ist gesalbt. Damit zeichnet ihn Gott aus vor allen anderen Menschen. Gott nimmt ihn in Seinen Dienst. Der Knecht handeln nicht, um sich selbst darzustellen, oder etwas zu verwirklichen, was in ihm ein Potential ist, sondern er dient ganz und gar nur Gott. Der Gesalbte heißt auf Hebräisch: Der Messias, Griechisch: Der Christus.

    Israel lebte in der Erwartung, daß der Knecht Gottes, der Messias kommt.

    Der Messias soll in Gottes Auftrag das Neue bringen:
    „… zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie frei sein sollen, und den Blinden, daß sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“

    Die Armen, die Gefangenen, die Blinden, die Zerschlagenen.

    Wenn für die nichts Neues kommt, dann ist es nicht neu.

    Wir müssen das in Bezug auf Gott hören und lesen:

    Die Armen: Die sich darüber im Klaren sind, daß Gott ihnen alles geben muß, nicht nur das tägliche Brot und die Gesundheit und den Frieden, sondern alles.

    Die Gefangenen: Die sich darüber im Klaren sind, wie unfrei sie sind, Gott ganz und gar zu vertrauen, und in immer neuer Frische ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst.

    Die Blinden: Das sind die, die darüber aufgewacht sind, daß sie über Gott und Sein Wirken einfach unwissend sind, sich nicht auskennen, und ohne Gottes Hilfe immer wieder daneben liegen werden.

    Die Zerschlagenen: Die darunter leiden, wie bei sich und anderen Gott und Seine Gaben verachtet und mißbraucht werden. Jedes Gebot der 10 Gebote schützt eine Gabe Gottes, und jede Übertretung der Gebote greift Gott an und zerstört Gottes Gaben. Zerschlagene sind die, die das spüren, und darüber trauern und darunter leiden. Es macht sie kaputt, das die Menschheit ohne Gott ist.

    Bei diesen Menschen wird Gott das Neue anfangen. Mit diesen Menschen kann Gott überhaupt anfangen. Für die Armen, die Gefangenen, die Blinden, die Zerschlagenen ist der Zusammenhang zwischen der Schuld und dem Tod eine Realität, der sie nicht ausweichen können. So wie die Armen heute auch offensichtlich zu tragen haben an den Fehlern, die andere vor ihnen gemacht haben, dazu an eigenen Fehlern. Das Alte zeigt unerbittlich seine Macht an ihnen. An ihnen muß sich zeigen, ob eine neue Politik wirklich neu ist.

    Bei dem Propheten Jesaja sendet Gott Seinen Knecht zu den Armen vor Gott, den Gefangenen vor Gott, den Blinden vor Gott und den Zerschlagenen vor Gott.

    Zu ihnen kommt der Gesalbte, der Messias, der Christus „zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“

    Jesaja erinnert an das Gesetz des Mose. Es gab das Erlaßjahr. Darüber wurde gesagt: „Und ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt eine Freilassung ausrufen im Lande für alle, die darin wohnen; es soll ein Erlassjahr für euch sein. Da soll ein jeder bei euch wieder zu seiner Habe und zu seiner Sippe kommen. Als Erlassjahr soll das fünfzigste Jahr euch gelten. Das ist das Erlassjahr, da jedermann wieder zu dem Seinen kommen soll.“ (3. Mose 25, 10.11.13). Alle 50 Jahre – alle „Jubeljahre“ –sollte jeder Israel wieder zu seinem Anteil kommen – als wäre nichts gewesen. Alle Schulden erlassen und vergessen. Das Alte sollte nicht mehr quälen, belasten, zerstören.

    Man kann sich denken, wer sich besonders nach diesem Jahr gesehnt haben: Die Armen, die Verschuldeten, die Geknechteten.

    Diese Hoffnung und Sehnsucht steckte in Israel drin.

    Was würde Jesus dazu sagen? Würde er aufrufen zu einer Aktion? Würde er anklagen, wer dieser Befreiung im Wege steht?

    Aller Augen in der Synagoge waren auf ihm.

    „Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“

    Ich bin der Knecht Gottes. In mir handelt Gott an den Armen, Gefangenen, Blinden und Zerschlagenen. Ich bin der HERR über das Alte. Ich mache alles neu, bis hin zur Auferstehung von den Toten. Jesus stellt sich ganz in die alte Heilige Schrift hinein, in das Gesetz und die Propheten, und da fängt das wirklich Neue an, das niemals alt werden wird.

    Wer also das Neue von Gott haben will, der muß zu den Menschen gehören, mit denen Gott etwas anfangen kann. Für die wird ein Jahr im Namen Jesu ein Erlaßjahr werden. Die alte Schuld wird vergeben. Der Knecht Gottes nimmt sie auf sich. Er macht alles Neu.

    Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


    Bild:

    Christus in der Synagoge von Nazareth, ca. 1350. Künstler: anonym

    Stephanustag

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus
    Schwestern und Brüder,
    Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
    Amen.

    1 Dies ist das Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. 2 Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder. 3 Juda zeugte Perez und Serach mit der Tamar. Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte Ram. 4 Ram zeugte Amminadab. Amminadab zeugte Nachschon. Nachschon zeugte Salmon. 5 Salmon zeugte Boas mit der Rahab. Boas zeugte Obed mit der Rut. Obed zeugte Isai. 6 Isai zeugte den König David. David zeugte Salomo mit der Frau des Uria. 7 Salomo zeugte Rehabeam. Rehabeam zeugte Abija. Abija zeugte Asa. 8 Asa zeugte Joschafat. Joschafat zeugte Joram. Joram zeugte Usija. 9 Usija zeugte Jotam. Jotam zeugte Ahas. Ahas zeugte Hiskia. 10 Hiskia zeugte Manasse. Manasse zeugte Amon. Amon zeugte Josia. 11 Josia zeugte Jojachin und seine Brüder um die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. 12 Nach der babylonischen Gefangenschaft zeugte Jojachin Schealtiël. Schealtiël zeugte Serubbabel. 13 Serubbabel zeugte Abihud. Abihud zeugte Eljakim. Eljakim zeugte Azor. 14 Azor zeugte Zadok. Zadok zeugte Achim. Achim zeugte Eliud. 15 Eliud zeugte Eleasar. Eleasar zeugte Mattan. Mattan zeugte Jakob. 16 Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus. 17 Alle Geschlechter von Abraham bis zu David sind vierzehn Geschlechter. Von David bis zur babylonischen Gefangenschaft sind vierzehn Geschlechter. Von der babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus sind vierzehn Geschlechter.

    Matthäus 1, 1-17

    Gebet: Der Herr segne unser Reden und Hören. Amen.

    Schwestern und Brüder,
    mit welchen Gefühlen sind Sie heute hierher gekommen? Die aufregenden Ereignisse an Weihnachten scheinen vorbei. Am HeiligAbend gab es hier die Vesper mit Krippenspiel, anschließend Bescherung im Familienkreis. Am Weihnachtstag gestern wieder feierlicher Gottesdienst hier, dann im erweiterten Familienkreis festliches Essen und weiterer Austausch von Geschenken. Das zumindest ist der Ablauf, den ich von den meisten Familien gehört habe. Damit sind die aufregenden Ereignisse an Weihnachten jetzt geschafft. Und es beginnen die ruhigen Tage zwischen Weihnachten und Jahreswechsel. Also die vorherrschende Gemütslage heute am zweiten Weihnachtstag ist ein großes Entspannen und Luftablassen.
    Dieser große Seufzer, kommt der aus Bedauern oder aus Erleichterung? Das Krippenspiel war eine große Freude für alle. Aber wir alle haben auch mitbekommen, wie viel Mühe, Geduld, Proben und Herzblut während der Vorbereitung notwendig war, bis das Krippenspiel aus verstreuten Anfängen zu einer gemeinsamen Aufgabe gediehen war. Nach dem Spiel mischen sich darum die Freude über das gelungene Werk, und die Erleichterung über das Ende der Proben. Ebenso bedeuten erweiterte Familienkreise gemischte Erfahrungen. Nicht alle Glieder aus der erweiterten Familie passen zueinander. Einigen Verwandten begegnen wir gern, anderen gehen wir lieber aus dem Weg. Viel Arbeit bedeutet so ein Treffen allemal. Auch diese Erfahrung ist gemischt aus Freude über das Treffen, und Erleichterung, daß Spannungen und Arbeit vorüber sind.
    Und in diese gemischte Stimmung treffen Verse, deren Bedeutung beim ersten Hören nicht deutlich ist, und an die wir daher eine ganze Reihe von Fragen stellen. Bekommen wir im Gottesdienst etwa Unterricht in der Geschichte Israels? An Weihnachten? Gibt es in der Geschichte Israels nicht genügend auffallende Ereignisse und Personen? Was sollen diese langweiligen Geschlechterfolgen? Sollen wir etwa nachprüfen, ob Matthäus die Namen und Abfolge auch richtig hinbekommen hat? An Weihnachten feiern wir die Geburt Jesu als Mensch. Kann uns diese Liste der Generationen Einsicht darein geben, was uns an Weihnachten geschenkt wird?
    Tatsächlich geht die Auskunft über Jesus gleich im ersten Vers los. Allerdings verpassen wir im Deutschen die erste Aussage des Matthäus über Jesus. Auf Griechisch schrieb Matthäus Βίβλος γενέσεως. Keine Sorge, es gibt jetzt nicht eine Einführung in die Griechische Sprache. Aber Βίβλος γενέσεως erinnert doch uns alle an Buch Genesis. Im Buch Genesis werden beschrieben die Schöpfung der Welt, die Wahl Israels zu Gottes Volk und die Errichtung des Bundes Gottes auf Sein Volk. Mit dieser Wortwahl ist die allererste Aussage des Matthäus: Jesus ist mindestens so wichtig wie Schöpfung und Erwählung durch Gott.
    Nachdem Matthäus Jesus als Eckpunkt in der Geschichte Israels und der Welt vorgestellt hat, kennzeichnet er Ihn als Sohn Davids, und Sohn Abrahams. Abraham und David und ihre Nachkommen sind Menschen wie wir alle. Sie sind weder Schöpfer der Welt, noch können sie ein Volk erwählen und zu Gottes Volk machen. Aber in Abraham und David und ihren Nachkommen wird Gottes Zuwendung zu Seinem Volk real. Abraham und seinen Nachkommen macht Gott die Zusage Seines Bundes (Gen12-17). Unter David wird die Einnahme des gelobten Landes vollständig. Und auf dem Thron Israels soll immer ein Sohn Davids sitzen (2Sam 7,16). Matthäus betont, daß Jesus als Glied des Volkes geboren ist, auf das Gott Seinen Bund errichtet hat. Und daß Jesus zu einer Gruppe in diesem Volk gehört, die besondere Verantwortung für dieses Volk trägt.
    Matthäus beginnt mit einer mehrfachen Kennzeichnung Jesu. Jesus ist ein Eckpunkt in der Geschichte der Welt und Israels, Er ist Mitglied dieses Volkes und trägt Verantwortung für das Volk.
    Dieser Anfang weckt Erwartungen. Aber dann redet Matthäus nicht weiter über Jesus. Sondern er fährt fort mit der Abfolge der Generationen. Statt die Vollmacht des Menschensohnes weiter zu schildern, verfällt er in eine monotone Chronologie? So eine Wendung kann doch dem Vorhaben des Evangelisten, das Leben Jesu zu erzählen, nicht entsprechen. Was also sagt Matthäus uns mit dieser Aufzählung über Jesus, Seinen Vater und dessen Geschichte mit dem Volk Israel?
    Tatsächlich zeigt uns Matthäus von Anfang an die Eigenarten Gottes und Seines Handelns. Gleich in der ersten Generation: Abraham zeugte den Isaak, schreibt Matthäus. Abraham zeugte nicht nur den Isaak. Abraham zeugte auch den Ismael. Aber den Ismael hat Gott nicht erwählt, sondern den Isaak hat Gott erwählt. Nur die Kinder der Verheißung werden zur Nachkommenschaft Abrahams gezählt (Röm 9,8). Die Folge der Generationen in Gottes Volk ist nicht nach dem Fleisch, oder wie wir heute sagen biologisch-genetisch bestimmt. Sondern Gottes souveräne Gnadenwahl bestimmt die Generationenfolge in Gottes Volk. Abraham zeugte den Isaak, das sieht wie eine triviale chronologische Notiz aus. Tatsächlich zerstört sie die Illusionen derer, die sich für erwählt halten. Wir sind Abrahams Kinder, wir sind von Gott erwählt, wir handeln immer richtig und uns kann keiner. Das ist die Mauer in den Köpfen gegen die Einsicht in unsere Hilfsbedürftigkeit. Wenn ihr Abrahams Kinder wärt, so tätet ihr Abrahams Werke. (Joh 8,39), und: die aus dem Glauben sind, das sind Abrahams Kinder (Gal 3,7), an diese Realität erinnert gleich die erste Generation in der Aufzählung des Matthäus.
    In der Folge der Generationen fallen mehrere Namen und Ereignisse auf. Davon greife ich hier nur zwei heraus. König David und die babylonische Gefangenschaft. König David ist einer der Höhepunkte in der Geschichte Israels. Das geeinte Reich auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung, aber mehr noch geschlossen in der Treue zu Gott und Seiner Weisung. Dagegen ist die babylonische Gefangenschaft einer der Tiefpunkte. Sie bedeutet die Vernichtung Israels als Staat, und die Tötung oder Wegführung der gesamten Oberschicht. Aber das sind nur Anzeichen. Der tatsächliche Tiefpunkt ist die Hinwendung Israels zu anderen Göttern. Die taugen dann nicht. Sie vermögen nicht, das Leben des Volkes zu ordnen, und daher liefern sie Israel hilflos den Mächten dieser Welt aus.
    Gott zeigt sich in der Geschichte Seines Volkes als der strenge Gott. Folgen wir nicht Seiner Weisung, dann werden wir Untertanen und Opfer der Mächte dieser Welt. Unter deren Herrschaft haben wir keinen Ort in dieser Welt und wir kommen um. Gott zeigt sich zeigt sich in der Geschichte Seines Volkes als der freundliche Gott. Gottes Volk hält sich gerne und häufig für klüger als Gott und Seine Weisung, und jedes Mal bringt es sich dadurch in Schwierigkeiten. Gottes Zuwendung ist zuverlässig und hilft dem Volk jedes Mal heraus.
    Die Abfolge der Generationen in Israel ist eine Folge von Vätern und Söhnen. Zwischen den vielen Männern fallen vier Frauen auf: Tamar, Rahab, Rut, und die Frau des Uria. Diese vier Frauen haben eines gemeinsam: ihre Herkunft ist nicht das Volk Israel. Tamar kommt aus Kanaan, Rahab aus Jericho, Rut aus Moabit, und Uria ist ein Hetiter. So unterschiedlich wie ihre Herkunft sind auch die Lebensläufe und das Verhalten dieser Frauen. Rahab wird als Hure Rahab vorgestellt, dagegen ist Rut ein Vorbild an Tugend und Treue. Treue sowohl in der Treue zu der Familie ihres Mannes als auch Treue zu dem Gott Israels. In diesen Frauen öffnet sich die Zuwendung Gottes über das Volk Israel hinaus. Diese Aufnahme in Gottes Volk zeigt wiederum: nicht die Abstammung von Abraham entscheidet über Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu Gottes Volk. Aus Israel oder von außerhalb Israels und aus allen gesellschaftlichen Gruppen, es ist Gottes souveräne Entscheidung allein, die Menschen in Sein Volk holt. Das scheint uns heute selbstverständlich. Aber es ist nur selbstverständlich, weil Gott es uns vorgemacht hat.
    Die eintönige Aufzählung der Generationen durch den Ausdruck Vater zeugte Sohn, wird unterbrochen bei der Geburt Jesu. V 16 Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus. Es fällt auf, Jesus ist nicht von einem Mann gezeugt, sondern Er ist von Maria geboren. Die Vorstellungen Israels von Zeugung und Wachsen eines Kindes werden wir nicht im Gottesdienst besprechen. Es reicht zu sagen, daß für die biblischen Schriften die Identität des Kindes allein vom Vater bestimmt wird. Für uns heute ist selbstverständlich, die Identität eines Kindes kommt zu gleichen Teilen von Vater und Mutter. Aber nochmal, in den biblischen Schriften leitet sich die Identität des Kindes allein vom Vater her. Darum ist mit der Aussage, geboren aus Maria, gesagt: Jesus ist geboren als Mensch wie wir alle. Über die Eigenarten Jesu ist damit noch nichts gesagt. Um so wichtiger ist die folgende Kennzeichnung Jesu, als: der da heißt Christus. Christus ist, wie wir alle wissen, die griechische Übersetzung von Messias. Auch das wissen wir alle, der Messias ist die zentrale Mitte der Hoffnungen Israels. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen in Israel darüber, was genau der Messias tun wird. Aber ohne Ihn hat Israel keine Zukunft.
    Matthäus erreicht durch diese Kombination aus Generationenfolge und besonderer Einführung Jesu zwei Dinge. Zum Einen zeigt Matthäus, Jesus ist Mensch wie wir alle, Er ist geboren als Teil der Geschichte Israels. Zum Anderen zeigt Matthäus, daß in Jesus Gottes Zuwendung zu uns Menschen eine bislang unbekannte Intensität erfährt. Die Geschichte Israels zeigt die Freundlichkeit und Strenge Gottes gegenüber Seinem Volk. Bisher hat Gott Seine Freundlichkeit und Strenge durch Weisung und Boten vermittelt. Durch die Geburt Jesu kommt Er selber, um sich um uns zu kümmern.
    Aus dem trockenen Gerippe der Generationen-Folge tritt hervor die dauerhafte und zuverlässige Zuwendung Gottes zu Seinem Volk. Allein durch Gottes Zuwendung wird Sein Volk befreit aus den selbstgemachten Problemen, aus dem Exil in Babylon, und von allen Mächten dieser Welt. Unsere Erfahrungen an Weihnachten sind gemischt, Mühe und Erwartung, Freude und Enttäuschung. In dem unentschlossenen Gemisch verschiedener und gegensätzlicher Erfahrungen an Weihnachten kommt uns Gott in Seiner Fülle entgegen. Er kommt als der strenge Gott, Der uns alle Illusionen nimmt, wir könnten diese Welt und unser Leben selber gelingen lassen. Der uns darauf verweist, daß Seine Weisung der einzige Weg zum Leben ist. Er kommt ebenso als der freundliche Gott, der nicht nur unser Herr und Meister ist, sondern durch Seine Geburt unser Bruder wird. So ereignet sich die Zuwendung Gottes: Er selber verbirgt uns vor Seiner Strenge unter Seiner Barmherzigkeit.

    Und der Friede Gottes, Der unser Herr und Bruder zugleich ist, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.
    Amen.


    Beitragsbild: Die Steinigung des heiligen Stephanus (Rembrandt van Rijn)

    Christfest

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus
    und die Liebe Gottes
    und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
    sei mit euch allen. Amen.

    Kolosser 2, 3.6-10

    3 In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.
    6 Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm
    7 und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und seid reichlich dankbar.
    8 Seht zu, daß euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus.
    9 Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig
    10 und an dieser Fülle habt ihr teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.

    Kolosser 2, 3.6-10

    Gebet: O lieber Herr und Gott! Bitte laß bei uns ankommen, was Du am Heiligen Abend im Stall von Bethlehem gemeint hast, und laß unser Herz darüber groß werden. Um Deiner großen Liebe willen. Amen.

    Liebe Gemeinde!

    Jede richtige Weihnachtskrippe hat auch einen Weihnachtsengel. Ohne einen Engel ist sie nicht vollständig.

    Der Engel tritt ein für das, was wir nicht sehen können.

    Das Unsichtbare ist größer, als das Sichtbare. Wenn wir das Unsichtbare verpassen, dann verpassen wir die Hauptsache.

    Liebe ist unsichtbar, sie zeigt sich im Sichtbaren, im Hörbaren, aber dort will und muß sie erkannt werden. Worte machen die Situation eindeutig. Gerade, wenn Du gemeint bist.

    Das Jesuskind war verwechselbar allen Menschenkindern ähnlich. Genauso, wie es im römischen Reich tausende Kreuze gab, an denen tausende Menschen starben. Aber ein Kreuz war kein Fluch, sondern ein Segen.  Wer weiß, wie viele Kinder im Umkreis von Bethlehem geboren wurden in der Heiligen Nacht. Aber ein Kind machte diese Nacht heilig, heilsam. Das war unsichtbar, aber doch die ganz große Wahrheit.

    Ein Engel muß her, der im Auftrag Gottes die ganz große Wahrheit ausspricht, damit sie an uns nicht verlorengeht.

    Ein Engel ist ein Bote, von Gott gesandt.

    Ein Engel sagt, was Gott festgelegt hat. Was notwendig gehört werden muß.

    Heute sagt uns der Bote Paulus, den Gott beauftragt hat, wer das ist, der in der Heiligen Nacht zur Welt gekommen ist. Wer es ist, den wir feiern. Was Gott uns in der Heiligen Nacht gegeben hat. Was Gottes Geschenk für uns ist. Das ist unsichtbar, aber entscheidend. Von dir aus wirst du es niemals erkennen, das kann kein Mensch.  Du mußt hören, um zu erkennen.

    Hattest du mal ein Kind auf dem Arm? Hoffentlich ja! Kennst du die Erfahrung, daß du ein Kind auf dem Arm hältst, und es ins Herz schließt? Alles an dir, was größer ist, als das Kind, nimmt das Kind auf, trägt das kleine Leben im kleinen Leib, und gibt sich ihm hin  und ist für das Kind da.

    Diese Erfahrung ist göttlich. Da ist nichts in dieser Erfahrung, was nicht von Gott gewollt ist. Man kann sich dieser Erfahrung ganz hingeben. Mit allem, was du bist und hast.

    Gott gefällt es. Da gibt es nichts zu bereuen.

    Diese Erfahrung sollst du festhalten, und nicht loslassen, wenn du dabei hörst, was Gottes Bote dir über genau dieses Kind sagt.

    „In ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig.“

    In diesem Leib begegnest du Gott. Gott hat diesen Leib angenommen. Gott hat sich mit diesem Leib vereinigt. Keine Begegnung wird die Begegnung mit diesem Leib verdrängen, oder übertreffen, oder ungültig machen. Gott hat sich festgelegt: So, wie er heute und hier für dich ist, so will und wird er für dich bleiben. Du kannst unter allen Umständen darauf zurückkommen. In diesem Leib kommt der ganze Gott ganz auf dich zu. Du begegnest dem ganzen Gott ganz. Es gibt keine Hintertür. Es gibt kein Kleingedrucktes, daß nach der Freude auf einmal alles anders ist. Gott wird nicht Mensch   –   und sagt danach: „Ich kann auch anders!“    Nach allem, was schwer, dunkel, mühsam, schmerzlich, erschreckend, sinnlos gewesen sein wird, danach kommt Gott so auf dich zu. Alles andere ist vorläufig. Dies ist endgültig.

    Am heutigen Tag, mit der Geburt von der Jungfrau Maria im Stall von Bethlehem, ist das ratifiziert. Es ist eine Wahrheit, die Gott nicht mehr zurücknehmen wird, im Gegenteil, Gott wird dafür sorgen, daß sie  uns Menschen immer wieder aufs Neue zugerufen wird. „Das Wort, der Sohn Gottes, ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohns vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“

    Halte das fest. Halt es fest, so wie es dir gesagt wird. Alles andere ist vorläufig, vergänglich.

    Darum wird dir heute gesagt: „Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und seid reichlich dankbar.“

    Wie ihr ihn den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm. Lebt in ihm – also unterschätzt ihn nicht. Was er in euch bewirkt, das ist ewig. Es ist ja das Traurige an Weihnachten, daß Menschen das nicht glauben und nicht tun. Sie sind unwiderstehlich zum Kind in der Krippe hingezogen. Sie wollen irgendwie teilhaben an der Freude, die dort aufleuchtet, irgendwie auf ihre Weise mitfeiern, mitsingen, vielleicht sogar mitbeten  –   aber danach soll es dann irgendwie nichts gewesen sein. Danach ziehen sie weiter, der Sohn Gottes wird weggeräumt, so wie der Christbaum abgetakelt und rausgeschmissen wird. Am Ende ist es unwirklich.

    Gott hat sich das so nicht gedacht.

    Gott hat sich das so gedacht, daß wir in dem Sohn Gottes verwurzelt sind, und gegründet fest im Glauben. Das hat Gott sich bei der Menschwerdung Seines Sohnes gedacht. Weihnachten wird völlig unterschätzt. Ich gehöre nicht zu denen, die von oben herab auf das Weihnachtsfest blicken. Der Drang, Freude zu machen, die Sehnsucht danach, Gemeinschaft zu haben, der unauslöschliche Wunsch nach Harmonie, Glanz, Wärme, Frieden, Versöhnung  …. Gott ist Mensch geworden für diese Dinge. Doch Gott macht daraus eine ganze runde Sache. Von Gottes Seite ist diese Realität der Liebe immer  und unerschöpflich da. Nur wir Menschen glauben das nicht. Wir denken, weil wir müde vom Feiern sind, daß das für Gott auch so ist. Natürlich  – wenn ich mit Weihnachten alles andere verbinde, außer dem Wunder, daß Gott Mensch geworden ist, dann geht es ganz schnell: Das waren alles vergängliche Gefühle, die harte Wirklichkeit kommt wieder zurück.

    Nein: Wir sollen darin wurzeln. Gottes Liebe kommt immer wieder aufs Neue zu uns.

    Das ist jetzt kein Krampf, daß wir uns das einreden müssen.

    Es wird uns gesagt. Die Bibel nennt es „Lehre“  – „wie ihr gelehrt worden seid.“

    Wir stellen uns unter Lehre etwas Abgehobenes vor. Etwas Abstraktes, ja Lebensfremdes. Doch wenn Gott uns lehrt, ist das nicht so. Wenn Gott uns lehrt, dann dient Er uns. Er spricht geduldig mit uns. Wenn Gott uns lehrt, dann hat er uns gut im Blick. Gottes Lehre schafft Verbindung zu der Wurzel des Lebens, der Wahrheit, der Liebe und der Freude. Gottes Lehre hilft uns, Weihnachten nicht zu unterschätzen.  Sie zielt auf unsere Dankbarkeit. „Seid reichlich dankbar!“ Genauso wie Weihnachten, so wird auch Dankbarkeit unterschätzt. Und zwar deine Dankbarkeit. Ich spreche jetzt nicht von der Dankbarkeit, die die ganze Menschheit dir schuldig ist. Ich spreche von deiner Dankbarkeit von Gott, die in sich den Segen hat, daß du dann Gottes Gaben noch einmal bewußt empfängst. Das ist Lehre: Danke Gott dafür, daß er für dich Mensch geworden ist. Danke Gott für den Apostel Paulus, der dich zur Dankbarkeit ruft.

    Dann kommt das große Wort „Philosophie“.

    „Seht zu, daß euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus.“

    Gott stellt zwei Dinge gegenüber: Auf der Seite „Philosophie“ auf der anderen Seite „Christus und Gottes Lehre.“

    Philosophie beschreibt Paulus so: Sie ist gegründet auf Menschengedanken und auf die Kräfte und Mächte dieser Welt. Sie ist ein leerer Trug, sie hält nicht, was sie verspricht.

    Philosophie bedeutet „Liebe zur Weisheit.“  – Aber Weisheit ist doch gut. Müssen wir nicht unseren Verstand gebrauchen? Hat Gott uns nicht unseren Verstand gegeben? Wo ist das Problem?

    Das Problem ist, daß unser sündige Verstand den ersten richtigen Schritt der Weisheit nicht geht, und deshalb daneben liegt. Der erste Schritt heißt: „Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang.“ (Psalm 111, 10). Der Verstand muß wissen, daß er sich nicht selbst gemacht hat, sondern er einen Schöpfer hat. Dann kann er auch erkennen, was Gott tut. Wenn der erste Schritt nicht getan ist, dann ist es nur noch ein Stolpern und Stürzen. Dann muß der Verstand sich überschätzen, bis dahin, daß er sagt: Er habe sich selbst gemacht. Oder die Kräfte der Welt haben ihn hervorgebracht.

    Ich möchte nur ein Beispiel geben: Der Verstand wird zum Beispiel über Weihnachten sagen: Ach, das ist nur eine Täuschung. Eigentlich ist Weihnachten nichts weiter als eine Geschäftsidee.  – Da ist ja was dran. Aber dann höre ich nichts mehr von der Liebe Gottes. Wer nur so denkt, der wird von Stolz erfüllt, von Verachtung für die Menschen, die eine Sehnsucht danach haben, daß ihre Einsamkeit durchbrochen wird. Diese Philosophie macht lieblos und undankbar.

    Diese Weisheit, die Gott nicht anerkennt, wird auch alles tun, zu beweisen, daß an Jesus nichts Besonderes war. Er war nur ein Wanderprediger wie viele andere auch. Oder es wird gesagt: Jesus war besonders, aber niemand hat ihn verstanden. Oder es wird gesagt: Wir können alles haben, was Jesus bringt, ohne Ihn, ohne Glauben. Das kann niemals bewiesen werden. Doch der Mensch traut sich ohne Gott alles zu. Doch am Ende ist er allein mit seinen Meinungen und den Mächten und Kräften dieser Welt. Mächte und Kräfte sind anonym. Sie meinen dich nicht. Sie haben kein Wort für dich. Die Philosophie – die Weisheit ohne Gott – kann nicht beweisen, daß es dich geben soll, und daß du Liebe brauchst, und daß Liebe eine Realität ist. Und genau dafür steht Christus und Gottes Lehre. Sie meint dich. Du sollst sie hören, und wissen: Gott tut Dinge für dich. Du bist kein Zufall. Auch dein Mitmensch ist kein Zufall. Die Liebe Gottes macht dich wichtig. Einem Philosophen, der seinen Gedanken alles zutraut, und von den Mächten dieser Welt zu sehr beeindruckt ist, wäre diese Aussage peinlich. Denn diese Aussage fordert, daß Gott da ist und den Menschen kennt und liebt und trägt. Das kann dein Verstand nicht machen, sondern nur dankbar annehmen und empfangen.

    Das geht nicht immer freundlich zu.

    Der Verstand, der Gott nicht fürchtet, fühlt sich stark und stolz. Er will sich vor Gott rechtfertigen. Er will wichtig sein ohne Gott. Er will beweisen, daß Unglaube realistisch ist, daß Liebe am Ende doch nichts weiter als eine chemische Reaktion ist, daß die Zeit stärker ist als  die Wahrheit. Am Ende kommt es leider dahin, daß er denkt: Zwischen Gut und Böse gibt es keinen wirklichen Unterschied.

    Doch alle diese Gedanken haben damals und haben heute Weihnachten nicht verhindert. Gott hat sich gezeigt, hat Gestalt angenommen, um uns zu begegnen und Seine Liebe zu schenken. Das ist wahr.

    Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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