5. Sonntag nach Trinitatis

Ein Eigentor. Das ist sowas von peinlich! Das ist das eine, was jeder auf dem Fußballfeld vermeiden will, um jeden Preis! Die ganze Vorbereitung, das Training, der ganze Einsatz, der Schweiß und die Pein: Für nichts! – Für weniger als nichts! Ganz und gar die falsche Richtung – und alle Welt kann es sehen.

Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus,
und die Liebe Gottes,
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben : »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

1. Korinther 1, 18-25

HERR, segne Dein Wort an uns, Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

Liebe Gemeinde!

Ein Eigentor. Das ist sowas von peinlich! Das ist das eine, was jeder auf dem Fußballfeld vermeiden will, um jeden Preis! Die ganze Vorbereitung, das Training, der ganze Einsatz, der Schweiß und die Pein: Für nichts! – Für weniger als nichts! Ganz und gar die falsche Richtung – und alle Welt kann es sehen.
Dazu kann es nur eine Steigerung geben: Daß absichtliche Eigentor. Nicht als Verrat, sozusagen um der Gegenseite zum Sieg zu verhelfen, sondern in der Überzeugung, daß man dabei selber gewinnt. Doch so dumm kann keiner sein. Ins eigene Tor schießen und dann meinen, man habe gewonnen.
Heute geht es um Eigentore.
Ob nun im Stadium oder im Fernsehen – die Fans und die Oberdiskutierer in Sachen Religion sind sich über der Apostel Paulus einig: Dieser Mann ist ein Fall von: „Eigentor mit Absicht in dem Wahn, damit zu gewinnen.“
Warum? Paulus predigt den gekreuzigten Jesus von Nazareth als Gottes Weisheit und Gottes Kraft.
Es ist ja eins, sich für einen Gescheiterten, ja Verfluchten, eine Letzten und Verlorenen von ganz unten zu begeistern – denn das ist ein Mensch am Kreuz: in jeder Hinsicht erledigt. Aber diese Person dann noch als Gottes Antwort, ja Gottes Einladung und Angebot für die gesamte Menschheit zu verkünden: Ja, was ist denn das? Kann ein vernünftiger Mensch das im Ernst denken, geschweige denn mit Überzeugung?
Es ist das Wort vom Kreuz. Das war der Bericht von dem, was auf Golgatha geschah. Aber was war da geschehen? – Ein Mensch wurde gekreuzigt. Das war damals nichts Neues.
Das Neue ist: Paulus verkündigt, und zwar in den Synagogen und auf dem Areopag in Athen – also in der Top Universität von damals – das eines dieser Kreuze Weltgeschichte, nein: Menschheitsgeschichte, um nicht zu sagen: Gottesgeschichte gemacht hat. Gottes Macht und Gottes Weisheit.
Gottes Macht: Ein Gekreuzigter soll Gottes Antwort auf die Macht der Todes sein. Vor allem soll die Kreuzigung Jesu und das Wort von diesem Kreuz genau die Macht in sich haben, mit der Gott uns Menschen das ewige, das erfüllte Leben ermöglicht. – Das konnten die Juden nicht akzeptieren. Sie forderten Zeichen – also Wunder. Das taten schon die Schriftgelehrten und Pharisäer: „Meister, wir wollten gerne ein Zeichen von dir sehen!“ (Matthäus 12, 38). – Das, nachdem Jesus einen Mann mit einer verdorrten Hand vor ihren Augen geheilt hatte – in der Synagoge, am Sabbat. (Matthäus 12, 13). Da war ihre Reaktion allerdings, daß „sie hinausgingen und einen Rat über ihn hielten, wie sie ihn umbrächten.“ (Matthäus 12, 14). Sie forderten Zeichen – Beweise von Gottes Macht, die sie dann auf ihrer Seite haben würden gegen alle Feinde Israels. Sie konnten sich Gottes Gesandten, den Messias, nicht anders vorstellen, als ein Übermenschen, der überlegen eingreift und zuerst einmal die Römer vernichtend schlägt. Danach konnte man dann weitersehen. Als Jesus einmal mit 5 Broten 5000 Mann mit Familien speiste, wollte man ihn greifen und mit Gewalt zum König machen. (Johannes 6, 15). Ein Held, ein Wundertäter, ein Sieger und ein Versorger – das wäre doch jemand, den Gott schickt! – Aber ein Gekreuzigter? Das ist doch ein Eigentor! Das ist nichts für uns! Was kann so ein Verlierer uns bieten, was wir nicht schon haben? Sollen wir mit ihm verlieren, gemeinsam mit ihm ans Kreuz gehen? Jesus von Nazareth kann einfach nicht der sein, auf den das Volk durch die Jahrhunderte gewartet hat, er kann nicht die Hoffnung und Identität Israels darstellen. – Niemals! Unser Gott ist kein Schwächling, kein Verlierer. Das Wort vom Kreuz ist den Juden ein Ärgernis.
In der anderen Kurve im Stadion gucken die Griechen zu. Sie fragen nach Weisheit – Einsicht in die Wirklichkeit – Erkenntnis in der Natur – was die Welt zusammenhält. Weisheit: Also guten Rat für ein erfülltes Leben, ein Leben mit weniger Schmerzen, mehr Freuden. Die Griechen waren damals in der ganzen Welt der Maßstab für Bildung, Geschmack und Lebensart. Man kam zu ihnen, um zu lernen, abzuschauen, Nachhilfe zu bekommen. Im Theater, in der Tragödie, schafften sie es sogar, den Schmerz und das Leiden schön, erhaben und heldisch darzustellen. Aber das Ideal war der Gott, der heiter und frei über allen Schmerz erhaben oben im Licht alles Niedrige und Häßliche weit weit hinter sich läßt. Wer da weiterhelfen konnte – oder es vormachen konnte, der war interessant und willkommen. Da kommt Paulus nach Griechenland und predigt von dem Sohn Gottes, der sich ans Kreuz nageln läßt ohne Kampf, der seinen Peinigern vergibt und am Ende klagt, daß Gott ihn verlassen habe. Das ist keine Weisheit! Das ist Torheit! – Wo ist hier die Schönheit? Wo ist auf Golgatha eine neue Erkenntnis, die es vorher noch nicht gab? Was kann man daraus lernen? Kann diese häßliche Erscheinung mir etwas geben, was ich nicht habe, kann dieser von allen Verachtete mein Leben schöner machen? – Ach nein! – Die Athener hatten denn auch ihren Spott – oder fragten: „Was will dieser Schwätzer uns sagen?“ (Apostelgeschichte 17, 18.32). Ein kolossales Eigentor, kann man nur sagen.
Paulus spricht aus Erfahrung. Es ist eine christliche Erfahrung. Das Wort vom Kreuz wird nie Teil der gepflegten oder aufgeregten Diskussion werden. Das Evangelium ist nicht dazu geeignet, im freundlichen Geben und Nehmen zum schönen Leben beizutragen.
Allerdings muß man klar sehen: Paulus sieht das Kreuz Jesu nicht als Eigentor. Aber warum?
Zunächst spricht er mit Israel. Man lese bei den Propheten! Gott hat angekündigt, daß Er wunderlich – also widersprüchlich, ja widersinnig handeln werde, jedenfalls nicht so, daß alle sofort Beifall klatschen. Paulus zitiert den Propheten Jesaja: „Ich will auch hinfort mit diesem Volk wunderlich umgehen, aufs Wunderlichste und Seltsamste, daß die Weisheit seiner Weisen vergehe und der Verstand seiner Klugen sich verbergen müsse.“ (Jesaja 29, 14). Gott wird so handeln, daß die Klugen und Weisen es unbegreiflich finden werden, unfaßbar. Wenige Verse vorher sagt Jesaja: „Darum sind euch alle Offenbarungen wie die Worte eines versiegelten Buches, das man einem gibt, der lesen kann, und spricht: Lies doch das!, und er spricht: »Ich kann nicht, denn es ist versiegelt«; oder das man einem gibt, der nicht lesen kann, und spricht: Lies doch das!, und er spricht: »Ich kann nicht lesen.« (Jesaja 29, 11-12). Gott hat angekündigt, daß Er so handeln wird, daß auch die Klügsten nicht daraus klug werden können. Sie werden ratlos davor stehen. Es ist ihnen ein Ärgernis. Gott ist ihnen auf einmal ganz fremd, und gar nicht vertraut.
Also: Gott wird sich selbst nicht untreu, wenn er mit Israel völlig anders handelt, als es Israel erwartet, oder sogar fordert. Die Heilige Schrift, das Alte Testament, der Prophet Jesaja selbst hat es angekündigt.
Aber ist Weisheit denn nicht eine Gabe Gottes? Sollen wir denn absichtlich töricht, also dumm und widersinnig handeln? Das kann doch nicht Gottes Wille sein?
Weiter im Text. Paulus schreibt:
„Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.“ – Die Welt, umgeben von Gottes Weisheit, hat Gott durch ihre eigene Weisheit nicht erkannt.
Gott muß anders handeln, als erwartet – warum? – Weil die Menschen sich selbst mit Gott verwechseln. Das wird uns hier gesagt. Die Menschheit ist von Gottes Weisheit umgeben, aber sie erkennt Gott nicht. Und wenn ein Mensch Gott nicht erkennt, dann erkennt er den nicht, der Himmel und Erde geschaffen hat. Wie merke ich denn, ob ich Gott erkenne? Ich habe Gott dann wirklich erkannt, wenn ich erkenne und erlebe, daß ich ohne Gott nichts bin – denn ich verdanke mich ihm GANZ. Es ist alles Sein Geschenk und Seine Gabe. Und Er, als der Geber steht hinter Seinen Gaben, und die Liebe und Weisheit in Seinen Gaben soll bei mir ankommen. Darum sagt und Gottes Wort völlig korrekt: „Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang.“ (Psalm 111, 10) Warum Furcht? Weil ich erkenne, daß ich ganz von Gott bin, also bin ich ohne Gott nichts. Die Furcht Gott sucht also Gott und Seinen Willen in allem. Die Furcht Gottes will eines vermeiden: Daß ich mich selbst mit Gott verwechsele. Darum sagt uns unser Katechismus bei jedem Gebot Gottes: „Wir sollen Gott fürchten und lieben.“
Paulus sagt nun den Juden, die Zeichen fordern, und den Griechen, die nach Weisheit fragen: Ihr habt Gott nicht erkannt, und wollt mit ihm verhandeln, gar über Sein Handeln eine Meinung haben? – Wenn ich nicht uneingeschränkt erkenne und erfahre, daß ich mich Gott, meinem Schöpfer verdanke, dann werde ich zwangsläufig glauben, daß ich mich mir selbst verdanke, oder anderen Instanzen: Den Sternen, oder anderen Göttern. Jedenfalls bleibe ich dem einen wahren Gott dann das Entscheidende schuldig, daß ich ihn Gott sein lasse über mich.
Dann besteht meine Weisheit darin, daß ich alles auf mich beziehe. Dann verwechselt der Mensch sich selbst mit Gott. Und das ist das ganz große, verhängnisvolle Eigentor, das beim Sündenfall geschehen ist.
Paulus sagt im Grunde: Liebe Juden und liebe Griechen – Ihr zeigt kopfschüttelnd auf Gott, daß er so widersinnig handelt, wenn er Seinen Sohn ans Kreuz gehen läßt – nennt das ein Eigentor. Aber an euer eigenes peinliches, katastrophales Eigentor denkt ihr nicht? Je weniger ihr Gott fürchtet, mit um so größerer Überzeugung nehmt ihr Anlauf, den Ball ins eigene Tor zu schießen, und dann seid ihr auch noch stolz darauf und wollt Gott Vorschriften machen, wie Er es denn richtig machen soll.
Die Anzeigetafel spricht gegen uns.
Paulus spricht an einer anderen Stelle im Brief an die Gemeinde in Rom, auch von diesem erschreckenden Eigentor von uns Menschen.
„Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, sodaß sie keine Entschuldigung haben. Denn obwohl sie von Gott wußten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und
ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere.“ (Römer 1, 21-22). Sie verwechseln sich selbst mit Gott – und machen sich selbst, oder Tiere oder andere Geschöpfe zu ihrem Gott: „Sie haben Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient statt dem Schöpfer“. Diese Verkehrung zeigt sich in jeder Sünde, die wir tun. Ob wir nun lügen, oder begehren, oder hassen, oder uns nichts sagen lassen – – es ist immer ein Symptom dafür, daß wir Gott nicht fürchten, daß wir konsequent vergessen: Ich verdanke mich ganz und gar Gott, ohne ihn bin ich nichts – mit ihm aber Alles.
Unser Eigentor ist, daß wir ohne Gott Alles sein wollen.
Konsequent wäre es nun, daß Gott das Eigentor gelten und uns verlieren läßt. Das wäre einleuchtend. Das wäre das Urteil des Gesetzes. Unser Gewissen weiß das. Wenn wir einmal aufwachen, dann steht das fest. Besser: Wenn Gott uns aufweckt mit Seinen heiligen Zehn Geboten, dann ist das klar.
Was ist aber jetzt das Wort vom Kreuz? So richtig in die Fußballsprache läßt sich das nicht übersetzen, aber ich will es versuchen!
Jesus hat als der Torwart der Gegenseite sich in unser Tor gestellt und alles getan, daß unser Eigentor nicht mehr gegen uns zählt. Und weil wir Menschen als Sünder leider mit großer Überzeugung und Leidenschaft Eigentore schießen, hat Jesus leiden müssen, um das zu erreichen. Das Ergebnis ist: Das Eigentor zählt nicht mehr gegen dich, die Anklage verurteilt dich nicht mehr. Denn der Sohn Gottes hat alles getan, was nötig war, diese Klage, diese Verdammnis zum Schweigen zu bringen.
Was also für die Weisen und Klugen wie ein Eigentor aussieht, ist deine Rettung. Da hat Gott für dich gepunktet.
Genug von Eigentoren und Fußball!
Wir Christen glauben einem Wort, daß immer fremd sein wird. Gott rief Abram im hohen Alter heraus – in ein Land, daß er nicht kannte. Er und Sarai sollten die Stammeltern eines großen Volks werden, im Alter von 80 plus Jahren. Das ist widersinnig. Als Jesus Petrus ruft, wie wir im Evangelium heute hören, will Petrus nicht damit zu tun haben: HERR, gehe hinaus von mir, ich bin ein sündiger Mensch!
Was haben Abram und Petrus gemeinsam?
Sie erkennen, daß sie ohne Gott nichts sind, aber mit Gott alles sind. Darum glaubt Abraham, daß Gott ihn und Sara wirklich zu Eltern machen wird. Paulus sagt das so: „Abraham hat Gott geglaubt als den, der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, daß es sei.“ (Römer 4, 17). Und Petrus sagt am Ende, als Jesus ihm seine Verleugnung, also seine Schuld vorhält: „Herr, du weißt alle Dinge , du weißt, daß ich dich lieb habe!“ (Johannes 21, 17). Beide Abraham und Petrus haben aufgehört, Gott mit sich selbst zu verwechseln.
Das Wort vom Kreuz schafft das in uns Menschen. Jesus sagt: Hör auf, dein eigener Gott sein zu wollen – laß mich dein Gott sein. Ich kann das besser!
Um dieser Worte willen ist er gekreuzigt worden. Da hat er die Macht offenbart, die stärker ist, als der Tod, und die Weisheit ans Licht gebracht, die und wieder mit unserem Schöpfer verbindet.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Beitragsbild:

Konrad Witz: Petrusaltar, Fragment eines Altares der Petrus-Kathedrale in Genf, linker Flügel außen: Der Wunderbare Fischzug

1444, Tempera auf Holz, 132 × 154 cm
Genf, Musée d’Art et d’Histoire
Kommentar: Auftraggeber: Bischof François de Mies
Land: Deutschland und Schweiz
Stil: Spätgotik
[Witz, Konrad. The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei, S. 12365 (c) 2005 The Yorck Project]


9. Sonntag nach Trinitatis

Und des HERRN Wort geschah zu mir:
Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.

Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus.
Amen.

Und des HERRN Wort geschah zu mir:
Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Jeremia 1, 4-10

Liebe Gemeinde!

Im Beruf kommt das Persönliche und das Allgemeine zusammen. „Er ist Pfarrer.“ Da wird nicht eine Haarfarbe oder Körpergewicht beschrieben, sondern eine Rolle, eine Aufgabe. Der Pfarrer predigt, unterrichtet, leitet eine Gemeinde. Durch diese Rolle und Aufgabe ist er auf Gemeindeglieder bezogen. Es gibt Aufgaben. Es gibt Begegnungen. Ein Beruf ist ein großer Reichtum. Ich lerne Menschen kennen, ich kann einen Unterschied machen, ich bin dabei, wenn Gott segnet.

Gott will das so. Gott will, daß wir Menschen in Berufen für einander da sind. Der Beruf ist der Rahmen, in dem Gott meine Person hineinstellt, um anderen Menschen zu dienen. Ich muß nicht von Null, aus dem Nichts mir ausdenken und aufbauen, wie ich für Menschen da sein kann oder soll. Ein Beruf ist schon vorher da, und ich ergreife ihn, oder Gott beruft mich in ihn, und schon bin ich ein anderer Mensch. Vor meiner Ordination wäre es eine Unverschämtheit, auf die Kanzel zu steigen und die Kinder Gottes mit meinen persönlichen Ideen zu belästigen. Mit dem Beruf hab ich Gottes Segen als Rückendeckung und Grundlage, wenn ich mit Seiner Hilfe Gottes Wort vor der Gemeinde auslege. Da wäre es eine Unverschämtheit, wenn ich mich drücken würde, oder bescheiden sein wollte.

Umgekehrt hört die Gemeinde zu, weil ich ein Amt habe, und nicht, weil ich sympathisch bin oder nicht.

Der Rahmen, den Gott gibt, ist dabei ganz entscheidend.

Ein Beitrag Dr. Martin Luthers zum christlichen Leben ist der Begriff „Beruf“. Gott ruft mich zu einer Aufgabe an meinem Nächsten.  – Natürlich gab es schon immer Berufe. Das Christentum fand Berufe vor. Doch entstand immer mehr die Vorstellung, daß ein Mensch Gott nur in religiösen Taten dienen kann. Man mußte Priester, Mönch oder Nonne sein. Es mußte Beten sein, Meditieren, Fasten, Abtrennung von der Welt, Ehelosigkeit  … Es mußte also eindeutig als religiös erkennbar sein. Dann war man von Gott berufen und tat Gottes Willen. Wenn man das nicht tat  – was dann? Dann spendete man eben, und unterstützte die Menschen, die solch ein sichtbares religiöses Leben führten.  

Doch, wenn Gott im 4. Gebot sagt: Du sollst Vater und Mutter ehren, dann heißt das: Gott will, daß es Väter und Mütter gibt – also steht Vater und Mutter Sein unter Gottes Schutz und unter Gottes Segen. Wer als Kind seine Eltern ehrt – der dient Gott, und wer Vater oder Mutter ist, den ruft Gott dazu, für die Kinder da zu sein, und wer das tut, der dient Gott.

Bei den Propheten war das Persönliche und das Allgemeine besonders dramatisch verknüpft. Als einzelne Menschen standen sie im Namen Gottes dem Volk Israel gegenüber. Oder sogar der ganzen Menschheit gegenüber.  – Jeremia hatte die schwere Aufgabe, praktisch alle Menschen zur Buße zu rufen. Das hört kein Mensch gern, ein stolzer, erfolgreicher Mensch schon gar nicht. Und ein Volk? Jeremia hatte viele Anfeindungen, Verleumdungen, Beleidigungen  hinzunehmen.

Da war es entscheidend, sicher zu sein: Gott will das. Diese Sicherheit gab Gott dem Propheten Jeremia in seiner Berufung.

Die schauen wir uns nun an.

„Und des HERRN Wort geschah zu mir:

Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.“

Gott kennt mich. Von Anfang an – wie kein anderer, denn Er hat mich bereitet, geschaffen. Wenn wir einen Menschen kennen – dann können wir uns täuschen. Gott nicht. Er kennt uns von Innen, und weiß, wie alles in unserem Leben zusammenhängt.

Das heißt für Jeremia: Ich kenne Deine Grenzen besser als Du. Ich kenne Deine Stärken und Schwächen besser als Du.

  • Vor allem, aber laßt uns kurz festhalten, liebe Gemeinde: Jeremia ist bei Gott schon im Mutterleib eine vollständige Person. Wer daran zweifelt, daß es vor der Geburt Menschen und Personen gibt, der hat Gott gegen sich. Person ist nicht erst jemand, den ich wahrnehme und anerkenne.  –

Jeremia hat sich das nicht ausgedacht oder gewünscht. Gott hat ihn bestellt, eingesetzt. In einer bewegenden Rede sagt Jeremia in Kapitel 20, daß Gott ihn hereingelegt habe. Der Prophetenberuf ist keine Selbstdarstellung oder Wunscherfüllung. Einem Propheten geht es wie Gott in dieser Welt: Er wird verachtet, wie Gott verachtet wird; mißverstanden, wie Gott mißverstanden wird.

Es ist deshalb überhaupt kein Wunder, daß Jeremia sich entschuldigt:

„Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.“  – Jeremia erkennt, wie groß die Aufgabe ist. Er kann es sich nicht vorstellen. Er schaut in sich hinein und sieht nichts, was ihn  qualifizieren würde. Nichts in ihm spricht dafür, öffentlich aufzutreten, ohne Ansehen der Person Gottes Willen zu verkündigen, Menschen zu überzeugen, mächtigen Menschen zu widersprechen …. er kann es sich nicht vorstellen. Und das ist nicht falsche Bescheidenheit. Die Aufgabe ist groß. Man kann sehr viel falsch machen. Es wird Gegenwind geben.

Also: Jeremia glaubt nicht an sich. Er traut sich das nicht zu, aus eigener Kraft mit seinen Gaben das Prophetenamt „schon hinzukriegen“.

Doch wie antwortet Gott? – „Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.

Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.“  Gott ruft Jeremia heraus aus seinen Gedanken, mit denen er sich selbst anguckt, sich selbst einschätzt, sich selbst beurteilt. Jeremia muß sich nicht selbst erfinden, wie man so sagt. Gott gibt vor, wo er hingehen soll, und was er sagen soll. Der Rahmen, in den Gott ihn stellt, tut mehr, als Jeremia als Person.  – Das erfährt man erst, wenn man im Beruf drin ist. Bei aller Mühe, aller Arbeit. Am Ende sind schauen wir zu und sind dabei, wie Gott selbst segnet und am Werk ist.

„Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin bei dir und will dich erretten.“ Jeremia soll und wird Gott kennenlernen, in seinem eigenen Leben. Gott zeigt ihm, was Er, Gott, kann. Aber nicht im Voraus. Glauben ist Vertrauen, und Vertrauen ist Wagen, und Wagen bedeutet, ich habe es nicht in der Hand. Ohne dieses Wagen wird Jeremia nie erfahren, wer Gott ist. Gott geht mit, wenn wir dorthin gehen, wo er uns sendet.

Und wenn wir unsicher sind darüber: Es gibt immer die 10 Gebote. Zum Beispiel 8. Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden. – Gott geht mit, wenn ich den Ruf eines Mitmenschen gegen Lästermäuler in Schutz nehme. Ich lerne Gott ganz neu kennen, wenn ich der Wahrheit mehr zutraue, als der Lüge oder der Halbwahrheit. Da schaue ich zu, wie Gott wirkt. Und die Furcht tritt in den Hintergrund.

„Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“  – Hier geschieht das, was Menschen nicht wahrhaben wollen. Gott spricht durch einen Menschen. Wer Jeremia hört, der hört Gott. Da wird es immer Protest geben. „Gott ist zu groß – ein einzelner Mensch mit seinen Schwächen und Fehlern kann nicht Gottes Wort sagen!“ – „Das ist eine Anmaßung! Für wen hält der Prophet sich eigentlich?“  –  Im Grunde geht es darum, daß der Mensch sich nichts sagen lassen will. Und doch braucht er das Wort des Lebens, das er sich selbst nicht sagen kann.  

Wir müssen umgekehrt darüber nachdenken. Warum sollte Gott nicht durch einen Menschen reden können? Warum sollte der allmächtige, allwissende Gott nicht gerade einen schwachen Menschen zu seinem Diener machen und Seinen Willen mitteilen? – Was wäre das für ein Gott, der sich nicht mitteilen kann?  Ein Gott, der sich nicht mitteilen kann, ist kein Gott. Und unser Gott „kommt und schweigt nicht“, wie es Psalm 50, 3 sagt.

„Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.“   – Eine schwere Aufgabe. Jeremia mußte seinem König entgegentreten. Er mußte dem Volk widersprechen. Er mußte mit ansehen, wie sein König und sein Volk nicht auf Gott hörten und dann Gottes Schutz und Hilfe verloren, weil sie sich auf sich selbst verließen. Sein König Jojachin wurde gefangengenommen, Israel vernichtend besiegt und erobert. Und man hat ihm dann vorgeworfen, daß er das mit seiner Predigt getan habe. Doch Gott sagt ihm, daß er dabei auch baut und pflanzt: Die Israeliten, die zu Gott zurückkamen, diejenigen, die die Hoffnung nicht aufgaben – bis ins Neue Testament. Da hat das Wort des Jeremia gewirkt, gebaut, gepflanzt. Wir gehören zu dem, was Jeremia gebaut und gepflanzt hat.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

5. Sonntag nach Trinitatis

Diese Geschichte ist der Anfang von dem, was erst dann enden wird, wenn wir im Himmel sind.
Diese Geschichte gehört zum Evangelium, und deshalb wird sie niemals überholt sein, oder verblassen.

Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus.
Amen.

1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth
2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen.
7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.
11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Text: Lukas 5, 1-11

Gebet: HERR, segne Du nun Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde!
Diese Geschichte ist der Anfang von dem, was erst dann enden wird, wenn wir im Himmel sind.
Diese Geschichte gehört zum Evangelium, und deshalb wird sie niemals überholt sein, oder verblassen. Es wird auch niemals dazu kommen, daß schlaue oder gutmeinende Menschen erstmal dieser armen alten Geschichte helfen müßten, interessant oder wichtig zu werden.
Nicht wir, auch nicht der begnadetste Prediger pumpt diese Geschichte auf, sondern die Geschichte baut uns auf.
Das ist das Geheimnis des Neuen Testaments. Den meisten ist das Geheimnis völlig verborgen. Sie lesen es als Worte von längst vergangenen und verstorbenen; die Entwicklung hat sie abgehängt, die Technik hat sie überflüssig gemacht .. . Wie auch immer …
Vor den Augen der Welt erscheint es so, daß wir uns hier und heute mit ein paar Leuten abgeben – Jesus, den Wanderprediger aus Galiläa. Eine neugierige Menge Menschen – größtenteils unwichtige Menschen: Untere Klasse, Arbeiter, ohne Abschluß; Fischer und ihr Handwerk: Boote, Netze, Arbeit. Und das alles in einer unbedeutenden Stadt, an einem unbedeutenden See, in einem unbedeutenden Land ….
Jesus predigt das Wort Gottes. Damit ist das Ufer vom See Genezareth der Hauptort der Welt und stellt Rom, Athen, ja auch Jerusalem, sofort in den Schatten. Von unserem Berlin ganz zu schweigen. Ein Mensch, mit dem Gott spricht, ist am richtigen und besten Ort. Er muß weder nach New York, noch verpaßt er was in München oder Hamburg, oder an irgendeinem Strand. Liebe Gemeinde, diese Überzeugung muß uns erfüllen, sonst brauchen wir uns nicht auf den Weg zur Kirche machen.
Eine Menge hört zu, eine drängelnde Menge, die begierig ist, jedes Wort aufzunehmen – dagegen ist der Kommentar in den letzten Minuten eines Endspiels nichts. Liebe Gemeinde, das ist der Anspruch – nicht nur hier in der Annenstraße, sondern überall, wo das Evangelium laut wird.
Jesus sieht ein Boot und fordert, daß man ihm Platz macht, und er predigt, lehrt die Menge vom Boot aus. Ein unglaubliches Bild. Die Menschen stehen oder sitzen auf der festen Erde. Wir sind an die Erde gebunden. Die Erde bindet uns. Wir sind von Erde genommen, und werden wieder zu Erde werden. Die Schwerkraft zieht uns runter, wenn wir zu hoch hinauswollen, dann stürzen wir zur Erde ab. Wir wissen, wo wir dran sind. Das Meer mit seinen Tiefen und Wogen, mit seinen Stürmen und Gefahren: Das ist unberechenbar, zerstörerisch, bietet keinen festen Boden. Wer ins Boot steigt, hat diese Gefahren ständig im Blick, und erlebt sie auch.
Die Menschen stehen am Ufer, an der Grenze, dort, wo es einfach nicht weiter geht. Ob groß oder klein, jung oder alt, gebildet und nicht, reich oder arm, Mann oder Frau: Sie sind alle da angekommen, wo es für keinen weitergeht. Man denkt an den Tod. Der ist solch eine Grenze. Die Vergangenheit, die wir einerseits nicht ungeschehen machen können – und die uns auch unwiederbringlich entnommen ist. Ich kann die Schuld nicht ungeschehen machen – und die guten Zeiten nicht in jede Zukunft mitnehmen. Es gibt diese Grenze. Und von jenseits des Ufers, von jenseits der Grenze erreicht die Menschen das Wort des Lebens. Dieses Wort fällt nicht zur Erde (2. Könige 10, 10), es erreicht die Hörer – und wenn es die Hörer erreicht, werden die Hörer es durch ihre Schwachheit, Beschränktheit oder Selbstüberschätzung nicht zu Fall bringen. Im Gegenteil. Es wird sie aufrichten, bis zur Auferstehung von den Toten. Menschenwort haftet an der Erde. Fällt zur Erde. Oder wird vom Meer hin und her geschaukelt und geworfen, bis es schließlich untergeht. So ist es in der Geschichte. Hier haben wir ein Wort, daß über die Grenze kommt und ankommt und sein Ziel erreicht. Liebe Gemeinde, so ist es, wenn die Geschichte uns aufbaut. Wir brauchen sie nicht aufbauen.
Jesus lehrt von einem geliehenen Boot aus. Das erinnert mich daran daß Jesus ja auch einen Esel geliehen hat, um als der König von Israel in die Hauptstadt einzureiten. Jesus braucht Menschen. Das ist doppeldeutig. Einerseits erscheint er arm. Er hat kein eigenes Boot, keinen eigenen Esel, um seine Mission zu erfüllen. Ganz schön dürftig. Andererseits hat er die Freiheit und Autorität, genau das in Anspruch zu nehmen. Das Boot, den Esel. Das Gotteshaus, Mitarbeiter in der Kirche. Wir haben in der Epistel gehört, daß Gott einen anderen Weg einschlägt, als die Welt, auch die religiöse Welt erwartet. Gott erwählt was vor der Welt töricht ist, armselig, unspektakulär. Und damit beweist Jesus als der Sohn Gottes seine große Freiheit. Denn Armut, Torheit, Abgehängtes wird man leider Gottes immer in der Welt finden. Das hat Gott erwählt, Sein großes Ding auf der Welt zu tun. – Wir haben vor Gott die Pflicht, der unerschütterlichen Überzeugung zu sein, daß Gott unscheinbare Orte erwählt, bei uns neu anzufangen. Natürlich wird es das Evangelium auch in einer prächtigen Kirche in einer Weltstadt wie Paris geben. Aber die größte Pracht verblaßt, wenn dort gesagt wird: Lieber verzweifelter Sünder, Gott hat dich angenommen. Lieber Mann, der nach außen so selbstsicher erscheint, und innen doch ratlos ist: Hier ist der Weg. Jesus hat einen menschlichen Leib angenommen, und darum verfügt er über einen Raum, eine Adresse, ein Haus, damit Menschen wissen können, ich bin angekommen.
Kleine Zwischenbemerkung. Nun soll die altehrwürdigste Kirche der Christenheit, die Heilige Weisheit in Istanbul, wieder eine Moschee werden. Im Jahre 537 wurde sie geweiht. 1016 Jahre lang hat unser Herr Christus dort sein Wort, das über die Grenze hinüber zu den Menschen kommt, sagen lassen. 1453 wurde die Kirche nach der Islamischen Eroberung eine Moschee. 1935 wurde daraus ein Museum. Und nun wieder eine Moschee. Diese Nachricht muß uns mit Wehmut füllen. In der westlichen Christenheit werden jedes Jahr Kirchen entwidmet, und weltlich benutzt. Das kann uns nicht unberührt lassen. Sie alle waren heilige Orte der Begegnung. Nun nicht mehr. Haben Menschen versagt? Hat Gott sich zurückgezogen? Beides ist unheimlich! Um so mehr laßt uns die Orte lieben, wo wir uns an das Ufer drängen, an der Grenze zum Himmel und zur Ewigkeit.
Entscheidend ist nun, wie Jesus Menschen ruft.
Und laßt uns, wenn wir diese Episode betrachten auf keinen Fall vergessen oder loslassen, was wir eingangs gehört haben. Wir hören den Anfang unserer Geschichte als Christen. Was dort zwischen Jesus und Petrus sich abspielt, ist eine Weichenstellung für den Zug, in dem wir jetzt sitzen. Es ist alles unvergangen, als wären wir in der Menge am See Genezareth. Es ist sozusagen noch in der Luft.
Jesus ist in das Boot des Simon eingestiegen. Simon und sein Bruder Andreas besitzen dieses Boot. Das Fischerboot ist ihr Lebensunterhalt. Sie arbeiten damit. Und nun ist der Sohn Gottes eingestiegen. Man könnte meinen, sie tun dem armen Prediger einen Gefallen. Aber jetzt geht es los: Jesus bestimmt auch nach der Predigt über das Boot und über Simon: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ Das ist ein Befehl. Jesus tritt auf als Herr. Die einzige Autorität, die er hat, ist sein Wort.
Petrus folgt diesem Wort. Seine Antwort ist bemerkenswert: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.“ Als Fischer mit Erfahrung und Verstand spricht er das. Tagsüber sind die Fische unten in der Tiefe. Sie gehen nicht ins Netz. Das wäre von vornherein vergebliche Mühe, ja unsinnig, mit der Sprache unserer Epistel: Töricht. „Aber auf dein Wort!“ – Das ist der einzige Grund, warum er das tut. „Du hast es gesagt!“ Ist das schon Glaube? Oder will Simon danach dann sagen: „Ich habs ja gewußt! Ich habs ja gesagt!“? Es bleibt offen. Vielleicht war es für ihn selbst noch nicht eindeutig. Es muß eine merkwürdige Stimmung gewesen sein. Vor den Augen der Kollegen, mit dem Prediger im Boot mitten am hellichten Tag hinaus, dort wo das Wasser tief ist, also dort, wo die Fische am weitesten unterhalb der Netze waren. Seine Erfahrung, sein Fachwissen, sein Selbstvertrauen gerät ins Schwimmen, treibt unsicher mit dem Auf und Ab der Wellen.
Und das Wunder geschieht. Ein überwältigender Fang geht ins Netz – die Kollegen werden gerufen, zu helfen. Jesus, das fleischgewordene Wort Gottes, durch das Himmel und Erde und auch das Leben geschaffen wurde, hat es so gefügt.
Jetzt ist auch Simon an seine Grenze gestoßen. – Alles, was er gelernt hat, alles, was er bis dahin richtig gemacht hat verschwimmt vor ihm. In seinem eigenen Boot, da auf dem See, wo er sich sicher fühlte, wackelt alles.
„HERR, gehe hinaus von mir, ich bin ein sündiger Mensch!“ – Warum? Das Wunder zeigt ihm: Ich habe es nicht mit der Urgewalt des Meers zu tun, sondern mit dem, der das Meer geschaffen hat. Ich habe es mit meinem Schöpfer zu tun. Da wird dem Simon bewußt: Ich bin ein Sünder. Ich habe nichts in der Hand, alles klagt mich an, stellt mich in Frage. Meine Gedanken, Worte und Taten habe ich ohne meinen Schöpfer getan, gesagt und gedacht. – Diese Nähe Gottes erträgt er nicht. „Geh hinaus!“ – Laß mich mit meinem Leben allein, wie bisher! Ich will es alles nicht so genau wissen!
Doch Jesus beruft ihn zum Apostel. Es soll nun Menschen fangen. – Das heißt: Menschen zu Gott bringen. Petrus, der am Ende ist, ist für Jesus der Richtige. Denn da wird allen klar: Zu Petrus kommen die Menschen nicht, sondern zu seinem HERRN. Das ist der Anfang unserer Geschichte. Ein Simon, der bis dahin alles im Griff zu haben schien, gibt zu, daß er ein Sünder ist, verzichtet auf alle Ansprüche, und wird in den Dienst genommen. Wo Kirche ist, da wird auch dieser Schrecken sein. Und keine Kirche oder Gemeinde sollte so tun, als gäbe es diesen Schrecken nicht, oder als müßte er vermieden oder geleugnet werden. Der Schrecken der Buße.
Ein Letztes: Auch die Menschenfischer gehen am hellichten Tag ans Werk. Also öffentlich – ohne Geheimlehren, ohne geheime Taktiken. Das Evangelium von Jesus Christus ist überall dasselbe: Für Kinder, für Prediger, für Kranke für Gesunde, für Anfänger, für Erfahrene. Das, was gesagt wird, ist genau so gemeint, und an alle gerichtet. Die Welt meint oft, das sein töricht. Doch der Sohn Gottes braucht nicht im Trüben fischen. Jeder weiß, wo er dran ist, wir haben nichts zu verbergen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

4. Sonntag nach Trinitatis

Jesus war manchmal zornig. Wir kennen alle die Geschichte, wie Jesus mit einer Geißel aus Stricken die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel hinaustrieb, mit ihrer Ware, und die Tische der Geldwechsler umstieß und ihr Geld verschüttete.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
und die Liebe Gottes,
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.

17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
18 Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22).
21 Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Römer 12, 17-21

Gebet: Lieber himmlischer Vater, ohne die Hilfe Deines Heiliges Geistes muß uns Dein Wort verborgen sein, darum bitten wir Dich: Sende Deinen Heiligen Geist, der uns Dein Wort öffnet, wie Du es meinst, zu unserem ewigen Heil. Amen.

Liebe Gemeinde!
Jesus war manchmal zornig. Wir kennen alle die Geschichte, wie Jesus mit einer Geißel aus Stricken die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel hinaustrieb, mit ihrer Ware, und die Tische der Geldwechsler umstieß und ihr Geld verschüttete. Als seine Jünger einen mondsüchtigen Jungen nicht befreien konnten, reagiert Jesus sehr ungeduldig. (Matthäus 17, 17). Als er zum Grab seines Freundes Lazarus kommt, heißt es zweimal von Jesus: „ Er ergrimmte in seinem Geist“ (Johannes 11, 33+38). Über die undankbaren Menschen in den Städten Chorazin, Betsaida und Kapernaum, die von seinen Wundern unbeeindruckt, und undankbar für seine gewaltige Verkündigung waren, ruft er aus: „Wehe euch! Es wird den heidnischen Städten im Gericht Gottes besser ergehen als Euch!“ (Matthäus 11, 21-24). Über Menschen, die die Kinder Gottes mit Absicht am Glauben irre machen sagt er mit erschreckender Klarheit: „Für den wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ (Matthäus 18, 6).
Jesus kennt den Zorn über das Böse. Gottes Zorn über die Sünde ist nicht eine primitive und überwundene, altmodische Vorstellung, die vielleicht nur ins Alte Testament gehört, aber für moderne Christen unanständig und überholt wäre.
Gott ist heilig und gerecht. Er hat das Leben mit seinen Ordnungen geschaffen – und er liebt alles Lebendige mit väterlicher, göttlicher Liebe. Und alles, was Gottes Schöpfung und seine Ordnung antastet, zerstört, verletzt, in Frage stellt, verspottet, verdreht, fällt unter Seinen heiligen, gerechten und vernichtenden Zorn. Vor allem, wenn Menschen sich an Gottes Gnade vergreifen, wenn Menschen Gottes Geduld als Bestätigung ihres eigenen falschen Weges absichtlich mißverstehen, dann haben sie es nicht mit einem sanften, nachsichtigen, freundlichen Vater im Himmel zu tun. Gott ist dann als der Heilige und Gerechte ein Feind, der zürnt. Ein Feind, gegen den kein Mensch gewinnen kann. Auch im Neuen Testament nicht. Jesus nimmt das nicht zurück.
Es wäre noch viel darüber zu sagen. Was sagt der Predigttext?
Der Apostel Paulus schreibt uns Christen: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«“ –
Wir Christen sollen auf Rache und Vergeltung verzichten – und dem Zorn Gottes Raum geben. Schon das weltliche Recht hat den Grundsatz, daß man das Recht nicht in die eigene Hand nimmt. Ich kann nicht persönlich hingehen, und den Dieb, der mein Auto geklaut hat, fangen und einschließen, bis er mein Auto wieder hergibt. Dazu sind Polizei und Gericht da.
Ähnlich ist es mit der Rache. Die Rache ist ein sehr starkes Gefühl, und wenn man ihm nachgibt, kann es zerstören. Die Rache vermehrt das Unrecht und das Böse in der Welt. Denn die Rache lebt davon, daß ein Mensch sich an Gottes Stelle setzt. Wie so oft – der Mensch will sein wie Gott, und das fühlt sich wie eine große Steigerung es Ichs an. Ich bin beleidigt oder geschädigt. Ein schwerer Schmerz. Der Drang „heimzuzahlen“ macht sich bemerkbar. Wie du mir, so ich dir! Sehr oft wird mit Zinsen heimgezahlt. Das Ich verspricht sich Erleichterung, wenn sein Feind leidet. Doch es kommt ein Rausch hinzu. Ein Gefühl, das keine Grenzen kennt. Darin offenbart sich das Begehren, zu sein, wie Gott. Einen Gott haben und Rachegelüste schließen sich gegenseitig aus.
Paulus begründet das mit Worten aus dem Gesetz der Mose: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der HERR.“ Wer zur Rache greift, der greift nach dem, was Gott sich selbst vorbehalten hat. – Gott allein hat die Erkenntnis und die Macht, Unrecht richtig zu behandeln. Wer zur Rache greift, verleugnet Gott.
Unsere Aufgabe ist klar: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Das ist der Weg, auf dem Gott bei uns bleibt, uns segnet, schützt, tröstet, beisteht. Da lernen wir Gott als einen Helfer kennen. Kommt Rache ins Spiel, sind wir allein, dann lernen wir Gottes Zorn kennen.
Es ist einfach so: Die zehn Gebote gelten unter allen Umständen, auch wenn wir Unrecht erleiden. Paulus schreibt in einer Zeit, als Christen Feinde hatten. Unser Herz soll von Gutem und von Liebe erfüllt sein. Der Heilige Geist zeigt uns Liebe. Rache kommt nicht von Ihm.
„Gebt Raum dem Zorn Gottes.“ – Rache stellt sich Gott in den Weg. Wenn wir bei unserer Aufgabe bleiben, Frieden zu halten, Gutes zu tun, dann lassen wir dem gerechten und heiligen Gott den Vortritt. Er soll und wird meinen Feinden Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Nun. Was ist das? Das ist ein Wunder. Das gibt es nur, wo Gott einen neuen Menschen geschaffen hat. Einen neuen Menschen, der alles Vertrauen in Gott setzt. Einen neuen Menschen, der ohne Vorbehalt erkennt, daß sein Leben ein Geschenk seines Schöpfers ist. Diese Wahrheit ist größer als alles, was Feinde einem Christen antun können.
Winken wir da nicht längst ab? Was wird aus mir? Muß ich mir alles gefallen lassen? Muß man denn seinen Feinden recht geben? Hat man kein eigenes Recht?
Schwere Fragen sind das. Ein Teil der Antwort ist eine Rückfrage: Wie wirklich ist Gott denn für dich? Im Römerbrief hat Paulus vorher im 8. Kapitel festgestellt: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch Seinen eigenen Sohn nicht verschont hat – hat er uns mit ihm nicht alles gegeben? Wer will uns angreifen? Gott ist hier, auf unserer Seite. Wer will verdammen? Christus, der Auferstandene, ist hier auf unserer Seite und stellt sich vor uns.“ Ohne Glauben ist das alles verborgen. Für den Glauben ist es eine Realität. Und diesen Glauben schenkt Gott. Dazu ist Jesus gekommen, dazu gibt es Kirche, dazu sind wir hier. Es ist eine neue Kreatur, die wir aus eigener Vernunft und Kraft nicht schaffen. Rache ist die Realität, die wir vorfinden, auch in uns selbst. Wenn Gott etwas Neues bringt, dann muß es etwas anderes als Rache sein. Rache entsteht, wo man sich vom Bösen überwinden läßt. Mit Gottes Hilfe sollen wir das Böse mit Gutem überwinden.
Paulus zitiert dazu wieder das Alte Testament, die Sprüche des Königs Salomo: „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« – Hier wird der teuflische Kreislauf von Vergeltung und Rache durchbrochen.
Was heißt: „Feurige Kohlen aufs Haupt sammeln“? – Die Vorstellung ist ja schon schmerzhaft. Glühende Kohlen auf den Kopf – und dann auch noch gesammelt, angehäuft. Da wird man alles tun, diese Kohlen loszuwerden! Auf jeden Fall unangenehm! Wenn ein Christ seinen hungernden Feind speist, oder dem dürstenden Feind tränkt, dann werden das dem Feind brennende Kohlen auf dem Kopf. Der Feind rechnet mit Rache. Die Rache bleibt aus, statt dessen das Gegenteil von Rache. Das brennt auf seiner Seele. Kann es sein, daß der Feind seine Feindschaft an sich selbst spürt? Daß Gott ihm mit diesen „feurigen Kohlen“ erfahren läßt, was er da eigentlich anrichtet? Vielleicht enden diese „feurigen Kohlen“ den Rausch, das Begehren, Gott gleich zu sein? Besinnt er sich, kehrt er um? Das ist in Gottes Hand.
Diese Worte sind Worte des Glaubens. Der Apostel, der sie uns sagt, ist derselbe Mann, der uns das Evangelium Christi sagt. Paulus sagt uns das nicht, um menschliche Macht über uns zu bekommen. Als würde er sagen: „Ein Christ muß sich alles gefallen lassen – vor allem von mir!“ Paulus führt uns zu Gott, damit wir von Gott Kraft und Hilfe empfangen. Auch mit diesen strengen, geheimnisvollen Worten.
Von keiner anderen Person wollen wir diese Worte hören und annehmen. Paulus verkündigt kein politisches Programm! Keine menschliche Instanz kann von uns verlangen: Laß dir alles gefallen, verzichte auf dein Recht – denn keine menschliche Instanz kann sich dann vor uns stellen wie unser Herr Jesus Christus. Als Petrus zu Jesus sagte: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt – was wird uns dafür? Jesus antwortete ihnen und sprach: Wer auf Familie und Besitz verzichtet hat, der wird es hundertfach wieder empfangen und das ewige Leben erben.“ (Matthäus 19, 27.29). Das kann uns nur Gott versprechen. Darum kann Gott von uns erwarten, das Böse mit Gutem zu überwinden.
Menschen untereinander können das nicht. Wir sollen für das Recht unseres Mitmenschen eintreten – jeder in seinem Bereich. Eltern sollen sich für ihre Kinder stark machen – nicht schwach. Lehrer sollen sich für ihre Schüler stark machen, nicht schwach. Beamte sollen sich für die Bürger des Landes stark machen, und nicht schwach. „Sich stark machen“ heißt hier jedoch nicht in erster Linie lauthals Forderungen an andere stellen, oder Neid wecken und ausleben, sondern stark sein mit den Gaben, die Gott mir gegeben hat, und damit für den Nächsten da sein. Nicht selbstgerecht auf andere schauen, was sie denn alles tun sollten und nicht getan haben!
Direkt nach unserem Predigttext spricht Paulus davon. Gott hat Strukturen geschaffen, mit denen Menschen in unserer gefallenen, unvollkommenen Welt das Schlimmste verhindern sollen. Mörder, Ehebrecher, Diebe, Betrüger sollen nicht freie Bahn haben. Und wenn solche bösen Menschen nicht freie Bahn haben, dann ist es deshalb, weil Gott Menschen gibt, die sich dafür einsetzen. Es ist ein Geschenk Gottes, wenn wir nicht in einer Wildnis leben, in der wir immer wieder bei Null anfangen müssen, sondern profitieren von dem, was andere vor uns aufgebaut, erkannt und organisiert haben. Gott gibt Menschen Macht und Autorität, um damit Segen zu ermöglichen und zu schützen. Wir Menschen können den Segen nicht machen – wir empfangen ihn! – aber wir sollen alle dazu beitragen, daß Gottes Segen nicht bei uns zerstört und unmöglich gemacht wird. Mörder, Ehebrecher, Diebe und Betrüger tun das aber. Wer Macht über Menschen hat, der hat die Macht dazu, das zu verhindern.
Wenn wir den Worten des Apostels folgen, dann sind wir nicht allein. Gott ist für uns – und wir können mit Gottes Hilfe für unseren Nächsten da sein. Hier können und sollen wir beitragen, so gut wir können. Ohne Rachsucht, ohne Egoismus, ohne Angst, auch ohne Selbstüberschätzung. Das ist das Neue. Rache – Vergeltung – Heimzahlen: Das ist das Alte.
Wir sollten nicht darauf warten, daß eine Zeit kommt, in der das Neue selbstverständlich ist. Diese Zeit wird nicht kommen wie ein politische Bewegung oder Entwicklung. Diese Zeit ist da, wo Jesus ist, und wo wir ihm nachfolgen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

3. Sonntag nach Trinitatis

Das klingt ein bißchen wie Umfrage und Stimmungsbild. Welche Partei bekommt wieviel Prozent? „Was sagen die Leute?“ „Wie kommen wir an?“, „Welche Meinung hat man von uns?“

Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater
und dem HERRN, Jesus Christus. Amen.

13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, daß der Menschensohn sei?
14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
15 Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, daß ich sei?
16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

Gebet: Lieber himmlischer Vater, gib uns Deinen Heiligen Geist, der uns hilft, das Wort des Lebens zu hören und zu behalten. Amen.

Liebe Gemeinde!


Das klingt ein bißchen wie Umfrage und Stimmungsbild. Welche Partei bekommt wieviel Prozent? „Was sagen die Leute?“ „Wie kommen wir an?“, „Welche Meinung hat man von uns?“
So fragt Jesus seine Jünger: „Wer sagen die Leute, daß der Menschensohn sei?“ – Das war in der Gegend von Cäsarea Philippi – im äußersten Norden Galiläas, also an der Grenze des Heiligen Landes. Man kann sagen, daß Jesus nun das ganze Land durchwandert hatte, weiter ging sein Auftrag nicht. Hier konnte er mit seinen Jüngern überblicken, was bisher erreicht worden war. Denn nun gab es nur noch eine Steigerung, ein Ziel: Jerusalem, die Stadt des Tempels, die Hauptstadt, die Stadt der Entscheidung. Dort würde Jesus zeigen müssen, wer er ist und was er kann, und entsprechend würde das Volk Israel in anerkennen oder ablehnen. So war die menschliche Vorstellung.
Also: Was hatte man erreicht? Was sagen die Leute so?
Schlaue Beobachter sagen, daß die Politiker die Umfragen lesen, wie man früher Horoskope gelesen hat. Man definiert sich geradezu über die öffentliche Meinung, und versucht auch entsprechend mit Propaganda und Meinungsmache die Meinung und damit auch die Umfragen zu einem erwünschten Ergebnis zu bringen – wen man nicht versucht, direkt die Umfragen zu beeinflussen. Die öffentliche Meinung ist eine große Macht. Die Zustimmung der Menschen, ihr Vertrauen ist wichtig für jeden, der mit Macht zu tun hat.
Was konnten die Jünger denn berichten da in der Gegend von Cäsarea Philippi? – Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder ein Prophet. – Ein gutes Ergebnis, ja, ein phantastisches Ergebnis – bestimmt hatte kein Mensch im Israel der damaligen Zeit ein besseres Ergebnis. Johannes der Täufer: nicht nur war er am meisten beeindruckende Prophet der Generation gewesen, von nationaler Bedeutung, der das ganze Volk erschütterte, zum Nachdenken brachte, und viel mehr, sondern er war ja auch ein Märtyrer. Wegen seiner Geradlinigkeit gegenüber seinem König in Sachen Ehebruch wurde Johannes enthauptet. – Man meinte also, dieser Johannes sei in Jesus von den Toten auferstanden. Eine sensationell hohe Meinung. Man traute Jesus also alles zu.
Elia? – Der Prophet, der allein gegen seine ganze Zeit die Stimme erhob und zu Gott zurückrief, ohne Ansehen der Person Gottes Gebote klarmachte, auch unter Lebensgefahr. Der am Ende seines Lebens ins ewige Leben aufgenommen wurde, ohne sterben zu müssen. – Eine sensationell hohe Meinung! Elias ist wieder auf die Erde gekommen! Man konnte doch zufrieden sein, oder?
Jeremia? – Einer der ganz großen Propheten. Von ihm wurde erzählt, daß er nach seinem Tod noch die Heiligen Geräte im Tempel gerettet hatte, als die welterobernden Griechen den Tempel entweihten, so daß der Tempel danach wieder aufgebaut werden konnte.
Oder ein anderer Prophet.
Liebe Gemeinde. Alle diese Meinungen haben Jesus nicht zu dem gemacht, was er in Wirklichkeit war und ist. Das ganze Evangelium zeigt uns auch, daß Jesus an keiner Stelle auch nur einen Millimeter sich in Richtung der öffentlichen Meinung bewegt hat. Natürlich sorgten seine Wunder und seine Verkündigung für Aufregung und Gerüchte. Aber Jesus hatte keinen Seitenblick auf die Meinung der Menschen. Jesus wußte wer er war, was er zu lehren und was der zu tun hatte, schon vorher. Er brauchte keinen Rat. Seine Jünger waren kein Team, das mit ihm Ideen austauschte und ausprobierte, um zu sehen, was denn ankommt. Jesus war von alledem völlig, in göttlicher Weise, frei.
Deshalb geht Jesus auf diese ganze Umfrage auch gar nicht weiter ein. Er fragt einfach: „Und ihr, was sagt ihr?“
„Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ – Zunächst scheint es so, als ob hier jetzt einfach noch eine weitere Meinung dazukommt. Einer sagt: Prophet- gut! – Und jetzt sagt ein anderer eben „Christus, Messias, Sohn Gottes!“ – Das wäre dann einfach die nächste Stufe, nicht wahr? Nach Prophet kann dann nur noch Messias kommen. Das war die Summe der gesamten Hoffnung Israels. Der Gipfel an Macht, Wissen und Möglichkeiten. – Die Frage nach dem Messias lag in der Zeit Jesu ständig in der Luft. Es war eine heftige Diskussion.
Jesus antwortet sehr feierlich: „Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“
Jesus stellt fest: Das ist keine Meinung unter anderen Meinungen. Das kommt von Gott. Das kommt vom Himmel, aus der Ewigkeit. Das ist nicht das Ergebnis von menschlichen Überlegungen, das ist nicht der Ausdruck von menschlichen, allzumenschlichen Wünschen, Begierden. Das, lieber Petrus haben dir nicht deine Ängste und Sorgen, oder deine ungelösten Probleme beigebracht. Nein! Dies ist eine neue Kreatur. Hier geht die Sonne mitten am Tage nochmal auf und es kommt ein neues Licht. Der Apostel Johannes schreibt: „Wer glaubt, daß Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren.“ (1. Johannes 5,1). Das kommt niemals von Menschen. Das ist eindeutig von Gott.
Es kann ja sein, daß wir uns Wunder anders vorstellen. Wenn wir damals dabeigewesen wären, als Simon Petrus diese Worte aussprach – was hätten wir wohl gemerkt? Was merken wir heute? Sind wir von Andacht ergriffen und einfach platt, wenn ein Mensch bekennt: „Jesus von Nazareth, geboren von der Jungfrau Maria, ist der Sohn Gottes und der Messias von Israel“? Da muß man auf die Knie gehen und sagen: „Daß ich das noch erlebe!“ – Jesus behandelt es unumwunden wie einen Gottesbeweis. „Das hast du nicht von Fleisch und Blut. Das ist keine menschliche Möglichkeit. Das kommt von Gott.“ Als der Sohn Gottes erkennt Jesus sofort, wo sein himmlischer Vater am Werk ist – und wo nicht. Im Johannes-Evangelium sagt er: „Denn der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut“ (Johannes 5, 20). Das hat Jesus gesehen. Und das zählt. Was Petrus dabei gefühlt hat, und was die anderen Jünger oder der Rest der ganzen Menschheit darüber denkt, spielt keine Rolle. „Selig bist du, Simon.“ Bei Gott steht das jetzt fest. – In dir, Simon, Jonas Sohn, hat Gott der Schöpfer den neuen Anfang gemacht. Den neuen Anfang, der bitter nötig wurde, nachdem wir Menschen leider den Ersten Anfang verdorben haben. Der erste Anfang, die gute Schöpfung, die wir Menschen leider mit blinder wilder Entschlossenheit an die Wand gefahren haben. Wie? – Mit unserem Mißtrauen gegen Gott. Mit unserer Undankbarkeit, Lieblosigkeit. Mit unserem Begehren, das nicht glauben kann, daß Gott uns zu rechter Zeit beschenken wird, wie es gut ist. – Sünde halt. Das ist die Richtung von Fleisch und Blut. Das sind für den Glauben die schlechtesten Ratgeber. Da kommen nur unsichere Meinungen bei heraus. Nichts Zuverlässiges, schon gar nichts Ewiges, außer ewiger Verzweiflung und Verlorenheit.
Jesus sieht, wie ein grünes Pflänzchen genannt „Glauben“ den dicken Felsen „Sünde“ durchbricht.
„Du bist Petrus, und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“ Diese Worte haben Geschichte gemacht. Die größte christliche Konfession, die römisch-katholische Kirche, beruft sich auf dieses Wort. Wer Christ sein will, muß mit Petrus verbunden sein. Und da Petrus als Bischof von Rom starb, muß ein Christ in Verbindung mit dem Nachfolger des Petrus stehen, dem Bischof von Rom, dem Papst. Doch was Petrus zu Petrus macht, ist sein Bekenntnis. Petrus war schon der Fels, bevor er nach Rom kam. Mit seinen Worten stellt Jesus feierlich fest, daß der Funke übergegangen ist. Gott hat Glauben auf Erden unter den sündigen Menschen geschaffen. Das ist der Neuanfang, der nicht mehr vom Erdboden verschwinden wird. Petrus wird noch Dinge sagen, die er bereuen, ja zurücknehmen wird. Aber dieses Bekenntnis kann und darf er nie mehr zurücknehmen. Hier ist der Anfang der Kirche. Ein Mensch bezeugt: Das wichtigste und größte, und notwendigste, was Gott tut ist: Daß er in Seinem Sohn zu uns Menschen kommt, und uns rausholt. Daß Gott Seinen einziggeborenen Sohn hingibt unter den Fluch, daß ist das größte Wunder. Einen Menschen von Sünde frei machen ist so groß und schwer, wie Himmel und Erde aus dem Nichts schaffen. Um das sagen zu können, muß viel in einem Menschen geschehen sein. Petrus hat mit diesem Bekenntnis auch bezeugt, daß die Menschheit extrem hilfsbedürftig ist, und daß Jesus die Hilfe ist, die die Menschheit braucht. Petrus hat mit diesem Bekenntnis klargemacht: Mein größtes Problem ist meine Schuld. Und der Messias ist erst dann Gottes Messias, wenn er dieses Problem für mich und für alle löst.
Das, lieber Petrus, das mußt Du nie im Leben zurücknehmen! Das wird nie überholt. Keine Macht kann das unwahr machen. Mit diesen Worten bist Du, Petrus, bei Gott angekommen und in Sicherheit. Die Pforten der Hölle können dich nicht einschließen.
Du bist die Nr. 1 im Kirchenregister – alle, die zum Glauben kommen, kommen zu dir, Petrus in die Liste. Das ist die Kirche – die Liste, wo Petrus die Nr. 1 ist.
Jetzt kann man auch besser verstehen, was es heißt, daß Petrus die Schlüssel des Himmelreichs bekommt. Jesus sagt zu ihm: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ – Wer ins Himmelreich kommen will, kommt an Petrus – mit diesem Bekenntnis nicht vorbei. Wer es nicht bekennt, der ist einfach nicht drinnen. Der bleibt mit seiner Schuld, mit seinem Scheitern, mit seiner Verzweiflung und mit seinem Leiden und Tod allein und ohne göttliche Hilfe.
Wer aber mit Petrus bekennt, der ist nicht allein, im Gegenteil!
In unserer Kirche hören wir diese letzten Worte immer wieder in der Beichte: „Unser Herr Jesus Christus spricht zu Petrus …“ . Da sind wir an der Grenze, besser: beim Grenzübergang zum Reich Gottes. Denn in der Beichte sagen wir mit Petrus: „Lieber Gott, meine Sünden gehen über mein Haupt, und drohen mich zu verschlucken, ich werde die Last aus eigener Kraft nicht los. Hilf mir, im Namen Jesu.“ Das ist ein Wort, das nie bereut und zurückgenommen werden wird.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Gedenktag des Bekenntnisses von Augsburg

Heute vor 490 Jahren war ein großer Tag in Augsburg. Ein Gipfel. Die höchste Majestät und Autorität Europas, Kaiser Karl der Fünfte, hatte einen Reichstag einberufen. Am 21. Januar 1530 in Bologna, Italien, wurde einberufen – für den 8. April.

CONFESSIO AUGUSTANA 1530

Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater
und dem HERRN, Jesus Christus. Amen.

11 Aber du, Gottesmensch, fliehe das! Jage aber nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut!

12 Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen.

13 Ich gebiete dir vor Gott, der alle Dinge lebendig macht, und vor Christus Jesus, der unter Pontius Pilatus bezeugt hat das gute Bekenntnis,

14 daß du das Gebot unbefleckt, untadelig haltest bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus,

15 welche uns zeigen wird zu seiner Zeit der Selige und allein Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren,

16 der allein Unsterblichkeit hat, der da wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann. Dem sei Ehre und ewige Macht! Amen.

Text: 1. Timotheus 6, 11-16

Liebe Gemeinde!

Heute vor 490 Jahren war ein großer Tag in Augsburg. Ein Gipfel. Die höchste Majestät und Autorität Europas, Kaiser Karl der Fünfte, hatte einen Reichstag einberufen. Am 21. Januar 1530 in Bologna, Italien, wurde einberufen – für den 8. April. Am 11. März erreichte die Einladung den Sächsischen Kurfürsten Johann. Am 3. April, dem Sonntag Judika, verließen die Theologen Luther, Melanchthon und Justus Jonas Wittenberg, um den Kurfürsten nach Augsburg zu begleiten. Am 15. April ließ man Luther in Coburg – er war ja geächtet – sein Erscheinen wäre ein Zumutung gewesen!  – und am 2. Mai kam die kursächsische Delegation in Augsburg an.

Der Reichstag hatte zwei Hauptthemen: 1. Die Abwendung der Türkengefahr: Die militärische Bedrohung der Christen Europas durch islamische Armeen war ein ständiges Thema. Vom 27. September bis zum 14. Oktober 1529 hatten osmanische Truppen unter dem Kommando von Sultan Süleyman I. dem Prächtigen Wien eingeschlossen, das damals Hauptstadt der Habsburgischen Erblande und eine der größten Städte Mitteleuropas war. Unterstützt von anderen Truppen des Heiligen Römischen Reichs konnten sich die Verteidiger behaupten.

2.  Die Beilegung der religiösen Streitigkeiten.  Der Kaiser formulierte freundlich: Er wolle „eines jeglichen Gutdünken, Opinion und Meinung“ dazu hören. – Weniger als 10 Jahre zuvor hatte Dr. Martin Luther allein vor dem Reichstag zu Worms gestanden – am 18. April hatte Luther sich vor dem Kaiser geweigert, zu widerrufen – nämlich das biblisch begründete Evangelium von der Gnade Gottes – und gesagt: „… „ …. wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde, denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“  Das sagte er allein. Inzwischen waren es unzählige, die sich ihm angeschlossen hatten.

In Augsburg stand nicht er, sondern Repräsentanten ganzer Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation standen vor dem Kaiser und bekannten: Johann Kurfürst von Sachsen, Georg Markgraf von Brandenburg – unser Mann! -, Ernst Herzog zu Lüneburg, Philipp Landgraf von Hessen, Johann Friedrich Herzog zu Sachsen, Franz Herzog zu Lüneburg, Wolf Fürst zu Anhalt, und zwei Städte: Nürnberg und Reutlingen. Sie setzten ihre Ehre, Hab und Gut ein für ihren Glauben.

Die Gegner Luthers hatten sich vorgenommen, zu beweisen, daß die Evangelischen nicht Teil der Christenheit wären. Dazu hatte Professor Johannes Eck der Universität Ingolstadt 404 Irrtümer Luthers zusammengetragen und veröffentlicht. Deshalb beauftragte der sächsische Kurfürst die Evangelischen Theologen, ein Bekenntnis aufzustellen, das bezeugen würde: Wir sind Teil der Christenheit, wir glauben das, was Christen glauben sollen und geglaubt haben. Also positiv. Die negativen Punkte, also die Änderungen, sollten mehr im Hintergrund sein. So verfaßte Philipp Melanchthon, damals 33 Jahre alt, unser Bekenntnis – am 11. Mai lag es vor. Es gab regen Postverkehr mit Luther auf der Coburg, und schon am 15. Mai konnte Luther zurückmelden: „ Ich habe das Bekenntnis gelesen, es gefällt mir sehr gut, und ich weiß nichts daran zu ändern und zu bessern, das wäre auch unpassend, denn ich kann so sanft und leise nicht treten. Christus unser Herr helfe, daß sie viel und große Frucht schaffe, wie wir hoffen und bitten. Amen!“.

Schließlich wurde sie am 25. Juni um 15 Uhr  vom sächsischen Kanzler Dr. Christian Beyer im Saal des bischöflichen Palastes verlesen. Auf deutsch, bei offenen Fenstern, wo die Menge jedes Wort mithören konnte.

Der schwäbische Reformator Johannes Brenz berichtete über die Neutrale Haltung des Kaisers: „Als unsere Konfession vorgelesen wurde, schlief er ein; und als die Antwort der Gegner vorgelesen wurde, schlief er wieder und fortwährender Verhandlung ein.“  – Das ist oft die Neutralität der Welt, sie schläft ein, wenn um die Wahrheit gerungen wird. – Doch der Kaiser blieb sich seiner christlichen Verantwortung auf seine Weise bewußt und kämpfte für den katholischen Glauben mit allem, was ihm zur Verfügung stand, bis er 1555 abdankte und sich in ein Kloster zurückzog.

Liebe Gemeinde, etwas Geschichte muß sein. Das Evangelium kommt von Gott; es bahnt sich aber einen Weg in dieser Welt. Es kommen konkrete Menschen an konkreten Orten zu bestimmten Zeiten zum Glauben.

Das Bekenntnis von Augsburg ist eine unserer Bekenntnisschriften. Unser kirchliches Leben richtet sich danach aus. Alle Amtsträger sind darauf verpflichtet, das heißt, sie müssen sich davor verantworten können. Was uns zusammenhält und zusammenführt, ist nicht Freundschaft, auch nicht ein politisches oder finanzielles Interesse. Es ist die göttliche Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus – auf dieser Grundlage sollen wir uns immer wieder finden und unseren Weg gehen.

In unserem Predigttext scheint es zunächst um etwas Persönliches, ja Privates zu gehen. Der Apostel Paulus schreibt seinem Schüler und Nachfolger Timotheus, wie es in der Kirche weitergehen soll. Ganz persönlich, ganz privat. Und doch schafft das Evangelium eine ganz große Öffentlichkeit. Vielleicht ist Religion Privatsache. Das Evangelium ist öffentlich. Daß Religion Privatsache sei, bedeutet ursprünglich, daß die staatliche Macht nicht in die Religion hineinregieren soll – der Bürger soll vor der Macht des Staates geschützt werden. Heute meint man: Religion ist privat, also soll niemand merken, welche Religion ich habe. Diese weitverbreitete Meinung kann sich weder auf die Reformation, noch auf das Neue Testament berufen.

Paulus schreibt zwar einen persönlichen Brief an Timotheus, aber in diesem Brief macht er deutlich, daß es sich um eine äußerste, größte Öffentlichkeit handelt.

1. Vor der Gemeinde – „Du, Timotheus, hast das Gute Bekenntnis bekannt vor vielen Zeugen.“ Das war bei seiner Taufe oder bei seiner Einsetzung als Geistlicher seiner Gemeinde. Eine Meinung kann ich für mich behalten, unklar, unverbindlich, ohne Folgen. Ein Bekenntnis zielt auf Klarheit, Deutlichkeit, Verbindlichkeit. „Jesus Christus ist der HERR!“

 2. „vor Gott, der alle Dinge lebendig macht, und vor Christus Jesus, der unter Pontius Pilatus bezeugt hat das gute Bekenntnis“   – Das Bekenntnis des Timotheus vor der christlichen Gemeinde ist auch gleichzeitig ein Bekenntnis vor Gott und Jesus Christus. Das ist eine Dimension, an die wir nicht genug denken können. Gott nimmt unser Bekenntnis ab – durch Menschen. Für mich als Prediger bedeutet das immer: Ich spreche zwar vor Menschen, die stark oder schwach sind, arm oder reicht, gebildet und weniger gebildet, wie auch immer; doch was gesagt wird, das ist vor Gott gesagt. Vor dem Gott, der mein Leben in der Hand hat, vor dem Herrn Jesus Christus, der sich für mich und für diese Menschen geopfert hat. Darum ist es eine andere Sprache, als das unverbindliche persönliche Gespräch.

Diese Sprache des Bekenntnisses ist eine Antwort auf Gottes Tun und Sprechen: Paulus nennt Gott den, der „alle Dinge lebendig macht“. Also Gott veröffentlicht Seine Schöpfermacht vor der ganzen Welt. Öffentlicher geht nicht – unser Schöpfer ist nicht unverbindlich, undeutlich, unklar oder mal so mal so. Er will das Leben und er schafft es – jeder kann es sehen, wissen und erfahren. Darum ist es nur passend, wenn wir Menschen Gott die Ehre geben, und ihm darauf antworten mit einem Bekenntnis, das jeder hören, wissen und verstehen kann.

3.  Ebenso hat Jesus sich ganz klar und deutlich vor dem höchsten geistlichen und vor dem höchsten weltlichen Gericht deutlich bekannt. Vor dem Hohen Rat Israels hat er bezeugt, daß er „Christus, der Sohn Gottes“ ist. (Matthäus 27, 63-4). Und vor Pilatus, den Statthalter der römischen Weltmacht bekannte er sich als „Der König der Juden“ (Matthäus 27, 11). Das kann jeder wissen und verstehen. Es war Weltöffentlichkeit. So wie Gottes Schöpfung und das Evangelium von Jesus Christus alle Menschen ausnahmslos angeht, so sollen wir das auch vor allen Menschen aussprechen und bezeugen. Gott wird zu Seinem Wort stehen, und uns lebendig machen.

Es gehört zum Evangelium, daß es auch vor der weltlichen Macht bezeugt wird, wie Jesus vor Pilatus, und danach auch alle Apostel. Ähnlich dann die Evangelischen vor Kaiser und Reich. – Und denken wir daran: Kaiser Karl V verstand sich in der Nachfolge der Römischen Kaiser – also man stand vor derselben Majestät und Macht, wie Jesus selbst. Also, wer Jesus nachfolgt, der wird ihm auch nachfolgen zum Zeugnis vor den Menschen.

4. Paulus gebietet Timotheus das Evangelium „unbefleckt, untadelig zu halten bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus“. Das Evangelium bleibt gleich. Sonst hätten die Apostel es nicht aufgeschrieben. Was schreibt bleibt. Es ist keiner Entwicklung unterworfen. Wenn es Entwicklung geben würde, dann könnte man zu allem sagen: „Das gilt jetzt nicht mehr, das war mal so, aber heute nicht mehr.“ Dann muß man an Menschen glauben, die uns offenbaren, was denn aktuell gilt. Welche Menschen sollen das sein? Ab wann soll das Neue dann gelten? Und bis wann?  – Fangen wir nicht an, uns auf dieses unsichere Glatteis zu begeben! – Der Reformator hat das ganz deutlich gesagt in einem (persönlichen) Bekenntnis aus dem Jahr 1528:

 „Ob jemand nach meinem Tode sagen würde: wo der Luther jetzt lebte, würde er diesen oder jenen Artikel anders lehren und halten, denn er hat ihn nicht genugsam bedacht usw., dawider sage ich für jetzt und immer, daß ich alle diese Artikel aus Gottes Gnade aufs fleißigste bedacht, oftmals an der Schrift überprüft und immer wieder die Schrift durchforscht habe, und dieselben so gewiß verfechten wollte, wie ich jetzt das Sakrament des Altars verfochten habe. Ich bin jetzt nicht trunken und unbedacht. Ich weiß, was ich rede, fühle auch wohl, was mirs auf des Herrn Jesu Christi Wiederkunft am Jüngsten Gericht gilt. Darum soll mir niemand Scherz oder Narrenspiel daraus machen. Es ist mir ernst, denn ich kenne den Satan aus Gottes Gnade: zum großen Teil kann er Gottes Wort und Schrift verkehren und verwirren; was sollte ers nicht mit meinen oder eines andern Worten tun?“

Aus demselben Geist spricht auch die letzte Lutherische Bekenntnisschrift, die Konkordienformel von 1580: Bei diesem Bekenntnis „gedenken wir, mit Gottes Gnade, bis an unser seliges Ende zu verharren und vor dem Richterstuhl unsers Herrn Jesu Christi mit fröhlichem, unerschrockenem Herzen und Gewissen zu erscheinen.“

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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