Exaudi

Von | Mai 25, 2021
Moses schlägt Wasser aus dem Felsen

Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus.
Amen.

Aber am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Johannes 7, 37 – 39

Komm, heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen, und entzünd in ihnen das Feuer deiner göttlichen Liebe. Amen.

Liebe Gemeinde!

Wer alte Menschen betreut, wird bald von erfahrenen Pflegern den Rat bekommen: Gib ihnen genug zu trinken! Der Körper braucht Wasser! – Und ich habe beobachtet, wie es einen Zusammenhang zwischen genügend Trinken und einem funktionierenden Verstand zusammenhängt. Das ist nur ein Beispiel, wie eng, ja notwendig, Wasser und Leben miteinander verknüpft sind. Sehr dramatisch wird das in vielen Wüsten oder Halbwüsten, wo die Landschaft nach dem ersten Regen förmlich explodiert – aus dem dürren scheinbar leblosen Sand und Stein wachsen unzählige Pflanzen hervor und blühen und bieten ein paradiesisches Bild, und die Tiere kommen alle hervor, man fragt sich, wo sie vorher ihr Leben hatten!
An dem Laubhüttenfest, einem der ganz großen Feste des Alten Testaments, war das Wasser auch ein zentrales Thema.
Einerseits wurde das Ende der Ernte gefeiert. Und die war ja ohne Regen und Wasser nicht möglich gewesen. Gott hatte den Himmel geöffnet, und die Erde hatte ihre Frucht gegeben. Die Arbeit hatte sich gelohnt. Gott sei Dank! Gott liebt das Leben, und wir spüren und erleben, wie Gott uns erhält.

  1. Mose 16: „13 Das Laubhüttenfest sollst du halten sieben Tage, wenn du eingesammelt hast von deiner Tenne und von deiner Kelter, 14 und du sollst fröhlich sein an deinem Fest, du und dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, der Levit, der Fremdling, die Waise und die Witwe, die in deiner Stadt leben. 15 Sieben Tage sollst du dem HERRN, deinem Gott, das Fest halten an der Stätte, die der HERR erwählen wird. Denn der HERR, dein Gott, wird dich segnen in deiner ganzen Ernte und in allen Werken deiner Hände; darum sollst du fröhlich sein.“
    Zugleich sah das Gesetz des Mose vor, daß das Volk Israel zu diesem Fest sieben Tage in Hütten, oder Zelten, außerhalb der gebauten festen Häuser, wohnen sollte.
  2. Mose 23: „42 Sieben Tage sollt ihr in Laubhütten wohnen. Wer einheimisch ist in Israel, soll in Laubhütten wohnen, 43 daß eure Nachkommen wissen, wie ich die Israeliten habe in Hütten wohnen lassen, als ich sie aus Ägyptenland führte. Ich bin der HERR, euer Gott.“ – 40 Jahre war Israel durch die Wüste gezogen und hatte in Zelten gewohnt. Ganz klar war Wasser in der Wüste ein ständiges dringendes Thema. Gott ließ Wunder geschehen, daß Sein Volk immer genug Wasser hatte und überlebte.
    Es war deshalb nur passend, wenn beim Laubhüttenfest an entscheidender Stelle Wasser im Gottesdienst eine hervorragende Rolle spielte. „Am achten Tag des Festes füllte der Hohepriester den goldenen Krug an der Quelle Siloah, brachte ihn in den Tempel und goß ihn am Altar aus.“ Dazu paßte ein Wort aus dem Propheten Jesaja: „Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen.“ (Jesaja 12, 3).
    An diesem Tag tritt Jesus mitten in Tempel auf und ruft:
    „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“
    Das ist soviel wie: Wer leben will, der kann das Leben bei mir bekommen. Und jeder, der diese Worte hörte, war nach sieben Tagen feiern erfüllt von den beiden große Wahrheiten: Wie Gott der Schöpfer Leib und Seele zusammengehalten hat durch den Segen der Ernte – UND, wie Gott der HERR Sein Volk auf der Wanderung durch die Wüste versorgt hat, und am Ende Sein Versprechen gehalten hat – denn das Volk Israel ist ja ans Ziel gekommen: Es war nicht mehr in der Wüste sondern wohnte im Heiligen Land, daß Gott ihm versprochen hatte.
    Das ist ein gewaltiger Auftritt. Genau in dem Moment, wo das ganze Volk Israel zusammen mit seinem Hohenpriester vor Gott bekennt: Du erhältst uns am Leben, und versorgst uns als Dein Volk und tust alles, Deine Verheißungen wahr zu machen – alle Herzen sind erfüllt von dieser Wahrheit! – Da sagt Jesus: Kommt zu mir! Ich lösche den Durst. Ich gebe euch das Wasser, das die Wüste zu Leben bringt, das Wasser, das eure Seele belebt und erquickt, ich lösche den Durst! – Damit stellt Jesus sich auf die Seite Gottes. Das kann gar nicht anders verstanden werden. Mit diesen Worten bittet Jesus nicht zusammen mit allen Israeliten um Regen, mit diesem Ruf dankt er nicht für die Gaben des Himmels, sondern er stellt sich hin und sagt: „Ich bin der Geber!“
    Das hatte Jesus schon an anderer Stelle gesagt. An Jakobs Brunnen hatte Jesus zu der samaritischen Frau gesagt: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ (Johannes 4, 13-14). Da stellt Jesus sich auf die Seite Gottes.
    In etwas abgewandelter Form sagt uns das der Apostel Paulus auch. Im ersten Korintherbrief erinnert er an die Wanderung Israels durch die Wüste; er erinnert an das Wunder, wie Gott aus einem Felsen mitten in der Wüste frisches Wasser quellen ließ, und dann sagt er: „Und haben alle denselben geistlichen Trank getrunken; sie tranken nämlich von dem geistlichen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war Christus.“ (1. Korinther 10, 4).
    Jesus offenbart sich also als der Gott, der das Volk Israel durch die Wüste begleitet hat. Er ist die Quelle, von der Israel die ganze Zeit gelebt hat. Er ist der Vermittler des Lebens.
    Wer zu ihm kommt, der kommt zu Gott. Gott muß nicht mehr weiter gesucht werden. Gott ist nicht mehr weit entfernt in einer Vergangenheit, Gott ist nicht mehr nur eine Erinnerung, sondern da, und zugänglich und ansprechbar.
    Damit macht Jesus klar, was unsere Situation ist:
    Wir Menschen dürsten. Aber wonach?
    Wir fühlen in uns Mangel, Sehnsucht, Sorge, Angst, Unsicherheit, wir merken, daß unser Leben nicht ganz ist, nicht heil ist. Wir leben, aber die Zeichen der Sterblichkeit machen sich bemerkbar. Unser Leben ist dauernd damit beschäftigt, den Durst zu stillen. Zuerst den leiblichen Durst – Wasser, Essen, Wärme, Sauberkeit, Luft – – aber auch seelischen Durst: Gemeinschaft, Gespräch, Wahrheit, Liebe, Schönheit, Frieden. Wir dürsten danach! Jesus spricht davon, daß wir „hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“ (Matthäus 5, 6). Es gibt die Sehnsucht nach Harmonie und Frieden. Gerade auch in mir selbst. Und es ist überhaupt keine Frage, daß das eine Sehnsucht nach Gott ist, ein Durst nach Gott selbst. Denn Gott ist die Quelle von alle dem, nach dem wir dürsten. Psalm 42 spricht es aus: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue?“ Wenn dieser Durst gestillt wird, dann ist das Leben ganz. Gott bringt alle Seine Gaben mit: „HERR, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde“, sagt Psalm 73, 25).
    Und die Seele freut sich und wird satt, wenn sie erkennt: Gott und Seine Liebe meinen mich. Dieses Geschenk ist kein Zufall, diese Freude ist keine Täuschung, sondern Gottes Wille.
    „Wen da dürstet!“ – Das sind wir alle.
    Und ähnlich, wie er zu der samaritischen Frau sagte, so sagt er jetzt vor dem feierlich versammelten Volk Israel, daß er eine Gabe zu verschenken hat, die den Empfänger verwandelt, neu schafft: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ – Dieses Wasser geht nicht in meinen Körper über wird verbraucht und verdampft, sondern es bleibt göttlich, bleibt Gottes Gabe und wird zu einer Quelle, mein Leib wird zu einer Quelle. Dieses Wasser braucht mein Leben nicht auf, daß es alle wird, und ich wieder Durst habe und trinken muß. Ganz im Gegenteil!
    Wer glaubt, „wie die Schrift sagt“, der hat Anschluß bekommen an den Ursprung des Lebens. Dieses Wunderwasser, das Leben schenkt, und nicht verbraucht wird, sondern in uns zu einer Quelle wird, ist der Heilige Geist. Der Heilige Geist ist Gott selbst als göttliches Geschenk. Was ein Geschenk zu einem Geschenk macht, ist das Persönliche: Ich gebe meine Liebe ins Geschenk, und meine dich damit. Das ist für dich! Das ist die ultimative Gabe Gottes, daß er sich selbst schenkt und uns damit meint.
    Jesus ist gekommen – nicht um uns leiblich mit Wasser zu versorgen –obwohl das auch in seiner Macht steht, und wir ihn auch darum bitten sollen! – sondern es ist gekommen, uns die Quelle des Lebens zu schenken.
    Es gibt uns zu denken, daß die Gabe, die Gott uns geben will und auch gibt, daß diese Gabe Gott selbst ist. Das bedeutet erstmal: Gott spart nicht, er gibt sich selbst, mehr geht nicht! – Es heißt aber auch: Es muß schon Gott selbst sein. Wir brauchen nicht dies oder das, sondern Gott selbst. Wir haben also Gott verloren. Das zeigt sich in unserem Leben. Wir dürsten nach Wahrheit, nicht nur, weil andere Lügen, sondern weil die Lüge auch in uns ist. Wir dürsten nach Liebe, nicht nur, weil andere uns enttäuschen, sondern weil wir selbst von Selbstsucht befallen sind. Wir sind nicht nur Opfer des Durstes, sondern sozusagen auch eine Quelle, eine Ursache des Durstes bei uns und bei anderen. Dagegen hilft nicht ein Glas Wasser, sondern eine Quelle. Gegen unsere Sünde hilft nicht ein guter Vorsatz, oder eine Ausrede, sondern Gott selbst muß kommen.
    Darum verheißt Jesus den Heiligen Geist.
    Aber wie bekommen wir ihn? Durch den Glauben. Der Glaube ist der geöffnete Mund, der trinkt und trinkt. Der Glaube nimmt das Lebensnotwendige auf, er empfängt, was er sich selbst nicht geben kann.
    Aber wie kann das aussehen? Wird das Problem dadurch nicht einfach verschoben? Wie weiß ich denn, ob ich glaube?
    Die Antwort ist im nächsten Satz unseres Predigttextes: „Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.“ – Der Heilige Geist kommt, wenn Jesus verherrlicht wird. Unser Glaube entsteht also dann, wenn Jesus uns so gezeigt wird, wie er selbst, wie Gott selbst, ihn gemeint und verstanden hat.
    Das geschah, als Jesus sich unschuldig verurteilen ließ. Seine Liebe brachte ihn dahin, daß er die Bosheit, Dummheit, Lieblosigkeit und Unfreiheit von uns Menschen auf sich nahm, und mit seiner Freiheit und Liebe trug. Das ist Seine Herrlichkeit. Da wird offenbar, wie er jedes Seiner Worte gemeint hat, das war Seine größte Leistung, da hat er die Macht, mit der Er alle Seine Wunder getan hatte, gebraucht. Mit unserer Sünde fertig zu werden, das ist Seine Herrlichkeit. Und die Auferstehung hat das bestätigt. Da hat Gott dokumentiert: Dieser hat recht. Sein Kreuz war kein Fehler. Die Vergebung hat recht. Das ist die Verherrlichung.
    Und wir hören und das an, und gehen nicht weg. Ja, das mußte sein. Jemand mußte kommen und den Teufelskreis durchbrechen. Ja. Ich habe da mitgekreuzigt, ich habe mitverraten, ich bin da mitgeflohen, ich habe mitgemischt. Aber das alles hat die Liebe nicht zerstört. Gott hat die Liebe, ja das Leben wieder auferweckt. Gott vergibt mir.
    Da erreicht mich die Herrlichkeit Gottes. Nicht mehr und nicht weniger ist der Glaube.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Beitragsbild:
Duccio di Buoninsegna: Maestà, Altarretabel des Sieneser Doms, Rückseite, Altarbekrönung mit Pfingstzyklus, Szene: Pfingsten
1308-1311, Tempera auf Holz, 37,5 × 42,5 cm
Siena, Museo dell’Opera del Duomo
Kommentar: Sieneser Schule, Auftraggeber: Sieneser Dombauhütte, Altar nur teilweise erhalten
Land: Italien
Stil: Gotik
[Duccio di Buoninsegna. The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei, S. 3091 (c) 2005 The Yorck Project]