Predigt über 1 Mose 22, 1 – 14

Von | April 16, 2024
Rembrandt: Der Engel verhindert die Opferung Isaaks, Eremitage

Pfarrer Sebastian Stork

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. 2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. 4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. 5 Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. 6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. 7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? 8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. 9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. 11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. 14 Und Abraham nannte die Stätte »Der HERR sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sich sehen lässt.

1 Mose 22, 1 – 14

Laßt uns beten: Herr, segne unser Reden und Hören, damit wir bereitet werden für das Sterben und Auferstehen Deines Sohnes. Amen.

Schwestern und Brüder,

sind Sie oder seid ihr beim Hören auch vor die Wand gelaufen? Gott versuchte den Abraham. Ist Gott nicht mehr Gott? Ein Gott, der pubertäre Psycho-Spielchen spielt, ist nicht Gott. Gott kennt die Herzen aller Menschen von Grund auf. Gott kennt auch das Herz des Abraham und weiß, ob Abraham treu ist oder nicht. Gott erwählt und verwirft, nach Seinem Rat und mit Seinem Arm, in Vollmacht und in Eindeutigkeit. Gott versucht niemanden (Jac 1,13). Gott lehrt uns beten: und führe uns nicht in Versuchung (Mt 6,13, Lk 11,4). Aber hier heißt es: und Gott versuchte den Abraham. Was sollen wir damit anfangen?

Wir hören mit Abraham Gottes Rede an ihn: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast.

Eben zu Klärung. Gemeint ist damit nicht, daß Abraham einen Haufen Söhne hat, aber von denen nur den Isaak gerne hat. Sondern Isaak ist der einzige Sohn Abrahams, und entsprechend intensiv und konzentriert ist die Zuneigung Abrahams zu seinem Sohn. Es gibt viele Faktoren, die seine Zuneigung verstärken. Zuerst, weil ein Mann im fortgerückten Alter doch noch stolzer Vater geworden ist, und Abraham wäre sicher nicht der einzige, der in so einer Situation seine Urteilskraft verliert. Zum anderen, Isaak ermöglicht den Fortbestand der Familie. Nach den Vorstellungen von Vererbung im antiken Israel wird die Identität der Familie nur in der Reihenfolge Vater zu Sohn weitergegeben. Familie hat in der Antike eine ganz andere Bedeutung als heute. Außerhalb des Familienclans waren die Aussichten auf Überleben gering. Der Bestand der Familie war lebensnotwendig, der Bestand der Familie Abrahams hängt allein an Isaak, entsprechend intensiv die Sorge Abrahams und aller Glieder der Familie um Isaaks Wohlergehen. Ganz besonders gründet die Liebe Abrahams zu Isaak darin, daß Isaak die Wirklichkeit gewordene Zusage Gottes ist. Abrahams Leben ist nicht sonderlich konstant verlaufen. Das beginnt mit der Aufforderung Gottes, geh aus deinem Vaterland und von Deiner Familie in ein Land, das ich dir zeigen werde (1Mo 12). Aber als Ergebnis dieser Mühe und Unsicherheit will ich dich zu einem großen Volk machen. Die Hoffnung auf ein großes Volk beruht wiederum allein auf Isaak. Gleich drei Mal, durch Vaterglück, durch Erhalt der Familie und als Realisierung der Zusage Gottes ist Isaak und sein Überleben zentral.

Nimm Isaak, der dein einziger Sohn ist, und den du lieb hast. Diese Aufforderung rührt nicht nur an den Mittelpunkt des Lebens des Abraham. Gott selber, Seine Zusagen, Seine Zuverlässigkeit, Sein Umgang mit Seinem Volk und allen Menschen, das alles wird in dieser Aufforderung erkennbar.

Die Aufforderung Gottes kommt am Ende einer Kette von Ereignissen, oder wie es am Anfang des Berichtes heißt, nach all diesen Geschichten. All diese Geschichten sind der Auszug Abrams zusammen mit seinem Neffen Lot nach Bethel und Negev, dann Abrams Versuch, durch Migration nach Ägypten einer Hungersnot zu entkommen, wo er sofort in Schwierigkeiten gerät, dann die Trennung von Abram und Lot, worauf Lot von fremden Herrschern gefangengesetzt und ausgeplündert wird, so daß Abram ihn mit allen seinen Männern da heraushauen muß, und dergleichen mehr. In allen diesen Ereignissen hat sich Gott als zuverlässiger Helfer erwiesen, Der Abram und auch Lot aus allen Nöten herausholt.

Zu diesen Ereignissen gehört auch die wiederholte Zusage Gottes an den kinderlosen Abraham, daß er nicht kinderlos bleiben wird, sondern Stammvater eines großen Volkes sein wird. In Isaak ist diese Zusage wahr geworden. Auch in Seinen Zusagen wurde erkennbar, Gott ist nicht ein Sprücheklopfer, sondern führt aus, was Er ankündigt.

Aber die Aufforderung zum Opfer des Isaak stellt alles auf den Kopf, was die bisherigen Ereignisse über Gott offenbart haben.

Gott versuchte den Abraham. Diese Tat Gottes ist unerklärlich. Wir können versuchen, diese Tat zu verstehen, indem wir sagen, Gott läßt den Abraham und den Isaak aus dieser Versuchung unbeschadet herauskommen. Aber das ist eine untaugliche Beschwichtigung. Schon die Versuchung des Abraham widerspricht allen bisherigen Taten Gottes. Wir können versuchen, diese Tat zu verstehen, indem wir sie für einen vereinzelten und darum verzeihbaren Aussetzer Gottes halten. Aber Gott passieren keine Aussetzer, Gott hat nicht gute und schlechte Tage. Aussetzer sind das Kennzeichen der erfundenen Möchtegern-Götter aus der Umgebung Israels. Von diesen unterscheidet sich Gott gerade durch die Zuverlässigkeit und Eindeutigkeit Seiner Taten. Gottes Taten dienen nicht Seinem eigenen Wohlergehen. Gottes Taten dienen immer dem Wohlergehen Seines Volkes.

Bis heute. Bis zu der Aufforderung Gottes, den Isaak zu opfern. Seit der Aufforderung ist nicht mehr eindeutig, was Gottes Verhalten gegenüber Abraham und den Zusagen an Abraham ist.

Wie reagieren wir auf diese von Gott angestiftete Verwirrung?

Wir gehen mit Abraham und Isaak. Es wäre einiges zu sagen zu dem frühen Morgen, an dem sie aufbrechen, und zu dem Weg von drei Tagen, den sie zurücklegen. Heute geht der erste Hinweis auf die Trennung der Gruppe. Abraham sagt zu den Knechten, bleibt mit dem Esel hier. Die Trennung von Knechten und Tragetier bedeutet das Zurücklassen aller Hilfe. Heute könnte Abraham den Weg gps-gestützt und mit aktuellen Wetterbedingungen für sich optimieren lassen. Zu seiner Zeit hatte Abraham andere Menschen und gezähmte Tiere. Diese beiden Hilfen lassen Abraham und Isaak nun zurück. Was ab jetzt geschieht ist unvermittelte und unverhüllte Realität des Handelns Gottes an Abraham und an Isaak.

Ist Abraham durch Isaak nicht der Vater des Volkes Gottes? Sollte Gott an uns anders handeln, als an Abraham und Isaak? Wir sind mit diesen beiden unterwegs und nun mit Gott allein.

Auf diesem Abschnitt des Weges geschehen einige auffallende Ereignisse.

Da ist zuerst das stark formalisierte Gespräch zwischen Isaak und Abraham. Isaak: Mein Vater, Abraham antwortet: hier bin ich mein Sohn. So reden doch Vater und Sohn nicht miteinander, auch in der Antike nicht. Die nächste Antwort des Abraham sagt, daß Gott sich ein Schaf zum Opfer erwählen wird. Im weiteren Verlauf wird dann aber ein Widder geopfert, nicht ein Schaf. Das Gespräch zwischen Isaak und Abraham paßt nicht in den Ablauf der Ereignisse auf dem Berg Morija. Dieses Gespräch bereitet ein anderes Ereignis vor. Und das Gespräch macht klar, an diesem anderen Ereignis sind ein Vater und sein Sohn beteiligt, und bei der Gelegenheit wird Gott sich ein Opfer wählen.

Vielleicht ist Ihnen und euch auch der Satz aufgefallen, der auf dieses Gespräch folgt: Und gingen die beiden miteinander. Von den beiden ist der eine als Opfer vorgesehen und trägt Holz, der Andere trägt Feuer und Schlachtmesser. Das sind zwei völlig gegensätzliche Situationen. Dennoch macht der Bericht aus den beiden eine Einheit. Und gingen die beiden miteinander. Trifft diese Beschreibung wirklich Abraham und Isaak? Oder wird hier eine andere Gruppe aus Vater und Sohn beschrieben?

Auch das Verhalten des Isaak ist auffallend. Zuerst hat er Fragen und sucht nach Erklärungen. Aber oben auf dem Berg läßt er sich dann kommentarlos binden und auf das Holz legen? Abraham ist alt, aber nicht altersschwach, und daß Isaak mit seinem Vater nicht handgreiflich werden will, ist gut verständlich. Aber Isaak kann dem Versuch, ihn zu opfern, problemlos davonlaufen. Er tut nichts dergleichen. Angesichts des Opfers wird Isaak zu jemandem ohne Eigenschaften und ohne Initiative. Das ist nicht mehr eine reale Person. Dieser Isaak verweist auf ein Opfer, der davonlaufen könnte, aber nicht davonläuft.

Die Aufforderung an Abraham, der Gang auf den Berg, die Bereitschaft des Abraham und die Nicht-Opferung des Isaak, das geschieht nicht, damit Gott über Abraham Neues erfährt. Sondern diese Ereignisse dienen zu unserer Unterweisung.

Abraham und Isaak und das nicht vollzogene Opfer haben ihre Aussage nicht in sich selber. Wenn wir diese Handlung Gottes verstehen wollen, müssen wir über dieses Ereignis hinaussehen.

Uns allen sind die Parallelen schon aufgefallen. Der Sohn als Opfer, der Gang auf den Berg, das Holz für den Vollzug des Opfers auf der Schulter des Opfers. Das alles ereignet sich auch bei dem Opfer Jesu auf Golgatha. Aber wenn wir die Ereignisse auf Morija mit denen auf Golgotha vergleichen, dann müssen wir zuerst den vollständigen Gegensatz in der Hauptsache festhalten. Vater Abraham und Sohn Isaak bleibt das Opfer des Sohnes erspart.

Der Gott Abrahams hält die Hand mit dem Messer fest, um das Opfer des Isaak zu verhindern. Der Vater Jesu Christi hält weder die Hohenpriester und ihren Justizmord, noch den halbherzigen Taktierer Pilatus, noch die Soldaten auf Golgotha auf. In Nazareth geht Christus mitten durch die Menge, die Ihn töten will, einfach hinweg (Lk 4). Aber der Christus vor Hohem Rat und Pilatus, der bleibt. Das Opfer des Isaak ist ein von Gott angestiftetes Opfer und wird nicht vollzogen. Das Opfer Christi ist die freiwillige Tat Gottes selber und wird vollzogen.

Warum durchleiden Gott Vater und Gott Sohn, was Gott dem Vater Abraham und Sohn Isaak nicht zugemutet hat? Warum wählt GottVater ein Opfer und landet dabei bei Seinem Sohn, Seinem einzigen, den Er liebhat.

Isaak soll geopfert werden und wird doch nicht geopfert. Das geschieht dadurch, daß Gott sich zwei Mal nicht wie Gott verhält. Daß eine Versuchung durch Gott Seinem Handeln völlig zuwiderläuft, haben wir schon abgehandelt. Und auf dem Berg selber, da findet diese Unaufrichtigkeit ihre Fortsetzung. Gott begründet den Verzicht auf das Opfer mit der Angabe: Nun weiß ich. Genau wie bei der Versuchung ist auch dieser Satz gegenstandslos. Gott wußte schon vor dem Gang des Abraham mit Isaak zum Berg Morija, daß Abraham treu gegenüber Gottes Weisung sein wird. Isaak entkommt dem Opfer, weil Gott die erste Unaufrichtigkeit mit einer weiteren Unaufrichtigkeit ausbügelt. Dies ist Barmherzigkeit auf Kosten der Souveranität, der Gerechtigkeit und der Zuverlässigkeit Gottes.

Auf Golgotha geschieht Gottes Gerechtigkeit und Gottes Barmherzigkeit zugleich und in Vollendung. Gottes Gerechtigkeit sieht Sein Volk und alle Menschen, und erkennt, sie sind alle Gottes Gebot untreu geworden, sie haben alle gesündigt, sie haben alle nichts verdient außer den Zorn Gottes, sie sind alle unter die Macht der Sünde und damit des Todes geraten. Gottes Barmherzigkeit geschieht nicht dadurch, daß Er unser Tun und unseren Zustand gut heißt, und das notwendige Opfer aufhält. Gottes Barmherzigkeit geschieht darin, daß Er selber Seinen Zorn für uns trägt. Darum hält Er das Schlachtmesser Abrahams gegen Isaak an, aber die Nägel und Hämmer auf Golgotha gegen Seinen Sohn hält Er nicht an. Gottes Gerechtigkeit und Gottes Barmherzigkeit kommen auf Golgotha gemeinsam zur Vollendung.

Morija wird genannt der Berg, auf dem Gott sich sehen läßt. Diese Bezeichnung ist mindestens überholt. Nicht Morija, sondern es ist Golgotha der Berg, auf dem der Herr sich sehen läßt.

Abraham leidet unter Gottes Aufforderung. Denn er liebt seinen Sohn Isaak gleich mehrfach. Wir sollten die Parallelen nicht übertreiben. Die Gemeinsamkeit der Personen des dreieinigen Gottes läßt sich durch das Miteinander der Mitglieder einer Familie nicht beschreiben. Aber über Abraham und Isaak bekommen wir den Hinweis, daß auch der Vater Jesu leidet.

Zur Klarstellung: Damit ist nicht gesagt, der Vater leidet dieselbe Passion wie der Sohn. Der Vater wird nicht gekreuzigt, der Sohn stirbt am Kreuz. Der Vater leidet anders als der Sohn, aber Er leidet.

Das macht uns erneut deutlich, daß wir das Opfer Jesu immer unterschätzen. Der Satz, Christus hat stellvertretend für uns gelitten, geht uns viel zu leicht über die Lippen. Die Not des Vaters ist ein weiteres Beispiel dafür. Das ist nicht verwunderlich. Gottes Barmherzigkeit können wir nicht fassen.

Aber es bleiben uns noch zehn Tage, wenigstens aufmerksam zu werden.

Amen.

Und der Friede Gottes, der uns durch das Blut des Sohnes wieder gegeben wird, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.