12. Sonntag nach Trinitatis

Von | September 6, 2022
Predigt

Gnade sei mit euch und Friede,
von Gott, dem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus. Amen.

1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester
2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.
3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;
4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.
7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus;
9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr.
11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet
12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde.
13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat;
14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen.
15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, daß er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel.
16 Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muß um meines Namens willen.
17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, daß du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest.
18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen
19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus.
20 Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, daß dieser Gottes Sohn sei.

Apostelgeschichte 9, 1-22

O Gott, laß uns nicht vergeblich hören, was Du sagst. Amen.

Liebe Gemeinde!
Ich habe Probleme mit Bekehrungsgeschichten. Es war für mich immer unangenehm, oder eine Verlegenheit, wenn „Bekehrung“ das Thema war. Ich konnte nicht sagen, wann ich „mich bekehrt“ hatte. Ganz zu schweigen von der Frage, wann ich „mein Leben Jesus übergeben“ hätte!
Im Laufe meines Dienstes als Pastor habe ich miterleben dürfen, wie Menschen auf unterschiedliche Weise als Erwachsene zum Glauben gefunden haben und dann die Taufe empfingen. Bei keinem war es so, daß schon vorher feststand, wie es kommen sollte. Der Übergang vom Unglauben zum Glauben war nicht die Erfüllung einer menschlichen Erwartung oder Vorstellung, auch nicht die Erfüllung einer eigenen Erwartung oder Vorstellung.
Man hört dann bei Gesprächen über das Thema, wie jemand ganz dramatische Dinge erlebt hat, bis er überwältigt ist, und nicht mehr anders kann, als zu glauben. Oder man hört, wie jemand furchtbar mit sich ringt, und dann zu einem Durchbruch kommt, und dann ist alles klar.
Da kann es nicht ausbleiben, daß Du Dich fragst: Und wie ist es mit mir? Habe ich so etwas auch erlebt? Kann ich auch so mit mir ringen? Bin ich auch so vom Evangelium überwältigt?
Oft wird die Antwort dann „Nein!“ lauten. Und danach fühlt man sich vom Glauben weiter entfernt denn je. Das Erlebnis wird zum Maßstab. Wir Menschen tun das ständig. Was erlebt ein anderer, was erlebe ich? Und man vergleicht. Und je nachdem ist man dann draußen oder drinnen.
Ich liebe aber diese Bekehrungsgeschichte der Paulus.
Sie sagt mir sehr viel über Gott, über Christus, über das Evangelium und über den Glauben.
Diese Bekehrung des Paulus ist so wunderbar göttlich, denn sie gibt uns etwas, ohne daß wir vergleichen müssen, oder irgendwie wünschen: „Wenn das doch mir geschehe!“, oder beklagen: „So bin ich einfach nicht!“ – Mit anderen Worten: Dieser Bericht, diese Erfahrung des Paulus tut dem Glauben nur gut.
Und wie? Ja, so:
Überlegen wir einfach mal „Vorher“ und „Nachher.“
Der Predigttext beginnt damit, daß Paulus „schnaubte mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn.“ Also mit jeder Faser seines Leibes, mit jedem Gedanken seiner Sinne, mit jeder Regung seiner Seele voller Zorn gegen die Jünger des Herrn.
Und wie endet der Predigttext: „ … alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, daß dieser Gottes Sohn sei.“
Das ist so ein großer Kontrast! Diese Änderung im Leben des Paulus stellt alles in den Schatten, sie hängt alles ab, sie läßt alle unsere Vorstellung von Änderung im menschlichen Leben weit unter sich.
Paulus vorher – also, sein hebräischer Name war Saul. Paulus ist dann griechisch, aber er wird manchmal auch noch nach seiner Bekehrung Saul genannt (zB in Apostelgeschichte 13, 1-9) – Paulus vorher hat also:

  1. 100%ig nicht versucht, ein Christ zu sein. Er hat alles getan, NICHT Christ zu sein! Ihm wäre es am liebsten gewesen, wenn man den Namen „Jesus“ nicht mehr ausgesprochen hätte. Seine Bekehrung war nicht das Ergebnis eines Wunsches, oder einer Sehnsucht. Im Gegenteil! Seine Sehnsucht war es, zu beweisen, daß der Glaube an Jesus ein schädlicher Irrtum sei, daß Jesus nicht Segen, sondern Fluch bringt.
    Diese Sehnsucht hatte er schon bewiesen: Direkt vor unserem Predigttext hören wir, daß Paulus gerne Zeuge war von dem ersten Märtyrertod. Stephanus wird gesteinigt, weil der Jesus als Gottes Erfüllung Seiner Zusagen für Israel bezeugt. Jesus ist die Identität Israels. Dafür muß er sterben. Die Zeugen der Steinigung legen ihre Kleider ab zu den Füßen eines jungen Mannes, der hieß Saulus. (Apostelgeschichte 8, 58). Paulus hatte so etwas wie eine Aufsicht über die Zeugen, eine Verantwortung dafür, daß die Steinigung rechtmäßig geschah. Kurz danach berichtet uns St. Lukas: „Saulus aber hatte Gefallen an Stephanus Tode.“ (Apg. 8, 1). Er hieß es gut, daß im Namen Gottes Bekenner zu Jesus verurteilt und hingerichtet wurden.
    Das war ein überdeutlicher Standpunkt: „Jesus ist weniger als nichts. Wer sagt, daß Jesus mehr ist als nichts, der beweist selbst, daß er alle Rechte vor Gott und in Israel verloren hat.“
    Paulus hat es nicht versucht, ein Christ zu sein. Das ist eine ganz matte Aussage. Paulus hat alles eingesetzt, kein Christ zu sein, ja, daß es keine Christen mehr gibt.
    Paulus vorher, 2.:
    Das war keine Frage eine Schwäche – daß er irgendwie neidisch war, oder nichts Neues mochte, Angst vor Neuerungen hatte. Oder, daß er als Charakter aggressiv war, oder sonst gewalttätig. Also keine Schwäche. Auch nicht Dummheit, oder Mangel an Vorbildern oder an Wissen.
    Paulus macht völlig klar, daß niemand in Israel ihm etwas vorwerfen konnte, ganz im Gegenteil. Er gibt das auch zu. Herkunft, Erziehung und Ausbildung, und auch Lebensführung waren tadellos. Das Gesetz des Mose war sein Leben, seine Identität. Paulus glaubte also die besten Gründe zu haben, gegen die Christen vorzugehen. Nicht nur das! Er tat es nicht eigenmächtig, sondern ließ sich von höchster Stelle legitimieren: Er „…ging zum Hohenpriester
    und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.“ So eindeutig im Recht war niemand, wie Paulus, als er von Jerusalem nach Damaskus ging.
    Paulus war ein Nicht-Christ, ja, Anti-Christ aus den unumstößlichsten Gründen.
    Und nachher? –
    Genau dieser Mann hört nicht nur auf, gegen die Christen zu sein, sondern er läßt sich auch taufen, er läßt sich nicht nur taufen, sondern er „predigte er in den Synagogen von Jesus, daß dieser Gottes Sohn sei.“
    Er hatte die Urgemeinde in Jerusalem in Angst und Schrecken versetzt, so daß Christen das Land Israel verließen in alle Richtungen. – Und nun bekennt und beweist Paulus, daß Jesus der Sohn Gottes sei.
    Das ist Paulus Nachher – und das bleibt er auch. Missionar von Arabien bis Rom. Gemeindegründer wie kein Zweiter. Lehrer des Evangeliums ohne gleichen.
    Er, der sagte, daß Jesus nicht zu Israel gehörte, sagt nun: Nur durch Jesus gehört man überhaupt zu Israel.

Nichts an Paulus vorher sprach dafür, daß er Christ und Apostel werden würde. Nichts, was er war, konnte oder hatte, qualifizierte ihn dafür. Im Gegenteil, alles war bewußt dagegen.
Aber im Grunde war es ja nur eins: Er war gegen Christus. Aus den besten Gründen, die ein Mensch haben konnte.

Aus diesem Nichts hat Gott den Christen Paulus geschaffen.

Es ist eine Begegnung. Der Auferstandene Jesus stellt sich Paulus in den Weg. Es ist Licht. Licht, das den Mittag, den hellen Mittag zur Nacht werden läßt.
Paulus war der festen Überzeugung, sehen zu können, das Licht des Tages und der Wahrheit zu sehen. Paulus sah sich schon in Damaskus. Der Weg dorthin war klar.
Und dann dieses Licht. Und alles war Nacht.
„Herr, wer bist du?“ – Fragt der Professor, der tadellose Israelit.
„Ich bin Jesus, den du verfolgst!“
Das war‘s!
Also ist Jesus nicht im Grab. Und wenn er nicht im Grab war, sondern auferstanden, dann hat Gott ihm Recht gegeben. Und wenn Gott ihm Recht gegeben hat, dann waren die Verurteiler Jesu vor Gott im Unrecht. Und wenn die Verurteiler im Unrecht waren, dann ist Jesus unschuldig gestorben. Wenn Jesus unschuldig gestorben war, dann war er kein Betrüger. Wenn Jesus kein Betrüger war, dann hat Jesus das Alte Testament bewahrheitet, erfüllt. Dann ist Jesus nicht verflucht, sondern gesegnet. Also bringt Jesus nicht Fluch, sondern Segen. . . Ja: also ist Jesus Gottes Sohn.
Also: Wer gegen ihn ist, der ist gegen Gott.
Das alles kommt über Paulus mit dem Licht und mit der Stimme.
In der einen Begegnung wird der Tag des Paulus zur Nacht, weil Jesus, das Licht der Welt, über ihn aufleuchtet.
Paulus macht daraus keinen Hehl.
An Timotheus schreibt er: „Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, daß Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben.“
Ich bin der schlimmste Sünder. Meine ganze Herkunft, meine Erziehung, meine Bildung, meine Frömmigkeit, meine Religion haben zur dazu geführt, daß ich ein Anti-Christ war.
Es ist nur Gnade. Das heißt, die Entscheidung liegt bei Gott allein. Gottes Liebe ist der Grund, warum Paulus bekehrt wurde. Paulus fand in sich keinen Grund. Gott allein, ist der Grund.
Das wurde auf einmal klar, als Paulus hörte: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“
Der arme HHananias, muß das alles bestätigen.
Die Christen in Damaskus zitterten vor Paulus. Er war ihr Feind – mit Ansage! Und der soll ihr Bruder werden? Ja, sie sollen auf ihn hören, und sich von ihm lehren lassen? – Hananias spricht das im Gebet aus. „ Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen.“
Kein Mensch konnte sich das ausdenken! Paulus nicht, Hananias nicht, der Hohepriester nicht, auch du und ich nicht.
Hier ist kein menschlicher Plan. Hier ist Gottes Handeln.
Alle stehen staunend davor. Vor allem Paulus.

Warum liebe ich diese Bekehrungsgeschichte?
1. Sie zeigt mir, wie frei Gott ist. Wenn Gott so einen Antichrist, wie Saul / Paulus nehmen kann, und aus ihm den größten Missionar machen kann, dann hat jeder eine Chance. Du wirst es nie schaffen, so gegen Jesus zu sein, wie Paulus war. Gottes Gnade ist stärker als Paulus; dann auch sie stärker als dein Talent, nicht zu glauben.
2. Sie zeigt mir, daß ein Mensch nicht bei Gott ankommt, mit dem was er tut. Paulus hatte alles richtig gemacht. Aber weil er damit glaubte bei Gott anzukommen, und vor Gott eindeutig im Recht zu sein – deshalb war er der „größte Sünder.“ Das Tun tut es nicht. Der Grund ist nicht in dir, sondern in Gott allein.
3. Sie zeigt mir: Der Glaube entsteht in der Begegnung. Nicht durch meinen Willen. Der auferstandene Herr ist ja auf Paulus zugekommen, nicht umgekehrt. Mein Wille kann niemals sagen: „Ich bin Jesus.“ – Das kann nur Jesus, der gekreuzigt wurde für unseren Unglauben und auferstanden ist für unseren Glauben. Jeder Gottesdienst wird davon getragen, oder wie man sagt: Konstituiert, daß diese Stimme vom Himmel zu uns kommt: Ich bin Jesus. Die Liturgie, die Lesungen, das Vaterunser, das Sakrament des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus –das alles sagt aus: Ich bin Jesus. Ich bin nicht im Grab. Ich bin so frei, hier zu sein. Das ist die Begegnung, die Paulus auch hatte.
4. Die Bekehrungsgeschichte des Paulus zeigt mir: Jesus bringt vor allem Gnade. Das heißt, Vergebung. Das heißt: Du wirst erschrecken über dich selbst, aber ich bin größer und stärker als dein größter Schrecken. Jesus sagt: Ich komme nach deinem Erschrecken über dich selbst. Denn das ist ein Sünder: Jemand er über sich selbst entsetzt ist. Jesus kommt danach. Das ist Gnade. Es muß dich geben, weil Gott gnädig ist.
Darum liebe ich diese Bekehrungsgeschichte, weil mir Gott zeigt. Nicht Menschen. Mit Menschen vergleiche ich mich automatisch. Da ist keine Gnade. Mit Gott kannst du dich nicht vergleichen – da kann die Gnade kommen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus zum Ewigen Leben. Amen.


Beitragsbild:

Gestaltung: Lioba Fenske