4. Sonntag nach Trinitatis

Von | September 19, 2020
Tempelreinigung

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
und die Liebe Gottes,
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.

17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
18 Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22).
21 Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Römer 12, 17-21

Gebet: Lieber himmlischer Vater, ohne die Hilfe Deines Heiliges Geistes muß uns Dein Wort verborgen sein, darum bitten wir Dich: Sende Deinen Heiligen Geist, der uns Dein Wort öffnet, wie Du es meinst, zu unserem ewigen Heil. Amen.

Liebe Gemeinde!
Jesus war manchmal zornig. Wir kennen alle die Geschichte, wie Jesus mit einer Geißel aus Stricken die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel hinaustrieb, mit ihrer Ware, und die Tische der Geldwechsler umstieß und ihr Geld verschüttete. Als seine Jünger einen mondsüchtigen Jungen nicht befreien konnten, reagiert Jesus sehr ungeduldig. (Matthäus 17, 17). Als er zum Grab seines Freundes Lazarus kommt, heißt es zweimal von Jesus: „ Er ergrimmte in seinem Geist“ (Johannes 11, 33+38). Über die undankbaren Menschen in den Städten Chorazin, Betsaida und Kapernaum, die von seinen Wundern unbeeindruckt, und undankbar für seine gewaltige Verkündigung waren, ruft er aus: „Wehe euch! Es wird den heidnischen Städten im Gericht Gottes besser ergehen als Euch!“ (Matthäus 11, 21-24). Über Menschen, die die Kinder Gottes mit Absicht am Glauben irre machen sagt er mit erschreckender Klarheit: „Für den wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ (Matthäus 18, 6).
Jesus kennt den Zorn über das Böse. Gottes Zorn über die Sünde ist nicht eine primitive und überwundene, altmodische Vorstellung, die vielleicht nur ins Alte Testament gehört, aber für moderne Christen unanständig und überholt wäre.
Gott ist heilig und gerecht. Er hat das Leben mit seinen Ordnungen geschaffen – und er liebt alles Lebendige mit väterlicher, göttlicher Liebe. Und alles, was Gottes Schöpfung und seine Ordnung antastet, zerstört, verletzt, in Frage stellt, verspottet, verdreht, fällt unter Seinen heiligen, gerechten und vernichtenden Zorn. Vor allem, wenn Menschen sich an Gottes Gnade vergreifen, wenn Menschen Gottes Geduld als Bestätigung ihres eigenen falschen Weges absichtlich mißverstehen, dann haben sie es nicht mit einem sanften, nachsichtigen, freundlichen Vater im Himmel zu tun. Gott ist dann als der Heilige und Gerechte ein Feind, der zürnt. Ein Feind, gegen den kein Mensch gewinnen kann. Auch im Neuen Testament nicht. Jesus nimmt das nicht zurück.
Es wäre noch viel darüber zu sagen. Was sagt der Predigttext?
Der Apostel Paulus schreibt uns Christen: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«“ –
Wir Christen sollen auf Rache und Vergeltung verzichten – und dem Zorn Gottes Raum geben. Schon das weltliche Recht hat den Grundsatz, daß man das Recht nicht in die eigene Hand nimmt. Ich kann nicht persönlich hingehen, und den Dieb, der mein Auto geklaut hat, fangen und einschließen, bis er mein Auto wieder hergibt. Dazu sind Polizei und Gericht da.
Ähnlich ist es mit der Rache. Die Rache ist ein sehr starkes Gefühl, und wenn man ihm nachgibt, kann es zerstören. Die Rache vermehrt das Unrecht und das Böse in der Welt. Denn die Rache lebt davon, daß ein Mensch sich an Gottes Stelle setzt. Wie so oft – der Mensch will sein wie Gott, und das fühlt sich wie eine große Steigerung es Ichs an. Ich bin beleidigt oder geschädigt. Ein schwerer Schmerz. Der Drang „heimzuzahlen“ macht sich bemerkbar. Wie du mir, so ich dir! Sehr oft wird mit Zinsen heimgezahlt. Das Ich verspricht sich Erleichterung, wenn sein Feind leidet. Doch es kommt ein Rausch hinzu. Ein Gefühl, das keine Grenzen kennt. Darin offenbart sich das Begehren, zu sein, wie Gott. Einen Gott haben und Rachegelüste schließen sich gegenseitig aus.
Paulus begründet das mit Worten aus dem Gesetz der Mose: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der HERR.“ Wer zur Rache greift, der greift nach dem, was Gott sich selbst vorbehalten hat. – Gott allein hat die Erkenntnis und die Macht, Unrecht richtig zu behandeln. Wer zur Rache greift, verleugnet Gott.
Unsere Aufgabe ist klar: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Das ist der Weg, auf dem Gott bei uns bleibt, uns segnet, schützt, tröstet, beisteht. Da lernen wir Gott als einen Helfer kennen. Kommt Rache ins Spiel, sind wir allein, dann lernen wir Gottes Zorn kennen.
Es ist einfach so: Die zehn Gebote gelten unter allen Umständen, auch wenn wir Unrecht erleiden. Paulus schreibt in einer Zeit, als Christen Feinde hatten. Unser Herz soll von Gutem und von Liebe erfüllt sein. Der Heilige Geist zeigt uns Liebe. Rache kommt nicht von Ihm.
„Gebt Raum dem Zorn Gottes.“ – Rache stellt sich Gott in den Weg. Wenn wir bei unserer Aufgabe bleiben, Frieden zu halten, Gutes zu tun, dann lassen wir dem gerechten und heiligen Gott den Vortritt. Er soll und wird meinen Feinden Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Nun. Was ist das? Das ist ein Wunder. Das gibt es nur, wo Gott einen neuen Menschen geschaffen hat. Einen neuen Menschen, der alles Vertrauen in Gott setzt. Einen neuen Menschen, der ohne Vorbehalt erkennt, daß sein Leben ein Geschenk seines Schöpfers ist. Diese Wahrheit ist größer als alles, was Feinde einem Christen antun können.
Winken wir da nicht längst ab? Was wird aus mir? Muß ich mir alles gefallen lassen? Muß man denn seinen Feinden recht geben? Hat man kein eigenes Recht?
Schwere Fragen sind das. Ein Teil der Antwort ist eine Rückfrage: Wie wirklich ist Gott denn für dich? Im Römerbrief hat Paulus vorher im 8. Kapitel festgestellt: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch Seinen eigenen Sohn nicht verschont hat – hat er uns mit ihm nicht alles gegeben? Wer will uns angreifen? Gott ist hier, auf unserer Seite. Wer will verdammen? Christus, der Auferstandene, ist hier auf unserer Seite und stellt sich vor uns.“ Ohne Glauben ist das alles verborgen. Für den Glauben ist es eine Realität. Und diesen Glauben schenkt Gott. Dazu ist Jesus gekommen, dazu gibt es Kirche, dazu sind wir hier. Es ist eine neue Kreatur, die wir aus eigener Vernunft und Kraft nicht schaffen. Rache ist die Realität, die wir vorfinden, auch in uns selbst. Wenn Gott etwas Neues bringt, dann muß es etwas anderes als Rache sein. Rache entsteht, wo man sich vom Bösen überwinden läßt. Mit Gottes Hilfe sollen wir das Böse mit Gutem überwinden.
Paulus zitiert dazu wieder das Alte Testament, die Sprüche des Königs Salomo: „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« – Hier wird der teuflische Kreislauf von Vergeltung und Rache durchbrochen.
Was heißt: „Feurige Kohlen aufs Haupt sammeln“? – Die Vorstellung ist ja schon schmerzhaft. Glühende Kohlen auf den Kopf – und dann auch noch gesammelt, angehäuft. Da wird man alles tun, diese Kohlen loszuwerden! Auf jeden Fall unangenehm! Wenn ein Christ seinen hungernden Feind speist, oder dem dürstenden Feind tränkt, dann werden das dem Feind brennende Kohlen auf dem Kopf. Der Feind rechnet mit Rache. Die Rache bleibt aus, statt dessen das Gegenteil von Rache. Das brennt auf seiner Seele. Kann es sein, daß der Feind seine Feindschaft an sich selbst spürt? Daß Gott ihm mit diesen „feurigen Kohlen“ erfahren läßt, was er da eigentlich anrichtet? Vielleicht enden diese „feurigen Kohlen“ den Rausch, das Begehren, Gott gleich zu sein? Besinnt er sich, kehrt er um? Das ist in Gottes Hand.
Diese Worte sind Worte des Glaubens. Der Apostel, der sie uns sagt, ist derselbe Mann, der uns das Evangelium Christi sagt. Paulus sagt uns das nicht, um menschliche Macht über uns zu bekommen. Als würde er sagen: „Ein Christ muß sich alles gefallen lassen – vor allem von mir!“ Paulus führt uns zu Gott, damit wir von Gott Kraft und Hilfe empfangen. Auch mit diesen strengen, geheimnisvollen Worten.
Von keiner anderen Person wollen wir diese Worte hören und annehmen. Paulus verkündigt kein politisches Programm! Keine menschliche Instanz kann von uns verlangen: Laß dir alles gefallen, verzichte auf dein Recht – denn keine menschliche Instanz kann sich dann vor uns stellen wie unser Herr Jesus Christus. Als Petrus zu Jesus sagte: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt – was wird uns dafür? Jesus antwortete ihnen und sprach: Wer auf Familie und Besitz verzichtet hat, der wird es hundertfach wieder empfangen und das ewige Leben erben.“ (Matthäus 19, 27.29). Das kann uns nur Gott versprechen. Darum kann Gott von uns erwarten, das Böse mit Gutem zu überwinden.
Menschen untereinander können das nicht. Wir sollen für das Recht unseres Mitmenschen eintreten – jeder in seinem Bereich. Eltern sollen sich für ihre Kinder stark machen – nicht schwach. Lehrer sollen sich für ihre Schüler stark machen, nicht schwach. Beamte sollen sich für die Bürger des Landes stark machen, und nicht schwach. „Sich stark machen“ heißt hier jedoch nicht in erster Linie lauthals Forderungen an andere stellen, oder Neid wecken und ausleben, sondern stark sein mit den Gaben, die Gott mir gegeben hat, und damit für den Nächsten da sein. Nicht selbstgerecht auf andere schauen, was sie denn alles tun sollten und nicht getan haben!
Direkt nach unserem Predigttext spricht Paulus davon. Gott hat Strukturen geschaffen, mit denen Menschen in unserer gefallenen, unvollkommenen Welt das Schlimmste verhindern sollen. Mörder, Ehebrecher, Diebe, Betrüger sollen nicht freie Bahn haben. Und wenn solche bösen Menschen nicht freie Bahn haben, dann ist es deshalb, weil Gott Menschen gibt, die sich dafür einsetzen. Es ist ein Geschenk Gottes, wenn wir nicht in einer Wildnis leben, in der wir immer wieder bei Null anfangen müssen, sondern profitieren von dem, was andere vor uns aufgebaut, erkannt und organisiert haben. Gott gibt Menschen Macht und Autorität, um damit Segen zu ermöglichen und zu schützen. Wir Menschen können den Segen nicht machen – wir empfangen ihn! – aber wir sollen alle dazu beitragen, daß Gottes Segen nicht bei uns zerstört und unmöglich gemacht wird. Mörder, Ehebrecher, Diebe und Betrüger tun das aber. Wer Macht über Menschen hat, der hat die Macht dazu, das zu verhindern.
Wenn wir den Worten des Apostels folgen, dann sind wir nicht allein. Gott ist für uns – und wir können mit Gottes Hilfe für unseren Nächsten da sein. Hier können und sollen wir beitragen, so gut wir können. Ohne Rachsucht, ohne Egoismus, ohne Angst, auch ohne Selbstüberschätzung. Das ist das Neue. Rache – Vergeltung – Heimzahlen: Das ist das Alte.
Wir sollten nicht darauf warten, daß eine Zeit kommt, in der das Neue selbstverständlich ist. Diese Zeit wird nicht kommen wie ein politische Bewegung oder Entwicklung. Diese Zeit ist da, wo Jesus ist, und wo wir ihm nachfolgen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.