1. Advent

Von | Dezember 10, 2023
1 Advent

Pfarrer im Ehrenamt Sebastian Stork

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Ein Psalm Davids. Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. 2 Denn er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet. 3 Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? 4 Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug: 5 der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils. 6 Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs. Sela. 7 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,[1 Erhebt, ihr Tore, eure Häupter, und erhebt euch, ihr uralten Pforten.] dass der König der Ehre einziehe! 8 Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Streit. 9 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! 10 Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR Zebaoth; er ist der König der Ehre. Sela.

Ps 24,1

Laßt uns beten: Herr, segne unser Reden und Hören, damit wir bereit werden für das Kommen Deines Sohnes. Amen.

Schwestern und Brüder,
der Psalm beginnt weltumspannend. Die Erde und der Erdkreis sind des Herrn. Bevor jetzt jemand sagt, die Erde ist doch nur ein kleiner Planet im Universum, ist der Herr unser Gott etwa begrenzt? Bevor jemand so fragt, erinnere ich daran, daß die Israeliten die Welt nicht in Universum und Planeten einteilten. Die Bezeichnungen Erde und Erdkreis umfassen die ganze Welt. Der Psalm sagt auch noch mehr. Er, der Herr, hat den Erdkreis über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet. Das erinnert an Gottes Schöpfung. In der Schöpfung hat Gott Wasser und trockenes Land voneinander getrennt. Dadurch hat Gott dem Menschen Raum zum Leben gegeben. Der Schöpfer hat nicht irgendeine Welt produziert. Gott wird zum Schöpfer, weil Er will, daß der Mensch leben kann und lebe. Der Herr über Erde und Erdkreis ist zugleich unser fürsorgender Vater.

Gott ist Herr über die ganze Welt. Das erfahren wir aus den biblischen Schriften, das sagt unser Bekenntnis. Dagegen sind wir nicht einmal Herren über unser eigenes Leben. Wie sollen wir uns dann dem Herrn über die ganze Welt nähern? Der Abstand ist einfach zu groß. Der Psalmist hat die gleiche Frage. Denn nach dem weltumfassenden Anfang beginnt der Psalmist eine zweite Annäherung an Gott und Seine Gegenwart. Diese zweite Annäherung nimmt einen ganz anderen Weg. Die erste Annäherung begann mit einer Feststellung und war weltumspannend. Die zweite Annäherung beginnt mit einer Frage und ihr Ausgang ist der einzelne Mensch. 3 Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?

Bevor wir die Antwort auf diese Frage hören und ihrer Bedeutung nachgehen, eine Einsicht durch die Frage. Der Psalmist fragt nicht unbestimmt, wer darf in Gottes Nähe sein. Sondern die Frage des Psalmisten nennt einen konkreten Ort: 3 Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Damit ist ganz konkret Jerusalem und der Tempelberg mit dem Tempel darauf bezeichnet. Gerade unter uns Protestanten ist die Ansicht weit verbreitet, die Aufgabe für einen Christenmenschen ist Nächstenliebe, alles andere ist dagegen weniger wichtig. Das ist nicht die Ansicht des Psalmisten. Gott ist an jedem Ort Seiner Schöpfung gegenwärtig. Aber dennoch hat Er einen Ort bestimmt, an dem die Gemeinde zusammen kommen soll, und an dem die Gemeinde Gottes Nähe in besonderer Weise erfährt.

Die zweite Annährung des Psalmisten an Gott beginnt nicht mit einer weltumspannenden Aussage, sondern mit einer Frage. Trotz dieses ganz anderen Ausgangs gelangt auch diese Frage zu einer eindeutigen und bestimmten Antwort. Nur der darf sich Gott nähern, 4 Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug.
Diese Antwort ist in vielerlei Hinsicht höchst ungewöhnlich. Zur Zeit des antiken Israel hatte jedes Volk seinen eigenen Gott, oder seine eigenen Götter. Diese Götter waren dann Besitz des jeweiligen Volkes. Ihre Aufgabe war, ihrem und nur ihrem Volk Vorteile zu verschaffen. Ein Beispiel, das wir auch aus der Bibel kennen (Jes 46,1, Jer 50,2; 51,4), ist der Gott der Assyrer. Der heißt verdeutscht Marduk oder Moredach. Dieser Gott hat als Aufgabe, den König der Assyrer zu unterstützen. Der König der Assyrer überfällt andere Völker um ihre Habe zu rauben, oder weil er Sklaven braucht. Die Aufgabe des Marduk ist dabei, die Götter der überfallenen Völker zu bekämpfen und zu besiegen. Genauere Auskunft über Marduk und den König der Assyrer sparen wir uns, die sind ziemlich abstoßend. Klar ist, Marduk ist nur für Assyrer da, Nicht-Assyrer bringt dieser Möchtegern-Gott um ihre Habe, ihre Freiheit oder gleich um ihr Leben. Also auf die Frage, wer in seiner Nähe sein darf, würde dieser Marduk antworten: nur Assyrer, nur solche, die teure Opfer dargebracht haben, und auch nur an Tagen, an denen dieser Marduk gute Laune hat. Der Gegensatz zu Gott, Der nicht nach Herkunft oder irgendwelchen Kennzeichen fragt, sondern nach dem Verhalten eines jeden Menschen, ist unübersehbar.
Der Psalmist stellt sich mit dieser Aussage, wer Gott nahe kommen darf, auch selber in Frage. Gott Selber hat dem Abraham eine Zusage gemacht. Abrahams Nachkommen sollen ein großes Volk sein und Gott wird dieses Volk zu Seinem Volk erwählen. Der Psalmist ist ein Nachkomme Abrahams. Darum könnte der Psalmist Gott Gottes eigene Zusage vorhalten. Der Psalmist kann zu Gott sagen: ich bin Abrahams Kind, Du hast mir zugesagt, mein Gott zu sein, Du hast nur mich und die Nachkommen Abrahams aufgefordert, zu Dir zu kommen. Aber das tut der Psalmist nicht. Er teilt die Welt nicht ein in Abrahams Kinder und andere. Die Begegnung mit dem Gott, Der ganz anders ist als alle Möchtegern-Götter, hat den Psalmisten schon wachsen lassen, wachsen über alle Kleinlichkeiten und Mißgunst unter den Menschen hinaus.

Gottes Zuwendung unterscheidet nicht nach Volk, oder Geschlecht oder irgendeinem menschlichen Kriterium. Das heißt nicht, daß Gott einfach jeden in Seine Nähe kommen läßt. 3 Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? 4 Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug. Hat einer von uns unschuldige Hände? Ein Blick in unsere Kleidung. Die Baumwolle kommt vermutlich aus Zentralasien, dann unterstützen wir damit Regime, die eindeutig nicht demokratisch und nicht rechtsstaatlich sind. Anbau und Gewinnung von Baumwolle haben in der Gegend massive ökologische Schäden angerichtet. Das Verschwinden des Aral-Sees hat das Leben von Hunderttausenden oder auch Millionen Menschen zerstört. Die Verarbeitung der Baumwolle zu Tuch erfolgt nicht vor Ort, sondern in einem teilindustrialisierten Staat. Dazu wird die Baumwolle zum ersten Mal um die halbe Welt transportiert, mit massivem Verbrauch an natürlich Ressourcen. Dann wird das Tuch dahin transportiert, wo Leute schlecht und zu schlecht für das Nähen von Kleidung bezahlt werden. Das ist vermutlich irgendwo in Südasien. Anschließend werden die Kleidungsstücke in ein industrialisiertes Land geflogen, wo vermeintlich coole Sprüche darauf gedruckt werden. Nun läßt sich darauf sagen, ein jeder von uns, besonders Familien mit vielen Kindern, können sich anderes gar nicht leisten, wir müssen froh sein, daß es erschwingliche Kleidung gibt. Das ist die Realität der Sünde: niemand entkommt ihr, zum Ausgleich ist sie brutal und ungerecht. Wir haben nicht unschuldige Hände. Selbst unser bescheidener Lebenswandel wird an unseren Mitmenschen und an der Natur schuldig. Auch wenn wir unserem Nächsten schaden, dann geschieht das doch gegen unsere Absicht. Wir wollen niemandem Böses. Sind wir dadurch schon reinen Herzens? Sind wir reinen Herzens? Gottes Erfahrung mit dem menschlichen Herzen kommt zu einem eindeutigen Urteil: das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf (1Mo 8,21). 4 Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug: 5 der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils. Wir gehören nicht dazu, und das gilt für alle anderen Menschen ebenso.

Damit ist der Psalm nicht zu Ende. 9 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! 10 Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR Zebaoth; Gleich zwei Mal fordert der Psalm uns dazu auf Tore und Türen zu öffnen, damit Gott zu uns kommen kann. Warum steht Gott vor verschlossenen Türen, wenn Er zu uns kommen will? Das größte Hindernis, daß Gott zu uns kommt, ist unsere Ansicht über uns selbst. Wir sind keine Sünder, wir brauchen niemanden, der uns aus der Sünde löst. Wir schaffen schon in dieser Welt ein Paradies, wir brauchen Gottes Anleitung und Hilfe nicht. Diese Ansicht haben fast alle Menschen über sich selber. Wie realistisch ist diese Selbsteinschätzung? Wir Menschen errichten ein Paradies? Gucken wir uns die Bastelanleitung zum Paradies auf Erden von den Russen und Ukrainern ab, oder lieber von den Israelis und Palaestinensern? Oder lassen wir uns das irdische Paradies von einem online-Händler liefern, zu Minimalpreisen ohne Rücksicht auf Verschleiß an Natur und Menschen? Alle Behauptungen, wir Menschen wären tüchtig, aus eigener Kraft ein Paradies zu bauen, sind realitätsblind und töricht.

Der König der Ehre kommt nicht aus der Welt, sondern er zieht in die Welt ein. Unsere Herzen werden nicht besser durch unser Vermögen. Schon in der Apostelgeschichte kennzeichnet Petrus die Gläubigen durch Gottes Handeln an ihnen: Gott reinigte ihre Herzen durch den Glauben (Apg 15,9). Im Advent bereiten wir uns auf die Geburt Gottes als Mensch vor. Das ist unsere Vorbereitung: unsere vollständige Abhängigkeit von Gottes Zuwendung zu erkennen und anzuerkennen. Wie der Psalm sagt: 6 [Laßt uns werden zu dem] Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs.

Der Psalm gibt uns Einsicht in Gottes Wirklichkeit. Der Psalm zeigt uns Gott, den alles umfassenden Schöpfer, und er zeigt uns Gott, Der die Fragen des Einzelnen hört und beantwortet. Der Psalm läßt uns Menschen unsere Wirklichkeit erkennen. Daß wir aus eigen Kraft und Vermögen nichts anderes bewirken, als die Schöpfung zu zerstören und Gottes Antwort auf unsere Fragen zu überhören. Aber diese Einsicht kommt nicht als Sammlung von Fakten und eine Liste an Verdammungen. Der Psalm ist ein Gedicht. Der Psalm hat Reim und Rhythmus. Der Psalm ist ein Lied, er will gesungen werden, an dem Ort, an Dem Gott Seine besondere Gegenwart zugesagt hat. Vers für Vers, Harmonie auf Melodie führt uns der Psalm zu Gottes Erbarmen. Das ausnahmslose und unnachgiebige Nein Gottes zu allen eigenen Werken des Menschen ist doch nur Tor und Tür zu dem Frieden und der Freude, die Gott Seinen Kindern bereitet hat.
Amen.

Und der Friede Gottes, Der in unsere Welt und in unsere Herzen kommt, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.