Der Konflikt im Osten Europas ist allem Anschein nach die schwerste kriegerische Auseinandersetzung auf dem europäischen Kontinent seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Ich bitte die Gemeinden der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), ihre Glieder und Pfarrer, nicht nachzulassen, um Frieden zu beten.
In unserem neuen Evangelisch-Lutherischen Kirchengesangbuch (ELKG²) finden sich Gebete auf Seite 1594 (Gebet am Mittwoch) und den Seiten 1613 und 1614.
Lieder, die zum Gebet um Frieden geeignet sind, sind unter anderem folgende:
„Verleih uns Frieden gnädiglich“ (ELKG² 669 und 670), „Du Friedefürst, Herr Jesu Christ“ (671), „Unfriede herrscht auf der Erde“ (672), „Gib Frieden, Herr, gib Frieden“ (673), „Hevenu schalom alejchem“ (674), „Dona nobis pacem“ (675 und 677) und „Frieden, Frieden“ (676). Unter der Nummer 157 findet sich ein Kyrie-Ruf aus der orthodoxen Liturgie der Ukraine. Möge unser Gesangbuch in dieser Notzeit seine geistliche Kraft entfalten.
Ich füge zudem einen gottesdienstlichen Gebetsvorschlag an, der sich natürlich auch für das häusliche Gebet eignet.
Herr, erbarme dich!
Am 24. Februar 2022
Bischof Hans-Jörg Voigt D.D.
Stellungnahme zur kirchlichen Lage in der Ukraine und Russland
Mit Traurigkeit und Sorge nehme ich in diesen Tagen das Leid und das Blutvergießen wahr, dass sich in der Ukraine ereignet. Unsere Ohnmacht treibt uns in das Gebet zu Gott, der durch seinen Sohn Jesus Christus Frieden zwischen uns in Schuld und Tod verfallenen Menschen und seiner göttlichen Heiligkeit gestiftet hat.
Weil in der öffentlichen Berichterstattung die kirchliche Lage der Orthodoxen Kirche in Russland und der Ukraine kaum Berücksichtigung findet, möchte ich hier auf einige Hintergründe aufmerksam machen. Das Verhältnis dieser Kirchen scheint mit ursächlich für den Ausbruch des Konfliktes zu sein.
Am 14. September 2018 kam es zum Bruch zwischen der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarchat Moskau, und dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel. Das Patriarchat von Konstantinopel hatte zuvor zwei Exarchen in Kiew ernannt und damit die Unabhängigkeit (Autokephalie) der Orthodoxen Kirche in der Ukraine anerkannt.
Am Donnerstag, 24. Februar 2022, veröffentlichte der Patriarch Kyrill I. eine Ansprache auf der Website des Moskauer Patriarchats, in der er sagt: „Als Patriarch von ganz Russland und Primas der Kirche, dessen Herde sich in Russland, der Ukraine und anderen Ländern befindet, empfinde ich tiefes Mitgefühl mit allen, die von dem Unglück betroffen sind.“ Der Konflikt ist hier zwischen den Zeilen verborgen: Indem Kyrill sich als Patriarch von Russland und der Ukraine bezeichnet, verweigert er die Anerkennung der Autokephalie der Ukraine ein weiteres Mal. Kyrill I. gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die „von Gott geschenkte Gemeinschaft“ dazu beitragen werde, die „Spaltungen und Widersprüche zu überwinden, die zu dem gegenwärtigen Konflikt geführt“ hätten. Im Grunde genommen rechtfertigt er damit den Krieg indirekt.
Die Lehre Einklang (Symphonia) zwischen Staat und Kirche ist die Achillesferse der Orthodoxen Kirche. Am „Tag der Verteidiger des Vaterlandes“ gratulierte Kyrill I. President Putin, seinem „lieben Wladimir Wladimirowitsch“. Putin hatte Kyrill erst am 20. November 2021 zum 75. Geburtstag den Orden des heiligen Apostels Andreas überreicht, die höchste Auszeichnung des russischen Staates. In dieser Woche sagte Kyrill, dass er dafür beten werde, Gott möge „das russische, das ukrainische und andere Völker beschützen, die durch unsere Kirche geistig vereint“ sind.
Auch die Lage der kleineren lutherischen Kirche in der Ukraine ist von Zerrissenheit und Konflikten geprägt und bedarf unserer Fürbitte.
Das Bekenntnis der lutherischen Kirche kennt die Unterscheidung der beiden Regierweisen (Reiche) auch wenn es bis in unsere Tage immer wieder zu gegenseitigen Übergriffen kommt. August Vilmar, einer der theologischen Väter der Hessischen Renitenz, einer Vorgängerkirche der SELK, soll seinem Kurfürsten zugerufen haben: „Sire, geben Sie die Kirche frei!“1 Theodor Harms, einer der Väter der Hannoverschen ev.-luth. Freikirche, sagte sehr grundlegend: „Wie soll sich aber die Kirche zum Staate stellen? Ich weiß keine andere Antwort als die: … Freie Kirche und Freier Staat. Ohne Freiheit gedeiht weder Kirche noch Staat.“2 Diese Zitate scheinen heute noch so aktuell wie im 19. Jahrhundert.
Dass bei den gegenwärtigen Kriegshandlungen auch ein kirchlicher Konflikt im Hintergrund steht, erscheint mir besonders bitter zu sein. Dies sage ich mit aller gebotener Demut vor dem Hintergrund der westeuropäischen und unserer deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts.
Christus spricht: „Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16,33). Hans-Jörg Voigt
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1 Vilmar soll in einer persönlichen Audienz den Kurfürsten aufgefordert haben: „Geben Sie die Kirche frei!“. Dies berichtet er in einem Brief an den Bruder W. Vilmar vom 14. Oktober 1849 (vgl. Hopf, A. Vilmar, II, S. 90; Karl Wicke, Die hessische Renitenz: ihre Geschichte und ihr Sinn, Kassel 1930, S. 35.
2 Grünhagen, Andrea, Erweckung und konfessionelle Bewusstwerdung, Berlin, 2010, S. 322.
Fürbittengebet um Frieden
Liturg zur Gemeinde: Im Frieden lasst uns beten durch unsern Herrn Jesus Christus, den Erlöser der Welt.
Lektor zur Gemeinde: Für den Frieden im Osten Europas / dass der Herr dem Krieg Einhalt gebiete und den Menschen in der Ukraine den Frieden und Freiheit wieder schenke / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich. (Hier kann auch das Kyrie aus der orthodoxen Liturgie der Ukraine, ELKG² 157 gesungen werden.)
Lektor zur Gemeinde: Für die Kinder und Jugendlichen / dass der Herr sie an Leib und Seele vor Leid und Verletzung bewahre / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich.
Lektor: Für die Brüder und Schwestern in den Kirchen der Ukraine und Russlands / dass Gott ihre Herzen vor Hass aufeinander bewahre / dass er ihnen Wege zeige, dem Frieden zu dienen, das Wort Gottes zu verkündigen und die Sakramente zu feiern / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich.
Lektor: Für alle, die politische Verantwortung tragen /dass der Herr ihre Herzen zum Frieden lenke /dass er ihnen helfe der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu dienen / dass er die Herzen und Sinne der Menschen vor Irrtum und Lüge bewahre / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich.
Lektor: Um Frieden und Eintracht unserem Land /dass der Herr der Polarisierung der Gesellschaft in Interessengruppen wehre / dass er den Frieden an den Arbeitsstätten, Universitäten und Schulen schenke und erhalte / dass er Lehrern und Lehrerinnen neue Kraft gebe und ihre Liebe erhalte / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich.
Lektor: Um Frieden in unseren Häusern und Familien / dass der Herr den Eheleuten helfe, die es schwer miteinander haben / dass er gute Verständigung zwischen den Generationen schenke / damit die Kinder in Frieden heranwachsen können und für die ungeborenen Kinder / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich.
Lektor: Für ein Ende der weltweiten Krankheitsnot /dass der Herr die Menschen vor Krankheit bewahre / dass er den Pflegekräften und Ärzten neue Kraft gebe / für alle die krank sind, und deren Namen wir hier in der Stille nennen … / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich.
Lektor: Für unsere Kirche und Gemeinde / dass der Herr uns bei seiner Wahrheit erhalte / dass er junge Menschen willig mache, in seinen Dienst zu treten / für die Lutherische Theologische Hochschule und alle theologischen Ausbildungsstätten / dass der Herr Lehrende und Lernende in seinem Wort gründe / lasst uns beten:
Gemeinde: Herr erbarme dich.
Liturg zum Altar: Barmherziger Gott, erhalte uns deinen Frieden, schenke Frieden allen Menschen, für die wir gebetet haben, durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn.
Amen.