11. Sonntag nach Trinitatis

Von | September 19, 2020

Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus,
und die Liebe Gottes,
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit Euch allen, Amen.

Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.
Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Gebet: O Herr Jesu, wir wollen auch gerechtfertigt nach Hause gehen! Bring uns durch den Heiligen Geist dorthin, wo Du uns erhöhen kannst und wirst. Amen.

Lukas 18, 9-14

Liebe Gemeinde!

Wer staunt, oder erschrickt, der ist Gott näher, als jemand, der nicht staunt oder nicht erschrickt.
Jesus erstaunt und erschrickt seine Hörer mit diesem Gleichnis, denn er will, daß sie Gott begegnen. Und das ist die gnädigste und freundlichste Methode, einen Menschen zu Gott zu bringen, wenn man mit ihm spricht – zum Beispiel ein Geschichte erzählt, wie Jesus hier.
Pharisäer und Zöllner – das sind zwei Extreme. Der Pharisäer kann nichts falsch machen, und der Zöllner kann nichts richtig machen. Der Pharisäer bemüht sich in jeder Situation nach dem Willen Gottes zu fragen, und dann nach seiner Erkenntnis zu handeln. Der Zöllner hat mit dem Feind des Volkes Gottes – den Römern – einen Bund geschlossen, nun kann er erpressen, betrügen, sich bereichern, so wie es ihm paßt oder wie er es schafft. Der Pharisäer braucht nicht zu hoffen, denn er ist auf der sicheren Seite. Er ist so gut, daß er als Vorbild alle andere belehren und beraten kann – und so von seinem Gutsein abgeben kann – ja wer ihn gut findet, der ist dadurch schon selber gut. Der Zöllner hat keine Hoffnung, denn er ist gefangen im Netz, in der Falle des Bösen. Er ist so schlecht, daß er sein Schlechtsein teilen kann – wer mit ihm an einem Tisch sitzt und ißt, der ist auch böse – ja, wer nicht voller Abscheu und Erregung auf ihn zeigt, und sich von ihm distanziert, der ist genau so böse, wie er.
Man merkt schon, das muß ein Drama geben, wenn Jesus eine Geschichte mit diesen beiden erzählt.
Sie gehen beide hinauf in den Tempel, um zu beten.
Das ist erstmal gut.
Wer nicht betet, was soll Gott mit dem anfangen? Wer nicht betet, hat keinen Gott. Wer betet, hat Zukunft. Wer nicht betet, ist schon Vergangenheit.
Also. Das haben die beiden gemeinsam, wenn sie auch sonst grundverschieden sind. Es ist nur die Frage, welche Zukunft Gott für diese Betern bereithält.
Mit wenigen Worten stellt Jesus uns den Pharisäer vor Augen. „Er stand für sich und betete so“ – er tritt in den Tempel ein wie in sein eigenes Zuhause. Hier gehört er hin. Überall bekommt er den Ehrenplatz – warum nicht auch hier? Jeder kann ihn sehen und ihm Recht geben. Das paßt so zusammen.
„Ich danke Dir, Gott“ – das kann sich hören lassen! Anders als die meisten Menschen, die immer nur von Gott etwas haben wollen, Ihn belästigen mit Wünschen und Bitten – Gott soll die Probleme lösen, die sie sich selbst gemacht haben. Nein! Dieser Mann weiß, was sich gehört. Er sagt „Danke!“. Wofür? – „Daß ich nicht bin, wie andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“ – Heutzutage, wenn man von Pharisäern spricht, dann meint man damit „Heuchler“. Doch dieser ist kein Heuchler. Er ist kein Räuber, kein Betrüger, kein Ehebrecher. Mit Gottes Hilfe. Das kann ihm niemand nachsagen. Nicht nur das! Er fastet zweimal in der Woche, und gibt 10% von allem, was er hat. Dazu ist zu wissen: Er tut mehr, als das Gesetz vorschreibt. Das Gesetz des Mose kannte Fasten für alle Israeliten am großen Versöhnungstag. Darüber hinaus war Fasten freiwillig. Natürlich half es beim Beten, und war gesund. – Zweimal in der Woche, das war Überproduktion, Planübererfüllung. Das schaffte nicht jeder, das kann man sagen! – Und den Zehnten sollte man geben. Das ja. Aber nur von dem, was man selbst geerntet hatte. Pharisäer hatten aber Zweifel, ob jeder Bauer auf dem Markt es so genau nahm. Es konnte ja sein, daß man etwas gekauft hatte, das noch nicht durch den Zehnten geheiligt worden war. Also gab der Pharisäer den Zehnten „von allem, was er hatte.“
Damit konnte der Pharisäern allen sagen und zeigen: „Seht? Es geht! – Ihr habt es nur noch nicht richtig versucht! – Wenn ihr es wirklich wollt, dann klappt das. Schaut auf mich!“ –
Ist das noch ein Gebet? Der Pharisäer dankt. Aber dankt er Gott für Seine Gaben? Sieht der Pharisäer denn seine Leistungen als Gottes Geschenke? Wenn er das wirklich täte, dann müßte er doch auf die Knie fallen und irgendwie staunen. Staunen über Gottes Güte, Gottes Großzügigkeit – Staunen darüber, daß so etwas sogar in seinem Leben möglich ist. Staunen darüber, daß das von Gott kommt.
Das ist das eine. Das andere wäre: Noch auf den Knien Gott bitten um Hilfe für „diesen Zöllner“. – Lieber Gott hol ihn heraus aus seiner Verstrickung, aus seinem Gefängnis!
Oder die Bitte: „Lieber himmlischer Vater, bewahre mich davor, schuldig zu werden, meinem Nächsten zu schaden.“ – Also kein Erschrecken über die gefährliche Lage des Zöllners, kein Erschrecken darüber, daß er selber plötzlich fallen könnte, und einen Fehler machen.
Kein Erstaunen, kein Erschrecken.
Finde den Fehler!
Wenn der Pharisäer nicht lügt – und das tut er nicht! – was denn sein Fehler? Denn Jesus sagt klar: Er ging nicht gerechtfertigt nach Hause, der Zöllner schon. Kein Mensch wäre darauf gekommen, daß der Pharisäer daneben liegt. Sein Fehler ist, daß er aus Gott einen Pharisäer macht. Er kopiert sich selbst in Gott hinein. Weil der Pharisäer mit sich zufrieden ist, dann soll Gott auch mit ihm zufrieden sein. Wenn alle Menschen den Pharisäer toll finden, dann muß Gott ihn auch toll finden. Der Pharisäer vergleicht sich mit den „anderen Leuten“ und mit „diesem Zöllner“ und stellt fest: Ich faste mehr, ich gebe den Zehnten besser – und sündige nicht, wie sie. Also kann Gott nichts gegen mich haben. Und wenn Gott nichts gegen mich haben kann, dann, ja dann habe ich alles erreicht.
Er hat sich selbst erhöht. „Gott hat nichts gegen mich, also muß er mich mögen.“
Ist Gott so?
Vielleicht kann der Pharisäer nur dann einen Menschen mögen, wenn er bei dem Menschen keine Fehler findet, vielleicht kann er nur dann einen Menschen anerkennen, wenn er von ihm bewundert wird.
Finde den Fehler!
Immer wieder warnt Jesus davor, daß wir uns mit anderen vergleichen. Der Pharisäer erhöht sich, indem er vergleicht. „Ich bin besser als dieser Zöllner, also bin ich gut.“ Damit ist er ´raus. Gott kann mit ihm nichts anfangen.
In der Bergpredigt sagt Jesus: „Wenn du Almosen gibst, dann soll deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut.“ – Warum? Ganz einfach: Dein Almosen ist ganz bei dem Mitmenschen, und nicht mehr bei dir! Es kommt bei Gott an, wenn es dich verläßt. Dann ist die Liebe selbstlos. – Sonst, so warnt Jesus, hast Du deinen Lohn dahin; schon gehabt. Wenn du Almosen gibst und dich darin spiegelst und vergleichst, dann ist dieser Vergleich alles, was du daraus haben wirst, dieser kurze Augenblick der Selbsterhöhung ist dein Lohn.
Aber: Deine gute Tat gehört deinem Nächsten und Gott. Dir nicht. Und wirkliche Liebe versteht das.
Der Pharisäer im Gleichnis muß Gott nochmal alles aufzählen, was er alles richtig getan hat, als ob es noch nicht bei Gott angekommen ist. Als ob das Gute erst durch den Vergleich mit anderen bei Gott ankommt. Wird Gott den Zöllner auch so verachten? Und wenn nicht? Ist der Pharisäer dann noch der bessere?
Finde den Fehler!
Jesus hatte kein Problem damit, daß der Pharisäer fastete, den Zehnten gab, und bestimmt nichts dagegen, daß er kein Räuber, kein Mörder, kein Ehebrecher war.
Der Fehler war: Er merkte nicht, wie sehr er Gott brauchte. Der Fehler war: Gott will nicht nur keine Probleme mit ihm haben; Gott will ihn lieben. Und hätte der Pharisäer aus Liebe gehandelt, dann wäre sein Fasten, seine Spenden, sein ganzer Anstand im Verborgenen aus Liebe bei dem Nächsten und bei Gott angekommen, und nicht mehr bei ihm. Seine guten Taten waren nicht die Früchte seines Gottvertrauens. Gott muß durch Beweise, Leistungen, Vergleiche, Zahlen bewegt werden. Das kommt bei Gott nicht an.
Über den Pharisäer wäre noch viel zu sagen. Doch bevor wir uns noch dabei erwischen, daß wir sagen: Danke Gott, daß ich nicht bin wie andere Menschen, zum Beispiel wie jener Pharisäer! – Wenden wir uns noch unbedingt dem Zöllner zu!
Er ist sich nur zu bewußt, daß etwas nicht stimmt. „Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust“ – Er traut sich nicht. Und das aus gutem Grund. Gott ist ganz weit weg. Der ganze Betrug, die ganze falsche Freude, der hohle Glanz, bricht über ihn herein. Der hilflose Zorn seiner Opfer holt ihn ein. Die ganze Anstrengung, seine Lebenslüge aufrecht zu erhalten wird ihm bewußt und brennt auf seiner Seele. Er steht von Ferne – denn er fühlt es: Jede Begegnung wird eine Anklage, jeder, der ihn sieht, wird ihn durchschauen, den Kopf über ihn schütteln und sich abwenden. Er kann die Augen nicht zum Himmel heben, denn er weiß: „Für mich gibt es keine Hilfe, es spricht alles gegen mich. Gott ist mein Feind, ich hab ihn zu meinem Feind gemacht.“ – Doch dann geschieht das Wunder: Er spricht: „Gott, sei mir gnädig, ich bin ein Sünder.“ Lieber Gott, es muß etwas geschehen, ich weiß nicht was! Das Leid, was ich durch Erpressung, Schadenfreude und Gier meinem Nächsten angetan habe, das verfolgt mich, und läßt mir keine Ruhe. Gib mir, was ich nicht in mir finden kann – Gott sei mir Sünder gnädig!
Das ist kläglich im Vergleich zum Pharisäer, ja peinlich. Also der Pharisäer wäre lieber gestorben, als so etwas zu sagen. Dieser Zöllner hat sich erniedrigt. Aber nicht so, wie man es denkt. Er hat sich einfach nichts vorgemacht. Er hat gebeichtet, die Wahrheit gesagt. Aber und das ist entscheidend: Vor Gott, als Gebet. Keine Grübelei, und Gedanken, die im Kreise drehen, keine Selbstanklage, oder Selbstbejammerung. Auch keine Fingerzeige auf alle anderen, die eigentlich schuld sind. Sondern: ICH. UNTEN. GOTT.
Aah, sagt Gott. Da haben wir ja was! Guck an. Der ist was für mich, sagt Gott. Jesus sagt: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause. Gott wird ihn erhöhen, Freiheit schenken. Und das, wohlgemerkt, liebe Gemeinde, bevor er auch nur einen Beweis geliefert hat, daß er was kann. So wie der Schächer am Kreuz, der sich dem Gekreuzigten zuwendet, und Jesus sagt zu ihm: „Heute wirst Du mit mir im Paradies sein.“ –
„Sich selbst erniedrigen“ – Das wird nie populär sein. Ich hatte überlegt, wie kann man es anders sagen? „Gott groß sein lassen“? oder: „Gott Raum geben“? – Das ist alles auch wahr. Aber der Schrecken über sich selbst, und das Staunen über Gott. Das muß sein. Und nicht Staunen über sich selbst und Schrecken über die Anderen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.