Gnade sie mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus. Amen.
Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm. Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Lukas 2, 40-52
Lieber Herr Jesus Christus – laß uns Deine Stimme hören und Dir nachfolgen. Amen.
Liebe Gemeinde!
…. und dann ist der Vorhang zu für ganze 18 Jahre. Über Jesus wissen wir: 1. Seine Geburt; 2. seine Beschneidung nach 8 Tagen; 3. die Flucht nach Ägypten und die Rückkehr; 4. die Darstellung im Tempel, als er keine 2 Monate alt war; 5. die heutige Geschichte: Der 12-jährige Jesus im Tempel – und dann seine Taufe durch Johannes den Täufer. Der Evangelist Lukas schreibt dazu: „Jesus war, als er auftrat, etwa dreißig Jahre alt …“ (Lukas 3, 23).
Die eine Person, die in unvergleichlicher Weise die Welt bewegt hat und bewegt. Und was wissen wir über seinen Werdegang? Daß seine Eltern die Regeln eingehalten haben, genauso, wie es im Gesetz des Mose vorgeschrieben war. Wir hören so gut wie nichts davon, was aus unserer Sicht eine Persönlichkeit prägt oder formt. Uns wird nur gesagt, daß Joseph, der Mann der Maria, der ihn erzogen hat, ein Zimmermann war (Matthäus 13, 55). Es ist also gut möglich, daß Jesus bei seinem irdischen Vater dieses Handwerk erlernt hat. Man kann also sagen, daß Jesus bis zu seinem öffentlichen Auftreten vor der Welt dreißig Jahre im verborgenen, und unauffällig gelebt hat, konventionell, in gewohnten Bahnen.
Das bedeutet, daß nichts aus der Kindheit und Jugend Jesu nötig war, ihn zu verstehen oder zu erklären. Seine Predigten, seine Taten, seine Wunder, sein ganzer Weg – bis hin zu Kreuz und Auferstehung sprechen also für sich selbst.
Bei uns ist das größtenteils anders.
Bei wichtigen, außergewöhnlichen Menschen fragt man nach, wie sich das große Talent gemeldet hat, welche Rolle die Eltern gespielt haben. Dann versucht man, daß Erstaunliche aus Kindheit und Elternhaus zu erklären. Mozart ist ein klassisches Beispiel: Sein Talent zeigte sich sehr früh, als der drei Jahre alt war. Sein Vater hat ihn dann streng erzogen und unterrichtet. Dann kam die Zeit, daß der Sohn sich gegen den Vater durchsetzte. Je mehr wir über Kindheit, Werdegang und Einwirkung von Eltern und anderen erforschen, um so mehr sind wir versucht, das spätere durch das frühere zu erklären, zu durchschauen, zu verstehen. Das heißt aber – im Fall von Mozart, zum Beispiel: Seine Musik spricht nicht nur für sich selbst, sondern sich ist Ausdruck von dem, was vorher war. Ausdruck eines Leidens unter dem Vater, oder was auch immer. Wenn ich dann Mozarts Musik höre, dann höre ich nicht nur die Musik, sondern habe gleichzeitig meine Gedanken dabei: Ich habe diese Musik durchschaut. Sie ist das Ergebnis von dem, was Menschen getan haben.
Das ist bei Jesus nicht möglich. Wenn wir Seine Predigten hören, wenn uns seine Wunder vor Augen geführt werden, wenn uns sein Kreuz, sein Tod und dann seine Auferstehung verkündigt werden, dann haben wir nicht die Möglichkeit, eigene Gedanken dabei zu haben: Jesus konnte nicht anders, denn er hatte ja diese Eltern, oder er hatte eine schwere Kindheit oder wie auch immer. Wir haben keine andere Möglichkeit, als das ganze Evangelium für sich sprechen zu lassen. Unsere eigenen Gedanken sind überflüssig. Jesus Christus ist an keiner Stelle erklärbar. Es gab nur eine Theorie über ihn zu seinen Lebzeiten, in zu erklären: Man sagte, er sei besessen, ja, er habe den Teufel. (Matthäus 9, 34; 12, 24; Johannes 7, 48).
Die Christenheit hat es nicht lange aus. Die Neugier war zu groß. Der Drang Jesus zu durchschauen, zu erklären, war zu stark. Dahinter stand der Weigerung, das Evangelium für sich sprechen zu lassen, und es anzunehmen.
So kamen sogenannte „Kindheitsevangelien“ in Umlauf. Jesus soll demzufolge als Kind schon Wunder getan haben. Allerdings als Zaubertricks und zur Verblüffung der Menschen. Völlig anders als der Jesus des Evangeliums. Er stellt sich nie zur Schau. Er tut Wunder, um aus der Not zu helfen, und den Glauben zu stärken. Darum hat die Christenheit diese Schriften nie als Gottes Wort angenommen.
Unser heutiges Evangelium ist die einzige Geschichte zwischen Kindheit und Taufe Jesu, die uns das Evangelium sagt.
Was sagt sie uns?
- Jesus wurde im Gesetz des Mose erzogen. Mit 12 Jahren hatte ein Israelit die Pflicht, das Gesetz zu halten. Also ging er in dem Alter mit seinen Eltern zum Passahfest nach Jerusalem.
- In diesem Alter muß er sich auch nach seiner menschlichen Natur bewußt geworden sein, daß er der Sohn Gottes ist. Maria und Joseph werfen ihm ja als besorgte Eltern vor: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ – Und darauf antwortet Jesus: „Warum habt ihr mich gesucht? Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?“ Er hat sich im Haus Gottes aufgehalten und sich mit der Heiligen Schrift, also mit Gottes Wort beschäftigt. Damit wird klar ausgesprochen, daß Jesus Gott seinen Vater nennt.
- Doch dieses Bewußtsein, oder Gefühl, oder inneres Erleben wird uns nicht beschrieben. Es findet an der Grenze zwischen Gott und Mensch statt. Und diese Grenze kennen wir nicht. Wir können also diese Erfahrung Jesu nicht neutral betrachten, und danach urteilen: Dieses Gefühl reicht nicht aus, Gott „Vater“ zu nennen.
- Das, was der Engel bei seiner Geburt der Mutter Maria gesagt hat, spricht Jesus nun auf seine Weise aus. Der Engel sprach: „… darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.“ (Lukas 1, 35). Was haben die Eltern ihm wohl gesagt? Wir wissen es nicht. Es geht uns nichts an.
- Jesus ist ganz und gar wahrer Mensch: Er wird geboren, er wächst heran, wie Menschenkinder heranwachsen, wird versorgt von seinen Eltern, wie Menschenkinder versorgt werden. An keiner Stelle wird er als Übermensch, oder Halbgott dargestellt.
- Und zugleich ist er wahrer Gott. Das ist von Anfang an wahr, jedoch verborgen. Noch 18 Jahre wird er unauffällig in Nazareth leben, bis er sich taufen läßt. Doch er lebt als Gottes Sohn unter den Menschen.
- Jesus vereinigt Gottheit und Menschheit in sich – beides ist ganz da. Aber die beiden Naturen bleiben unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt. Es ist eine wunderbare, einmalige Einheit. Jesus hört nicht auf, Gott zu sein, er hört nicht auf, Mensch zu sein, er ist nicht mal das eine, dann das andere, sondern beides ganz.
- Jesus liebt seine Eltern. Als sie ihn nach drei Tagen schmerzhaften Suchens finden, antwortet er mit 2 Fragen: Warum sucht ihr mich? Wußtet ihr nicht, daß ich hier im Tempel sein muß? – Keine freche Antwort, kein vor den Kopf stoßen, keine Verletzung. – Sie hätten es wissen können. Sie hätten sich die ganze Sorge sparen können, wenn sie ihn gleich im Tempel gesucht hätten.
- Es kündigt sich in dieser Geschichte an, daß Jesus seinen Auftrag nicht als Kind seiner Eltern, oder als Mitglied seiner Familie erfüllen würde. Sondern ganz allein. Also, es war kein Vorteil mit ihm verwandt zu sein. Er ist allen Menschen gleich nahe. Er steht uns allen gegenüber, er ist für uns alle da.
- Maria und Joseph verstanden „das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.“ Wäre Jesus ein sündiger Mensch gewesen, dann hätte er ab jetzt allen Grund gehabt, seine Eltern zu verachten. Er hätte auf Schritt und Tritt ihnen beweisen können, wie dumm sie sind, wie sehr sie ihm Unrecht tun, weil sie ihn nicht verstehen. Er hätte jede Möglichkeit gehabt, Maria und Joseph zu demütigen. Aber Jesus tut genau das Gegenteil: „Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan.“ Er hat es gelebt, noch weitere 18 Jahre lang, daß Gehorsam etwas Göttliches ist. – Und das bleibt war, auch wenn die Geschichte der Menschen das Wort „Gehorsam“ mißbraucht, beschmutzt, zertreten und verworfen hat. Dieses eine Menschenleben in Nazareth hält dagegen. Gott und Gehorsam schließen sich nicht gegenseitig aus.
Was hat Jesus eigentlich mit den Schriftgelehrten im Tempel besprochen? Es wird das Alte Testament gewesen sein. Jesus hört zu, er fragt, er denkt nach, er antwortet. Er lebt im Wort Gottes, er ist darin zuhause. Das wird ihm anerkannt, ja, man staunt darüber.
Auch hier ist Gott und Mensch vereinigt, aber nicht verändert, vermischt, getrennt oder geteilt: Jesus lernt, seinem Alter gemäß – als Mensch – aber zugleich ist bewegt er sich im Wort Gottes wie in einem Zuhause, das ihm vertraut ist. Als Sohn Gottes kam er nicht daher und berief sich auf sein Innenleben, das niemand überprüfen konnte. Er berief sich auf die Heilige Schrift, die jeder nachlesen konnte. Er hat sich nicht als etwas Besonderes den Menschen aufgedrängt. – Darum begegnen wir Gott, wenn wir ihm begegnen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Beitragsbild: Der zwölfjährige Jesus im Tempel, Melker Altar von Jörg Breu dem Älteren, 1502