Gründonnerstag

Von | April 15, 2022

Das Lamm, das gewürget ist,
ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum,
und Weisheit und Stärke,
und Ehre und Preis und Lob.
Gnade sei mit euch und Friede,
von Gott unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus. Amen.

16 Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?
17 Denn ein Brot ist’s: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.

Korinther 10, 16-17

Gebet: O Jesus Christus, unser lieber Herr, Du Brot des Lebens, Speise für unsere Seelen – hilf uns heute abend, Deine mächtige Liebe in dem Sakrament des Altars zu erkennen und anzunehmen. Amen.

Liebe Gemeinde!
Eine junge Christin war in Indien als Touristin unterwegs. Es war eine andere, eine faszinierende Welt, und das in vielen Hinsichten. So kam sie zu einem Tempel, der besonders beeindruckend sein sollte. Hier wurde aber erwartet, daß man beim Eintreten etwas Erde, die der Gottheit geweiht war, auf die Zunge bekommt, um dann eintreten zu können. „Was ist schon dabei? Ich glaub ja nicht daran!“, und schon hatte sie den trockenen Staub im Mund und geschluckt und war durch die Tür und schaute sich die Bilder, Farben und Figuren im Inneren des Tempels an. – Was ist schon dabei?! – Der Körper und die Seele haben da ihre eigenen Gesetze. Sie erzählte mir, daß sie danach eine Bindung und eine Belastung spürte, von der sie erst wieder frei war, als sie diese Begegnung vor Gott aussprach und sich davon lossagte. Es war nur ein wenig Erde, es ging nur um eine kleine aufregende Besichtigung, und doch war es größer, auf jeden Fall größer als sie. Sie konnte diese Begegnung nicht einfach als ein Urlaubserlebnis unter anderen ablegen und wie ein Foto einkleben. Es war eher so, als würde sie die Macht verlieren, und sie als Person würde in ein anderes Album geklebt werden. Großer Unterschied! Ungefähr so groß wie: Nicht ich verdaue das Essen, indem ich es in mein Leben integriere, sondern mein Leben wird in eine andere Wirklichkeit integriert.
Heute abend hat Jesus eine Speise und einen Trank – und ein Essen und ein Trinken eingesetzt. In der Nacht, als er dem Tod übergeben wurde – von Judas, dem Verräter, von den Hohenpriestern, von Pilatus, von den Soldaten, von dem Volk – alle alle allesamt stimmten ein: Dieser Mensch muß weg! Und Jesus hat es ja kommen sehen! In dieser Nacht, als seine Vernichtung an Leib und Seele schon beschlossen war, und auch sein Gedächtnis ausgelöscht werden sollte, brachte Jesus seinen Leib und sein Blut dorthin, wo er, und wo Gott selbst, den Leib und das Blut haben wollte. Nach dem Willen des Pontius Pilatus, der Hohen Priester und des Volks sollte dieser Leib namenlos verwesen, ins Nichts hinein, und alles sprach dafür, daß das so kommen würde. Doch Jesus legt fest: „Mein Leib, der für euch aus Liebe und in Freiheit gegeben wird, gehört allen, die zu mir gehören. Mein Blut, in dem das Leben ist, das als ein Opfer bewußt und freiwillig vergossen wird, das gehört allen, die zu mir gehören.“ Vor den Augen der Welt wird er am Kreuz vernichtet, aber in den Augen Gottes und in den Augen des Glaubens geschieht dieses Opfer der Liebe. An diesem Abend legt Jesus fest, daß Seine Liebe nicht zerstört werden soll durch alles, was Menschen tun, in dieser Nacht, morgen am Karfreitag.
Jesus bleibt der Herr über Seinen Leib und Sein Blut. Kein Mensch, aber auch keine Tat, keine Macht, auch nicht der Tod, bestimmen über diesen Leib und dieses Blut. Jesus ist aus dem Grab auferstanden, mit einem verklärten Leib, der auch Blut in sich hatte.
Denken wir daran, wenn wir nun noch einmal hören, was Paulus schreibt:
„Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“
Schon Paulus hat in seiner Gemeinde den Kelch genommen, der mit Wein gefüllt war, und hat ihn gesegnet. Wie? Mit den Worten, die er empfangen hatte, mit den Einsetzungsworten, die auch wir heute abend hören werden. Paulus hat das getan, weil Jesus selbst, als er das Neue Testament festlegte, gesagt hatte: „Solches tut zu meinem Gedächtnis!“. Das war ein Befehl, ein Befehl unter der Macht des HERRN, der sich aus Liebe geopfert hatte, und dessen Liebe über den Tod triumphiert hatte. Unter dieser Macht hat Paulus den Kelch und das Brot gesegnet. So wie wir es auch tun, so hat er die Worte aus dem Evangelium wiederholt. Dort hören wir, daß Jesus selbst auch den Kelch nahm, dankte, und sprach: „Trinket alle daraus, das ist das Neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen ist zur Vergebung der Sünden.“ Durch den Segen, durch die Einsetzungsworte wird der Kelch unter die Macht der Person gestellt, die diese Worte gesprochen und festgelegt hat. Natürlich auch sein Inhalt, der Wein. Jesus bestimmt, was dieses Brot und was dieser Wein ist.
Mit der Segnung, der Konsekration, werden auf Befehl des Herrn Jesu Brot und Wein ausgesondert, beiseite gelegt, ausgewählt für einen klar festgelegten Zweck. In der Liturgie soll das klar und deutlich sein. Die Elemente werden in besondere Gefäße getan und auf den Altar gelegt.
Oft wird gesagt und gefragt: Ja, aber war das denn in der Nacht, da er verraten war, auch so? Hatte Jesus silberne, oder sogar goldene Gefäße? Haben die Jünger gekniet? Und so weiter … Der große Unterschied ist einfach: Sie hatten Jesus leibhaft vor Augen, damit war alles besonders und heilig. Außerdem erfaßten die Jünger noch nicht, was da geschah. Sie rechneten ja mit nicht mehr, als mit einem Passamahl, wie es jedes Jahr gefeiert wurde. Liebe Gemeinde, wir wissen, daß dieses Mahl anders ist, als alle anderen Mahlzeiten, und darum ist das Geschirr anders, unsere Haltung anders. Darum werden der Glaube und die Liebe zu Jesus das mit Ehrfurcht zum Ausdruck bringen. Was wir da essen und trinken, das kommt von ganz ganz oben. Sollte ich da nicht niederknien? Soll es meinen Augen nicht gezeigt werden, daß es ein Schatz ist? Wenn ein Ehrengast kommt, dann zeige ich das in dem, was ich anziehe, ich räume auf, ich mache ihm Platz, so gut ich kann. Jesus ist der Ehrengast über alle Ehrengäste. Sollen irdische Ehrengäste es besser haben, als der Sohn Gottes?
Der Kelch wird gesegnet – mit Worten Jesu wird ausgesondert. Das Brot wird gebrochen – damit wird es zur Mahlzeit bestimmt, zur Austeilung. Das Brotbrechen hat keine symbolische Bedeutung: Etwa so wie das Brot jetzt gebrochen wird, so wurde Jesu Leib gebrochen. Man hört das immer wieder. Dabei sagt der Evangelist St. Johannes ausdrücklich, daß ihm kein Bein gebrochen wurde (Johannes 19, 35-36). Dem Brechen des Brotes entspricht das Einschenken des Weins – das wird ja auch nicht als Symbol für das Blutvergießen vorgeführt.
Und nun das große Wort: „Gemeinschaft“.
Der Kelch: ist der nicht die Gemeinschaft am Blut Christi?
Das Brot: ist es nicht die Gemeinschaft am Leib Christi?
Es wird auf jeden Fall eine Verbindung hergestellt. Die Elemente, Brot und Wein, schaffen durch die Einsetzung Jesu eine Verbindung zu Seinem Leib und zu Seinem Blut. Paulus spricht hier nicht von Gedanken oder Vorstellungen. Das Abendmahl ist nicht in erster Linie dazu da, Gedanken oder Vorstellungen herzustellen. Das ist eine Wirkung, aber nicht die Sache selbst. „Gemeinschaft“ heißt hier: Ich habe Anteil am Leib und Blut Christi. Es wird mir zu essen und zu trinken gereicht. Es wird Meins.
Vergessen wir aber nicht, daß Jesus die Macht über seinen Leib und sein Blut niemals abgibt oder verliert. Also wird das Sakrament nicht zu etwas, was ich daraus für mich mache. Es bleibt das, was Jesus daraus gemacht hat. Darum bekennt unsere Kirche auch, daß nicht nur die Gläubigen Jesu wahren Leib und wahres Blut im Abendmahl empfangen, sondern alle. Die einen zum Segen, die anderen zu ihrem Schaden.
Jesus ist als Person da. Aber er hat festgelegt, daß er als Leib und Blut da ist. Leib und Blut werden nur durch Gewalt voneinander getrennt. Das geschah beim Opfer. Jesu Tod, bei dem sein Leib und sein Blut getrennt wurden, war sein Opfer. Jesus will ungetrennt von seiner Opfertat bei seiner Gemeinde, bei uns sein. Die Gemeinschaft mit Ihm ist immer auch die Gemeinschaft mit seinem Opfer. Wir haben da keine Wahl! Nur so können wir Jesus haben – so, oder überhaupt nicht.
Was heißt es nun, Gemeinschaft an Jesu Opfer zu haben?
Die wichtigste Bedeutung ist: Die Liebe zu uns, die Jesus getrieben hat, diesen Weg für uns zu gehen, diese Liebe meint wirklich mich und dich, sie gilt uns, sie gehört uns. Diese Liebe findet sich in der Vergebung für unsere Sünden. Dafür hat Jesus sich ja geopfert. Daß es Vergebung für uns gibt. Wer das Abendmahl empfängt, der bekennt damit: Ich brauche Vergebung. Wer so lebt, daß es sich von Gott nichts sagen läßt, und mit seinem Nächsten unbarmherzig ist, der zeigt damit: Ich brauche keine Vergebung, der muß sich fragen, was er eigentlich beim Abendmahl sucht.
Die Gemeinschaft am Opfer Jesu bedeutet deshalb auch: Ich erkenne mich wieder in denen, die Jesus ausgeliefert und ans Kreuz gebracht haben. Mein Leben, meine Gedanken, meine Worte und meine Taten beweisen es: Ich wäre nicht besser gewesen als alle in der Passionsgeschichte. Unser Gesangbuch spricht das klar aus: „Wer hat dich so geschlagen, mein Heil, und dich mit Plagen, so schändlich zugericht? Du bist ja nicht ein Sünder wie wir, und unsere Kinder, von Übeltaten weißt du nicht. – Ich bin’s, ich sollte büßen, an Händen und an Füßen, gebunden in der Höll …“. Oder an anderer Stelle: „Was ist doch wohl die Ursach solcher Plagen? Ach, meine Sünden haben dich geschlagen …“. Das ist nicht hochfliegende Poesie. Wenn wir glauben, daß Jesus da ist, und daß wir ihm begegnen, dann ist dieses Bekenntnis Teil der Begegnung.
Doch das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist die Heilung, die Vergebung, der Freispruch. Jesus ist das Lamm Gottes, das uns die Last abnimmt. Er kommt, um die Anklage zum Schweigen zu bringen.
Die Gemeinschaft am Brot und am Kelch bringt auch mit sich, daß die Teilhaber daran sich nicht verzweifelt an die Güter und Freuden dieses Lebens klammern, als gäbe es nichts danach. Die Gemeinschaft am Opfer Jesu schließt ein, daß auch wir zum Opfer bereit sind. Das Wertvollste haben wir schon, und nichts kann uns davon trennen. Das wird uns tragen und trösten, wenn wir in diesem Leben einmal verzichten müssen.
Liebe Gemeinde! Wäre es nicht traurig, wenn wir das Abendmahl feiern und empfangen würden, ohne diese großen Wahrheiten zu wissen? Ist es aber nicht auch so, daß kein Mensch von selbst auf diese Wahrheiten kommen kann? Darum finde ich es richtig, wenn wir vor einer Zulassung zu Abendmahl auf eine Verständigung dringen. Ich würde diese Verständigung gern noch viel gründlicher pflegen! Manche stören sich daran. Ich kann nicht verstehen, warum. Ein Christ wird doch gerne bezeugen, was er glaubt! Es gibt auch Christen, die mit Überzeugung vor dem ersten Abendmahlsempfang als Gäste zu mir kommen, und über diese Dinge sprechen. Es ist eine kostbare Gelegenheit für jeden Christen, mit Verantwortung zu tragen für diese Glaubensgeheimnisse, die uns anvertraut sind!
Die junge Frau, die in Indien ein wenig Staub vom Götzentempel nicht gut verdauen konnte, mußte merken: „Dies alles ist größer als ich!“
Beim Abendmahl soll alles darauf hindeuten, wie groß das ist, was da passiert.
Der gesegnete Kelch und das gesegnete Brot fügen uns ein die die große Tischgemeinschaft des Sohnes Gottes. Nicht wir verdauen das Sakrament, sondern das Sakrament veredelt uns. Etwas Größeres kann es nicht geben. Eine Tischgemeinschaft, die der Raum nicht begrenzen kann, auch nicht die Zeit. Wir haben dieselbe Begegnung, dieselbe Vergebung, denselben Trost wie die Apostel, wie alle Christen bisher – und auch mit denen, die noch kommen. Diese Tischgemeinschaft ist getragen von dem, der sich für einen jeden von uns feierlich entschieden hat, und alles getan hat, daß die Gemeinschaft nicht kaputtgeht.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus zum Ewigen Leben. Amen.


Beitragsbild: Byzantinisches Mosaik der Fußwaschung der Jünger in der Kathedrale von Monreale , Italien