Pfingsten

Von | Mai 25, 2021
Pfingsten

Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.

1. Mose 11, 1-9

Lieber Herr Jesus Christus, sende uns den Tröster und Fürsprecher, Deinen Heiligen Geist, damit wir genau hören, was Du uns sagst. Amen.

Liebe Gemeinde!

Als ich vor etwa 15 Jahren das erste Mal in Tschechien war, merkte ich, daß ich in einem Land war, wo man wirklich ganz anders sprach. In England, Frankreich, Italien, Dänemark und den Niederlanden – überall dort konnte ich vom Deutschen oder vom Lateinischen etwas wiedererkennen, so dachte ich jedenfalls.
Doch Tschechisch als eine slawische Sprache bot überhaupt keine Anknüpfungspunkte, auch wenn die Buchstaben immerhin die gleichen waren.
Wir leben auf der selben Erde, unter dem selben Himmel, erkennen uns als Menschen mit so vielen gemeinsamen Bedürfnissen und Freuden – und doch heißt Brot in Spanisch „pan“, in Slowenisch „struca“, in Indonesisch „roti“ was haben alle diese Wörter gemeinsam? Überhaupt nichts, außer, daß sie „Brot“ bedeuten. Da steht man sich gegenüber, sieht sich an und versteht sich nicht. Die Verbindung ist unterbrochen. Und gerade wenn man sich gegenseitig als Mensch wahrnimmt, spürt man die Kluft, den Graben um so schmerzlicher. Die eine Menschheit zerfällt in unzählige Sprachen.
Am heutigen Pfingsttag wird und der Ursprung dieser Verwirrung gezeigt, und der Anfang der Überwindung dieser Verwirrung.
Der Ursprung der verschiedenen Sprachen zeigt uns Gottes Wort in dem Bericht vom Turmbau zu Babel.
Der Anfang der Überwindung dieser Verwirrung oder Spaltung ist die Ausgießung des Heiligen Geistes am Pfingsttag.
Was beim Turmbau zu Babel geschah, war ein Gericht oder eine Strafe Gottes. Eine Strafe für die Sünde der Menschen.
Was zu Pfingsten in Jerusalem geschah, war ein Gnade, ein Geschenk Gottes.
Beides: Die Verwirrung der Sprachen und die Heilung dieser Verwirrung, kommt von Gott. Gott ist HERR der Sprachen und der Sprache. Das sollten wir uns merken in Zeiten, in der Menschen meinen, Sprache nach menschlichen Gesichtspunkten ändern zu können.
Wir Menschen stehen unter der Sprache, leben in ihr.
Die Verwirrung der Sprache ist eine Strafe Gottes.
Wofür? – Die Menschheit, die eine gemeinsame Sprache hatte, mißbrauchte sie zur Selbstüberschätzung, Selbstverherrlichung, letztlich zum Götzendienst.
Wie sah das aus? – Sie einigten sich darauf – und das war wegen der einen gemeinsamen Sprache auch möglich – „Wohlauf, laßt
uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel.“ – Das klingt völlig harmlos. Doch Gottes Wort hebt es hervor. Die Ziegel werden nicht nur getrocknet an der Sonne, sondern in Feuer gebrannt. Also sind sie viel härter und beständiger – sie sind auch einförmiger, also alle standardisiert, und nicht so wie Feldsteine oder behauene Felsen.
Was angedeutet wird ist: Fortschritt. Die uniformen Ziegel können nicht nur beliebig viel hergestellt werden, sondern mit ihnen kann auch beliebig viel gebaut werden.
Die Menschen sehen den Fortschritt – es wird immer besser, immer schneller, immer höher, immer größer …..
Wenn ich 10 Ziegel aufeinander schichten kann, dann auch die nächsten 10 – und so immer weiter und weiter.
Weil wir diesen Fortschritt erzielen konnten, warum nicht den nächsten und den übernächsten?
Deshalb traut man sich ein Menschheits-, ein Weltprojekt zu:
„Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.“
Mit der gemeinsamen Sprache und dem Fortschritt wollen sie eine eigene Welt aufbauen – eine Stadt, in der alle in einem System verbunden sind, vernetzt, verknüpft und verbunden sind. Alles wird organisiert: Wasser, Energie, Essen, und was der Mensch sonst noch braucht.
Und dann der Turm. Der soll einfach beweisen, was man kann und wie weit man es gebracht hat. Er soll weithin sichtbar sein und die Menschen ununterbrochen an ihre Leistung erinnern, damit das Selbstvertrauen immer weiter bestehen bleibt. Ein Denkmal zum eigenen Ruhm.
Das alles scheint alles noch gar nicht so verwerflich zu sein, oder? Sind wir Menschen nicht bis heute damit beschäftigt – mit der Stadt und dem Turm?
Wo ist denn der Wurm, der alles verdirbt?
Es heißt: „Damit wir uns einen Namen machen“. Sie wollen sich selbst einen Namen geben. Von Anfang an haben Menschen Namen. Doch es sind empfangene, gegebene Namen. Der gegebene Name zeigt, daß ich mein Leben empfangen habe. Der empfangene Name erinnert jeden Menschen daran: Ich verdanke mich nicht mir selbst. Mein Leben ist eine Gabe, und alles, was dieses Leben ermöglicht und erhält, ist eine Gabe. Und der Geber ist Gott. Der Ursprung aller Namen ist Gott selbst. Gott gibt Jesus dem Namen, der über alle Namen ist (Philipper 2, 9). – Gott ist es, der „dich bei deinem Namen ruft, und sagt: Du bist mein!“ (Jesaja 43, 1). – Damit hat sich die Menschheit insgesamt, im Kollektiv, von Gott losgesagt. Sie will sich selbst neu schaffen. Der Turm, der in den Himmel reicht, soll dokumentieren, vor Augen halten: Über uns ist niemand, nur unsere Leistung, unser Streben, unsere Erkenntnis und unser Können. Mehr gibt es nicht, und mehr brauchen wir auch nicht. Wenn wir etwas wollen, wenn wir etwas können, dann gibt es keine Grenze, niemand kann uns aufhalten! Wir schaffen uns selbst, der Fortschritt macht es möglich. – Die Menschen sich so sehr von sich selbst erfüllt und beeindruckt, daß sie Gott vergessen, und sich selbst vergöttern. Sie trauen sich alles zu, statt Gott alles zuzutrauen.
Daß das alles nicht wahr sein kann, das geben die Menschen allerdings auch zu – vielleicht gegen ihren Willen. Denn sie sagen: „Wir werden sonst zerstreut in alle Länder.“ – Ihr Gewissen sagt es ihnen: Die Zerstreuung, die Trennung steckt schon in uns drin. Doch sie erwarten keine Hilfe von Gott. Sie kehren nicht um, sie tun nicht Buße. Auch die Tatsache, daß sie meinen, sich einen Namen geben zu müssen, läßt uns fragen: Woher wissen sie denn, daß ihnen ein Name fehlt? Wissen sie denn, was ihnen ein Name geben kann? Welcher Name wird denn der richtige sein? – Sie tun alles aus den Augen, was Gott schon gegeben hat, was Gott schon getan hat, was Gott schon gesagt hat, und trauen es sich zu, das alles zu ersetzen, ja, zu verbessern, zu übertreffen. Sie greifen nach den Sternen und verlieren ihr eigenes Leben. Mit dem Geber – Gott – verlieren sie auch die Gaben. Wenn sie nichts machen, dann gibt es für sie nichts. So sind wir Menschen. Gott hat uns geschaffen, und wir sind dafür blind. Wir wollen nur das sehen, womit wir uns einen Namen machen können. Daß wir schon längst am Leben waren, bevor wir das alles überhaupt denken konnten, daß Gott uns schon längst bei unserem Namen gerufen hat, bevor wir uns einen Namen machen wollten, diese übergroße Wirklichkeit tun wir aus den Augen und starren auf das, was unsere Hände gemacht haben. Es ist eine umfassende, totale Verblendung, an der nichts gut ist. So klagt Gott selbst bei dem Propheten Jeremia: „Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hier und da ausgehauenen Brunnen, die doch löcherig sind und kein Wasser geben.“ (Jeremia 2, 13).
„Da fuhr der HERR hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.
Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.“ – Ähnlich wie nach dem Sündenfall im Paradies. Natürlich weiß Gott das alles, aber Gott schränkt sich freiwillig ein, weil er dem Menschen eine Chance geben will – so rief in dem Paradies nach dem versteckten sündigen Menschen: „Adam, wo bist du?“ ( 1. Mose 3, 9). Adam hatte schon den Tod verdient – darum schränkt Gott sich ein, um Adam zu begegnen. – Genau so nimmt Gott sich zurück, und „fährt hernieder“ – also der unglaublich hohe Turm ist weit unter ihm. – Und wie Adam und Eva damals nicht starben, aber aus dem Paradies vertrieben wurden, so vernichtet Gott die Menschen nicht, sondern verwirrt ihnen ihre Sprache. Sie verstehen sich nicht mehr, sie können nicht mehr alle zusammen sich auf ein Ziel einigen, sie können sich nicht mehr gemeinsam dem Wahn hingeben, Gott zu vergessen und gleichzeitig sich selbst zum Gott machen. Jedenfalls nicht alle gleichzeitig. Bei allen Menschheitsprojekten wird es immer noch andere geben, die das nicht verstehen können oder verstehen wollen, denen das einfach fremd und unbegreiflich ist. Die verwirrten Sprachen sind eine Grenze, die Gott gesetzt hat. Bei allem Größenwahn, und kollektiven Glauben an sich selbst, wird es andere geben, die das in Frage stellen, und sagen: Ihr sollt Gott sein? Ihr repräsentiert die Menschheit? Da hab ich meine Zweifel! – Ob diese Opposition dann göttlich ist? Wir können es nicht wissen.
Was uns nun verbindet, ist nicht mehr eine gemeinsame Sprache, sondern das gemeinsame Abfallen von Gott. Die gemeinsame Schuld. Das gemeinsame Seinwollen, wie Gott. Das gemeinsame vergessen der Gaben Gottes. Dafür hat jeder seine eigene Sprache. Die aber immer wieder zum Lügen und Täuschen verdammt.
Doch Gott fährt ja hernieder in diese verzweifelte Situation.
Sein Wort wurde Fleisch. (Johannes 1,14). Die gute Nachricht ist, daß Gott selbst wieder Eindeutigkeit schafft. Die Menschwerdung Gottes ist Gottes Heilung für das, was in Babel geschah. Der Geist, der unheilige Geist, der sich von Gott lossagt, dem hat Gott den Kampf angesagt, als Jesus auf die Erde kam. Jesus hat seinen Namen, seine Worte und Taten als ein wahrer Mensch von Gott empfangen und angenommen. Er sagt: „Der Vater, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich vor der Welt“ (Johannes 8, 26). Und weiter sagt Jesus: „Die Werke, die mir mein Vater gegeben hat, daß ich sie vollende, diese Werke tue ich.“ (Johannes 5, 36). Hier kommt die neue Sprache, die wir alle brauchen, auf die wir alle warten! – Und die Sünder haben sie abgelehnt. Bis ans Kreuz. Doch unser Gott kommt und schweigt nicht. (Psalm 50, 3). Jesus ist auferstanden und sendet Seine Jünger aus: Gehet in in alle Welt, und lehrt alle Völker. (Matthäus 28).
Verstehen wir jetzt, was zu Pfingsten geschah?
Gott selbst ist gekommen, um uns Menschen wieder untereinander zu verbinden. Der Heilige Geist muß Zungen geben, Ohren öffnen, Worte inspirieren, damit wir Menschen wieder gemeinsam zu Gott kommen. Damit die gemeinsame Schuld vergeben wird.
Und diese neue Sprache ist jetzt nicht eine menschliche Weltsprache. Griechisch war es nicht, Latein war es nicht, Französisch war es nicht, Englisch ist es auch nicht, und Chinesisch wird es auch nicht sein.
Die gemeinsame Sprache ist das Evangelium, das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser. Wir hören und sprechen sie in unzähligen Sprachen, aber wir wissen voneinander, was da gemeint ist.
Ich war mal in Italien zu Gast. Dort war eine 80 jährige Dame, die wohl zum ersten Mal einem Nicht-Katholiken begegnete. Sie war nämlich erstmal mißtrauisch. Wir hatten keine gemeinsame Sprache. Dann zeigte sie die 10 Finger, Daumen hoch – Daumen runter. „Habt ihr die 10 Gebote?“ – Ja. Dann die Hände zusammen. „Pater noster?“ – Vater unser? – – Und dann zeigte sie zum Himmel: „ Gott?“ – Ja. Und dann breitete sie die Arme aus, und zeigte wieder nach Oben. Der Gekreuzigte ist Gott. Jesus.
Das war die neue Sprache. Gesetz und Evangelium.
Beides zielt auf die gemeinsame Schuld, die Gott vergibt. Denn Vergebung ist das eine, was uns fehlt. Im Glaubensbekenntnis sagen wir: „Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige christliche Kirche, Vergebung der Sünden, Auferstehung.“ – Das war es, was zu Pfingsten geschah. Der Heilige Geist kam vom Himmel, brachte das Evangelium als neue Sprache für alle Menschen, und das Evangelium ist Vergebung der Sünden, im Namen Jesu. Der Heilige Geist macht die Kirche zur Kirche. Und Kirche ist dort, wo zur Vergebung eingeladen und gerufen wird.
Das ist die Sprache, die wir uns selbst nicht sagen und geben können, geschweige denn machen. Und doch ist sie lebensnotwendig. Es ist eine Sprache, die niemals vom Sprecher abgetrennt werden kann. Es ist immer Gott selbst, der uns ruft, und warnt und tröstet, es ist die Sprache, die uns von den Toten auferweckt.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Beitragsbild:
Duccio di Buoninsegna: Maestà, Altarretabel des Sieneser Doms, Rückseite, Altarbekrönung mit Pfingstzyklus, Szene: Pfingsten
1308-1311, Tempera auf Holz, 37,5 × 42,5 cm
Siena, Museo dell’Opera del Duomo
Kommentar: Sieneser Schule, Auftraggeber: Sieneser Dombauhütte, Altar nur teilweise erhalten
Land: Italien
Stil: Gotik
[Duccio di Buoninsegna. The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei, S. 3091 (c) 2005 The Yorck Project]