20. Sonntag nach Trinitatis

Von | November 12, 2020

Gnade sie mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus. Amen.

Und es begab sich, daß er am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?
Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.

Markus 2, 23-28

Jesus Christus, unser Herr, Du bist der Erste und der Letzte und der Lebendige, und hast die Schlüssel der Hölle und des Todes, weise uns durch dein Wort den Weg ins ewige Leben. Amen.

Liebe Gemeinde!
Wenn wir heutzutage darüber staunen, wie leidenschaftlich und hartnäckig über richtiges Verhalten in der Corona-Krise diskutiert – oder auch: gestritten – wird, dann würden wir im Israel des Neuen Testamentes baff sein. Der Sabbat war so ein Thema. Was ist erlaubt?, was ist verboten? Was ist Ruhe, was ist Arbeit? Es wurde nicht nur diskutiert, sondern auch kontrolliert: Wer tut was am Sabbat?
Wir wissen, daß diese Diskussion bis heute im Judentum andauert. Es gibt Hotels mit einem „Sabbat-Aufzug“, der ohne Knopfdruck in jedem Stockwerk anhält. So vermeidet der fromme Jude eine Tat, nämlich den Schalter drücken, die als Arbeit definiert wird. – Das andere Extrem waren die Makkabäer. Als die Nachfolger Alexanders des Großen gegen Israel kämpften, das war im 3 Jahrhundert vor Christus, kam es dazu, daß eine israelitische Gruppe sich weigerte zu kämpfen, als sie am Sabbat angegriffen wurden. So lesen wir in den Apokryphen 1. Makkabäer 2, 35-41
„Da stürmten die Feinde gegen sie an; aber sie wehrten sich nicht, verschanzten auch die Höhlen nicht und sagten: Wir alle wollen lieber schuldlos sterben; Himmel und Erde werden Zeuge sein, daß ihr uns mit Gewalt und Unrecht umbringt. So wurden sie am Sabbat überfallen und sie und ihre Frauen und Kinder samt dem Vieh umgebracht, an die tausend Personen.
Als Mattatias und seine Freunde das hörten, hielten sie die Totenklage über sie und sagten zueinander: Wenn wir alle wie unsre Brüder tun und uns nicht gegen die Heiden wehren, um unser Leben und das Gesetz zu retten, so haben sie uns bald von der Erde vertilgt. Und am selben Tag beschlossen sie: Wenn man uns am Sabbat angreift, so wollen wir uns wehren, damit wir nicht alle umkommen, wie unsere Brüder in den Höhlen ermordet worden sind.“
Es konnte also eine Sache von Leben und Tod werden. Diese Geschichte zeigt uns aber auch, daß die Entscheidung nicht eindeutig war. Die einen waren bereit, um des Sabbats willen zu sterben, die anderen aber beschlossen, sich am Sabbat zu wehren, „damit wir nicht alle umkommen“ (1. Makkabäer 2, 41) – „um unser Leben (also unsere Lebensweise als jüdisches Volk) und das Gesetz (Gottes) zu retten.“ (1. Makkabäer 2, 40).
Im Großen wie im Kleinen bemühte man sich darum, den Feiertag zu heiligen. Manche waren streng, andere weniger streng. Alle waren bereit, zu diskutieren. Dabei wurden die Worte des Gesetzes Mose zitiert. Dazu gab es aber auch die Ergebnisse von früheren Diskussionen, die abgespeichert und weitergegeben wurden – es war das so genannte „ungeschriebene Gesetz“, die „Überlieferung der Väter“, die Tradition.
„Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun. … Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.“ (2. Mose 20, 8-11).
So lautet es in den Zehn Geboten. Gott hat geruht. Du sollst auch ruhen.
Was tut Jesus? Er, als Lehrer, läßt es zu, daß seine Jünger am Sabbat im Gehen mit ihren Händen Weizenkörner aus den Ähren rupfen – und zwar am Sabbat.
Im 5. Buch Mose 23, 26 heißt es ausdrücklich: „Wenn du in das Kornfeld deines Nächsten gehst, so darfst du mit der Hand Ähren abrupfen, aber mit der Sichel sollst du nicht dreinfahren.“ Das war erlaubt. Aber am Sabbat? – Da brach dann die Diskussion los. „Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?“ – Der Fall war überdeutlich und klar. Die Anklage und das Urteil deshalb sicher: Dieser Jesus ist ein Irrlehrer, er erlaubt falsches Verhalten – er zerstört unsere Tradition, er hält das Reich Gottes auf, er tastet unsere Identität als Volk Gottes an. Denn der Sabbat war, wie auch die Beschneidung, ein eindeutiges Zeichen dafür, daß man Jude und nicht Heide war. – Es war nur eine Handvoll Weizenkörner, und doch ging es um alles, weil es am Sabbat war. War nicht der Sabbat „Zeichen zwischen mir und euch von Geschlecht zu Geschlecht, damit ihr erkennt, daß ich der HERR bin, der euch heiligt.“? Und sollte nicht, wer ihn entheiligt, des Todes sterben“? (2. Mose 31, 13+14).
Jesus wußte das. Und trotzdem fällt es auf, daß Jesus offensichtlich bewußt und öffentlich am Sabbat provozierte. Es ist ganz klar, daß Jesus an dieser Stelle neue Klarheit schaffen will.
Zunächst scheint er es zu machen, wie alle anderen in Israel. Es sieht so aus, als würde er noch einmal die Diskussion lostreten wollen. „ Habt ihr nie gelesen?“ Was steht geschrieben? Was sagt uns Gottes Wort?
Dann zitiert Jesus eine Geschichte des Königs David im Alten Testament. David, schon gesalbt, aber noch nicht König, auf der Flucht von dem damaligen Noch-König Saul, kommt mit seinen Leuten nach Nob, wo das Heiligtum Israels stand. Sie haben alle Hunger, und David bittet den Hohenpriester dringend um Speise. Nach einigem Hin und Her gibt der Priester dem David 6 „Schaubrote“. Das war heiliges Brot, das von Sabbat zu Sabbat auf einen goldüberzogenen Tisch vor den Altar gelegt wurde. Nur die Priester aßen es am Sabbat, wenn das frische Brot aufgelegt wurde. Dabei wurde Weihrauch und Wein geopfert. Das Schaubrot – man kann auch sagen: Brot des Angesichts Gottes, Brot der Begegnung mit Gott – vermittelte die Erfahrung: Die Begegnung mit Gott ist wie Essen: Sie bringt Leben. Im Tempel schenkt Gott eine Begegnung mit ihm, die das Leben stärkt. Daran erinnert auch Psalm 17, 15: „Ich aber will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde.“ –
Dieses Brot bekam David, obwohl er kein Priester war. (1. Samuel 21, 1-7). Übrigens: David bekam auch das Schwert des Riesen Goliath; man hatte es im Heiligtum von Nob aufbewahrt.
Es steht geschrieben! – Das ist Gottes Wort! – Aber nun konnte der Streit ja erst richtig losgehen: Hat Jesus das Wort richtig interpretiert? Ist er denn David, und sind seine Jünger Davids Freunde? Und erlaubt das alles eine Ausnahme am Sabbat?
Doch auf dieses Glatteis begibt Jesus sich nicht. Er diskutiert nicht. Jesus ist das Ende der Diskussion. Jesus bringt das, was keine Diskussion erreicht. Keine Diskussion schafft oder rettet Leben. Wir Menschen kommen aus der Diskussion nicht raus, weil wir nicht Leben schaffen können, und letztlich nicht retten. Die Diskussion soll das nur überdecken.
Jesus endet die Diskussion indem er sagt:
„Wo ich bin, da ist Sabbat.“ Das die Kurzfassung der Worte: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.“
Jesus definiert. Gott hat den Sabbat für den Menschen gemacht. Der Sabbat soll den Menschen zum Menschen machen, und Gott Gott sein lassen. Noch besser: Gott macht am Sabbat den Menschen zum Menschen. – Das kann nur sagen, wer Gott kennt, und wer den Menschen kennt. Darum sagt Jesus: „Des Menschen Sohn ist ein Herr auch über den Sabbat.“ Menschensohn, damit meint er sich selbst, als Messias, als den, der im Namen Gottes das letzte Wort hat.
Es ist so kurz, so knapp, so elegant, so endgültig.
„Eure Diskussionen führen nicht zu Gott. Eure Diskussionen verdecken die große Verlegenheit, daß ihr nicht wißt, wer Gott ist, was der Mensch ist, ja, überhaupt was Ruhe und Arbeit ist.“
Liebe Gemeinde. Für die Pharisäer war das das Ende. Wenn Jesus diskutiert hätte, dann hätte mit ihnen so tun müssen, als wäre Gottes Wille unklar und unsicher. Dann hätte Jesus mit ihnen so tun müssen, als könne man Gott nicht begegnen – jedenfalls nicht so, wie in den Schaubroten: eine Begegnung so klar und eindeutig, wie ein Essen. Und auch so erquicklich.
„Wo ich bin, da ist Sabbat“, sagt Jesus. „Ich bin das Ende eurer ewigen, elenden Diskussionen über Gottes Willen. Diskussionen führen nicht zu Gott.“
Wer sich durch Diskussionen definiert oder durchsetzen will, der wird mit Jesus nicht gewinnen. Diskussion und Sabbat, Diskussion und Gott, die schließen sich gegenseitig aus. Sagt Jesus.
Da bleibt einem die Luft weg, oder?
Für die Diskutierer ist das ärgerlich. Für die aber, die Gott dringend brauchen, aber eine gute Botschaft.
Das bedeutet: Jesus gibt das, was der Sabbat geben soll. Der Sabbat soll Ruhe geben. Göttliche Ruhe, Ruhen in Gottes Schoß. Natürlich heißt das auch: Nicht arbeiten, muß es auch. Unsere Welt, der Gott fremd ist, kann immer weniger etwas mit einem Ruhetag anfangen. Der Ruhetag ist das in der Zeit, was die Kirche im Raum ist. Wer die Kirche nicht kennt, verliert bald den Feiertag.
Doch womit wird die Ruhe gefüllt? Darauf kommt es an! Der Feiertag soll ja g e h e i l i g t werden! Sabbat ist: Gott wirken lassen. Gott machen lassen. Direkt vor dieser Geschichte berichtet der Evangelist St. Matthäus, wie Jesus sich als der Sabbat für die Menschen anbietet: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig, und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.“ (Matthäus 11, 28-29). „Ruhe finden für eure Seele.“ Das ist der Sabbat. „Ich bin der Sabbat. Wer zu mir kommt, bekommt Ruhe für die Seele.“ Diese Ruhe entsteht durch Vergebung. Die Vergebung Gottes macht uns wieder zu Menschen und läßt Gott wieder Gott sein.
Unser Katechismus bringt es auf den Punkt: „Du sollst den Feiertag heiligen. – Was ist das? – Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen.“ In seinem Wort ist Jesus selbst da. Er holt uns hinein in seine Gegenwart, schenkt Vergebung.
„Du sollst den Feiertag heiligen!“ – das übersetzt Jesus in: Ich heilige dich an meinem Tag. Im Neuen Testament ist der Sonntag des „Herren Tag“, der Tag der Auferstehung, der erste Tag, der Tag der Erschaffung des Lichtes.
Es ist der Gipfel der Ruhe: Gott machen lassen. In Seinem Wort und Sakrament.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.