Predigt über Jesaja 19, 17 – 24

Von | April 16, 2024
Claude Monet, Das Mohnblumenfeld (Der Heuschober)

von Pfarrer Sebastian Stork

Schwestern und Brüder,

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

17 Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. 18 Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; 19 und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, 21 welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. 22 Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. 23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. 24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

Jesaja 19, 17 – 24

Laßt uns beten: Herr, segne unser Reden und Hören, auf daß Dein Wort reiche Frucht bei uns bringe. Amen.

Wald heute ist das Ziel unserer Sehnsucht. Er ist unersetzlich zur Produktion von Sauerstoff. Er ist Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Insekten, die wir zum Überleben benötigen. Für Städter bedeutet Wald grüne Oasen, ohne die Leben in den Betonwüsten unmöglich wäre. Wald gehört zu den dringend benötigten Resten der bedrohten Natur. Ganz anders für Israel. Für Israel bot der Wald keine Nahrungsmittel. Vielmehr war der Wald das Zuhause wilder Tiere und für Räuberbanden. Die wollten den Israeliten ans Leben. Entweder brachten sie die Israeliten gleich um, oder sie klauten Schafe aus den Herden, dann starben die Israeliten an Hunger. Der Wald hatte keine Wege, er war ausgedehntes Hindernis bei jeder Art von Transport. Die Erfahrung Israels mit Wald wird in einem Satz zusammen gefaßt: Der Wald frißt mehr Leute als das Schwert (2Sam 18,8).

Am Beginn tauscht Jesaja also nicht Erholung gegen Lebensmittel. Sondern wo jetzt Gefahr und Tod herrschen, da werden bald Arbeit und Früchte sein. Und umgekehrt, was Arbeit und Können zuwege gebracht haben, wird bald von wilden Tieren und Wegelosigkeit geschluckt werden. Jesaja kündigt eine völlige Umkehrung der bestehenden Verhältnisse an.

Warum tut Jesaja das? Durch eine Ankündigung der Umkehr aller bestehenden Verhältnisse macht Jesaja sich alle etablierten Größen zum Feind. Wer so etwas tut, muß gute Gründe haben. Jesaja geht nicht seinem eigenen Vergnügen nach. Er hat einen Auftrag. Gott eifert für das Wohlergehen Seines Volkes. Und darum hat Jesaja die Aufgabe, die Umkehr der bestehenden Verhältnisse anzusagen. In der Hoffnung oder mit der Absicht, bei den Hörern eine Umkehr aus zu lösen.

Zwischenbemerkung.

Niemand muß auf das Wort der Propheten hören. Niemand muß umkehren und sein Leben ändern. Etwa der Libanon ist nicht bekannt dafür, auf das Wort der Propheten gehört zu haben. Es kommt hier nicht darauf an, den Libanon zu tadeln. Wir bleiben einfach bei dem Beispiel, das Jesaja nennt. Also, der Libanon hat nicht auf die Mahnung durch Jesaja gehört. Und die Folgen? Heute ist der Libanon weder Wald noch fruchtbares Land, sondern Ort von Krieg und Katastrophen, Korruption und wilden Müllkippen. Niemand muß auf das Wort der Propheten hören und sein Leben ändern. Aber das Nicht-Hören hat Folgen, und darunter leiden alle. Dann holt uns die Realität der gott-losen Welt ein, mit ihrer großen Auswahl an Ursachen zum Tod. Gott ist der einzige Schutz gegen den Tod in seine vielen Formen. Gottes Gebot ist der einzige Weg zum Leben. Das ist nicht ein Satz, den sich Pastoren ausgedacht haben, um anschließend mit dem Klingelbeutel herumzugehen. Diese Realität hat sich in vielen Beispielen immer wieder gezeigt, nicht nur im Libanon. Denn, schon richtig, Jesaja sagt Libanon und nicht Berlin-Mitte. Aber was unterscheidet uns von den Einwohnern des Libanon? Bringen Beton und Ringstrassen bessere Früchte hervor als Wald? Sind wir aufmerksamer als die Bewohner des Libanon, und leben wir gemäß dem Gebot Gottes? Es ist vielleicht richtig, aber doch nur eine bequeme Ausrede, auf andere zu zeigen. Die Mahnung und Aufforderung des Jesaja geht an uns. Sie ist heute so aktuell und so notwendig wie damals.

In den folgenden Versen behält Jesaja das Ereignis der Umkehr aller Verhältnisse bei. Aber jetzt verwendet er Beispiele nicht aus der Natur, sondern aus dem Verhalten der Menschen. Das erste Beispiel erzählt Jesaja. Wenn wir dem Schema aus Jetztzeit, Veränderung und folgender Zeit folgen, wie kennzeichnet Jesaja diese drei Realitäten?

Die Jetztzeit, oder die Gesellschaft um ihn herum wird geprägt von, ich zitiere, Tyrannen und Spöttern und Leuten, die Unheil anrichten, indem sie Leute schuldig sprechen vor Gericht, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen, und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor. Welche Personen in Israel meint Jesaja hier? Erster Verdacht, Jesaja redet von Leuten mit Geld. Die Leute haben Einfluß, sie können den Willen anderer überfahren. Diese Möglichkeiten lassen Geld vermuten. Aber Jesaja kennzeichnet die Angeredeten nicht als Pfeffersäcke oder Großgrundbesitzer. Sondern er bezeichnet sie als Tyrannen und Spötter. Bringen wir Tyrannen und Spötter mit Geld in Verbindung? Spötter machen Witze über alles, ihnen ist nichts heilig, Tyrannen zeichnen sich durch Brutalität und Mißachtung der Gesetze aus. Tyrannen und Spötter sind Leute, die von dem Wort Gottes nicht erreicht worden sind. Das wird bestätigt durch die Leute, die Unheil anrichten. Dieses Unheil besteht darin, daß diese Täter des Unheils anderen Leuten ihr Recht vorenthalten. Das Recht in Israel ist die Satzung des Bundes, die Mose auf dem Berg Sinai von Gott bekommen hat. Unrecht in Israel ist daher immer Verstoß gegen Gottes Gebot. Also Tyrannen, Spötter und Leute, die Unheil tun, damit versammelt Jesaja Leute, die Gottes Wort mißachten.

Wie kennzeichnet Jesaja die Veränderung? Jesaja sagt lediglich, jetzt wieder wörtlich, es wird ein Ende haben mit den Tyrannen, Spöttern und Tätern des Unheils. Einzelheiten über diesen Vorgang gibt Jesaja nicht preis. Aber wir erfahren die Folgen, und damit die Kennzeichen der veränderten Zeit. Ich wiederhole: 18 Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; 19 und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.

In Dunkelheit sehen weder Blinde noch Sehende. In Dunkelheit sehen zu können, dabei geht es nicht um Sehen wie es die Physiker beschreiben. Taube können lesen. Wörter sind ihnen nicht verschlossen. Die Veränderung besteht darin, daß die Tauben die Worte des Buches hören. Jesaja redet nicht von physikalisch oder medizinisch Blinden und Tauben. Er redet von Leuten, die bislang das Wort Gottes weder gesehen noch gehört haben. Das Kennzeichen der veränderten Zeit oder Gesellschaft ist das Hören auf das Wort Gottes. Auch das wird bestätigt durch die weiteren Gruppen, die Jesaja nennt. Die Elenden und die Ärmsten sind gekennzeichnet durch ihre Abhängigkeit von Gott und durch ihr Vertrauen zu Gott. Ich zitiere Ps 9: Ps 9,10 Vnd der HERR ist des Armen schutz / Ein schutz in der not. 11 Darumb hoffen auff dich / die deinen Namen kennen / Denn du verlessest nicht / die dich HERR suchen.

Das erste Beispiel aus der Gesellschaft, in der Jesaja eine Umkehr aller Verhältnisse schildert, besteht darin, daß Gottes Wort mißachtet wurde, nach der Umkehr aber geachtet wird.

Das letzte Beispiel für eine Umkehr der Verhältnisse wird durch Gott selber vorgetragen: 22 Darum spricht der HERR, […], zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. 23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. 24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

Hier hören wir, die Jetztzeit ist gekennzeichnet durch einen beschämten Jakob mit erblassendem Angesicht, weiterhin durch Leute, die irren und solche, die murren. Die hinteren erkennen wir sofort: irren und murren, darin ist Israel richtig gut, auf dem Weg durch die Wüste, bei der Eroberung des gelobten Landes, bei der Errichtung des Königtums, genau so unter den Königen, zu allen Zeiten hat Israel was zu meckern. Und auch irren tut Israel ständig, sie halten sich für klug, aber sie bringen sich ständig in Schwierigkeiten, sie wählen Bundesgenossen, die sich als Betrüger herausstellen, sie wählen Vorbilder, die sich als Trugbilder erweisen, sie wählen Verhaltens-Regeln, die Mangel und Tod hervorbringen.

Jakob, jeder weiß es, ist der Stammvater Israels. Hier ist nicht gemeint die historische Person Jacob, sondern Jacob als Abbild des ganzen Volkes Israel. Wann steht jemand beschämt? Wenn sich herausgestellt hat, daß er weniger klug ist, als er selber meint? Wann wird ein Gesicht blaß? Wenn alles Blut daraus weicht, bis alles Leben verschwunden ist? Das ist die Realität, die Gottes Wort in Seinem Volk feststhält. Die veränderten Verhältnisse bestehen darin, daß alle diese Beeinträchtigungen des Volkes Gottes aufgehoben werden. Beschämung und Erblassen geschehen nicht mehr. Die Glieder des Volkes Gottes werden nicht mehr irren, sondern Verstand annehmen, und nicht mehr murren, sondern Belehrung annehmen.

In diesem Beispiel für die Umkehr aller Verhältnisse erfahren wir auch etwas über das Ereignis der Umkehr. Der Grund oder der Auslöser der Umkehr ist, daß die Werke der Hände Gottes gesehen werden.

Zwischenbemerkung.

In der Übersetzung steht etwas unpassend an dieser Stelle ihre Kinder. Vermutlich ist den meisten aufgefallen, daß die Beschreibung der Umkehr unversehens von Jakob im Singular zu sie in ihrer Mitte im Plural wechselt. Dieser Wechsel ist auch schon den Schreibern des biblischen Textes aufgefallen. Dann steht Jakob hier als Platzhalter für alle Israeliten, auch ein Plural. Darum haben die Schreiber des Textes Jakob erweitert mit dem Ausdruck ihre Kinder. Die Ergänzung stand erst am Rand und ist dann in den Text eingefügt worden, aber nicht an der gewollten Stelle. Darum liest sich die jetzige Fassung etwas holprig. Darüber brauchen wir uns nicht zu lange aufzuhalten. Wir lesen, Jakob und seine Kinder werden sehen die Werke meiner Hände, das gibt die Aussage des hebräischen Textes gut wieder.

Ungleich wichtiger, mit dieser Beschreibung der Umkehr der Verhältnisse ergibt sich eine drängende Frage.

Die Täter von Unheil haben Konjunktur, die Spötter und Tyrannen ebenso oder mehr. Gottes Volk steht vielleicht nicht gerade beschämt, aber sicher unbeachtet. Der Heilige Jakobs wird nicht geheiligt, und der Gott Israels wird nicht gefürchtet. Die Umkehr aller Verhältnisse ist nicht eingetreten. Drängende Frage: Fehlen die Werke der Hände Gottes, die diese Umkehr bringen sollen? ist Gott etwa untätig?

Die meisten werden schon erkannt haben, daß diese Frage an den Versen vorbei geht. Es geht nicht um Gottes Tätigkeit oder Un-Tätigkeit. Der Grund für die Umkehr aller Verhältnisse, von Irren zu Verstand, von Murren zu Belehrung, ist unser Sehen der Taten Gottes.

Über die Taten Gottes haben wir schon gesprochen. Der Stoff, der Teile des Libanon zerstört hat, heißt Ammoniumnitrat. Der Stoff ist als Dünger erfunden worden, kann aber auch als Sprengstoff genutzt werden. Der Stoff sagt uns nicht, ob er lieber als Dünger oder Sprengstoff genutzt werden will. Es ist Gottes Wort allein, das uns in dieser Entscheidung anleiten kann. Wenn der Stoff richtig behandelt wird, explodiert er auch nicht. Erst wenn Korruption die Vorsicht tötet, dann bleiben nur noch Trümmer. Auch diese Wahl zwischen Vorsicht und Vorteilnahme geht nicht aus der Chemie hervor. Auch hier hilft die Anleitung durch Gottes Wort allein. Gottes Herrschaft ist schon nahe herbeigekommen. Wir müssen ihr nur Raum geben.

Noch eine Zwischenbemerkung.

Ein Grund, warum wir heute Schwierigkeiten haben, Gottes Werke zu sehen, ist, wir gucken an der falschen Stelle. Viele meinen, Glaube wäre dann ausgeprägt, wenn wir intensive Gefühle der Gottesnähe oder Gottesliebe haben. Diese Vorstellungen sind nicht biblisch und auch nicht lutherisch. Für alle, die es genau wissen wollen, diese Vorstellung von Glaube kommt aus der Aufklärung und der Romantik. Es ist nicht unser Tun, auch nicht unsere Gefühlswelt, durch die wir Gott nahe kommen. Gott kommt uns nahe in Seinem Wort, in den Vergegenwärtigungen des Heils, die Er gestiftet hat. Wenn wir in diesen Ereignissen Seine Gegenwart erfahren, dann kommt das Herzklopfen ganz unvermeidlich dazu.

Schwestern und Brüder, murrt nur Israel, aber wir nicht? Kaum lesen wir einen Satz in Schrift und Bekenntnis, der in der heutigen Gesellschaft nicht mehr verstanden wird, sofort murren wir und wollen was anderes, und zwar etwas, das uns zu Lieblingen der säkularen Gesellschaft macht. Irren wir nicht? Es braucht nur einer daher zu kommen, und zu sagen, ich weiß was Moderneres als eure Tradition, schon gibt es lautstarke Initiativen, die Tradition abzuschaffen. Wir machen unseres Herzens Härtigkeit wie Beton, und wundern uns, daß keine Früchte wachsen? Zeichnen wir uns durch Treue zu Gottes Wort und Taten aus? In unseren Köpfen treiben sich so viele wechselnde Vorbilder herum wie Autos auf Berlins Ringstrassen.

Niemand muß auf das Wort der Propheten hören. Niemand muß umkehren und sein Leben ändern. Sind wir bekannt dafür, die Mahnung der Propheten zur Umkehr gehört und durchgeführt zu haben? Gottes Anruf und Aufforderung auszuweichen ist bequem. Aber niemandem ist damit geholfen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der uns in Wort und Sakrament gegeben ist, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.