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Vieles nimmt uns den Atem heutzutage – neuerdings die Energiepreise. Als ich mich bereit erklärte, zum Thema „Gebet“ einen Vortrag zu halten, war es die Corona-Krise, und alles, was damit zusammenhängt. Seit Jahren müssen wir uns in der Bezirkssynode mit so genannten Strukturänderungen befassen. Das kann einem den Atem nehmen.
Wir können allen diesen Themen ja nicht ausweichen, weil wir als Christen in unseren Gemeinden und als Gemeinden in unserem Bezirk und unserer Kirche durch den Glauben verbunden sind. Der Glaube braucht Luft zum Atmen. Unsere Kirche lehrt völlig richtig, daß der Glaube aus der Predigt des Wortes Gottes kommt. Und vom Wort Gottes können wir nicht genug hören!
Heute aber möchte ich über das Gebet sprechen.
Das Gebet hat es in sich. Es wird unter uns Christen einfach vorausgesetzt, daß man betet. Bei allem, was wir in der Gemeinde, auch als Pastoren!, tun, wird stillschweigend mitgedacht: Das Gebet gehört dazu, es wird gebetet. Aber was ist, wenn ein Christ aber irgendwie nicht beten kann? Was ist, wenn aus welchen Gründen auch immer, nicht gebetet wird? Muß man sich dann damit abfinden? Überhaupt: Was passiert, wenn das Gebet vernachlässigt wird? Wenn wir Finanzen oder Gebäude vernachlässigen, dann macht sich das früher oder später bemerkbar, und jeder wird einsehen: Da wurde was vernachlässigt! Aber beim Gebet? Was, wenn das vernachlässigt wird? Empfindet man das überhaupt als eine Not, wenn man nicht betet, oder nicht beten kann? Ich kenne die Not. Auch die Not, daß man die Not nicht empfindet.
Es ist ganz ganz selten gewesen, daß ein Gemeindeglied zu mir gekommen ist, und gesagt hat: Herr Pastor, helfen Sie mir, ich kann nicht beten! – Bedeutet das deshalb, daß alle in der Gemeinde beten? Daß viele oft beten – davon bin ich überzeugt! Aber daß alle immer beten? Das glaube ich nicht.
Ich möchte heute mit allen über das Gebet sprechen: Mit denen, die beten, und mit denen, die fest überzeugt sind, daß sie es nicht können, oder nicht brauchen, oder wie auch immer.
Es soll unter 4 Überschriften geschehen:
- Realitäten,
- Göttliche Notwendigkeit,
- Hilfe,
- Du stehst nicht vor dem Nichts!
REALITÄTEN
Am besten man fängt mit Realitäten an, denn sonst hört man sich schöne Dinge an und denkt dabei: Aber irgendwann holt die Realität dich ein. Meine Überzeugung ist, daß Beten sehr realistisch ist. Ja, Beten ist das realistischste, was ein Mensch tun kann und tut.
Das ist eine gewagte Aussage. Denn eine Realität will man sehen, aber das Gebet ist unsichtbar; man will etwas mit Händen greifen, aber Gebet gibt mir ja nichts direkt in die Hand.
Welcher Realismus kann denn gemeint sein? Fangen wir mit einer ganz einfachen Realität an:
a. Du bist nicht Gott, sondern Geschöpf
Na, wer hätte das gedacht? Du bist nicht Gott. Denn wer Gott ist, der braucht nicht zu beten. In der Annenstraße hatten wir mal am Karfreitag einen Gast, der mit uns über den Glauben sprechen wollte. Er stellte sich als Moslem vor. Er sagte: Der Mensch soll ehrlich sein: Er will Gott sein. Das kann man im Islam werden. Ich glaube nicht, daß das so stimmt. Aber interessant war folgendes: Ein Gemeindeglied fragte sehr freundlich: „Mich interessiert, um was Sie im Gebet bitten. Wir Christen bitten Gott wie einen Vater um das, was wir brauchen.“ Der Mann konnte mit der Frage und der Aussage nichts anfangen. Bitten? Gott, den allmächtigen, über alles erhabenen, allwissenden Gott – bitten? Also etwas haben wollen, was man nicht hat, und zwar von Gott? Er konnte nur davon sprechen, daß man Gott anerkennt und preist. Aber bitten? Das war ihm ein Rätsel, ja, vielleicht sogar eine Dummheit.
Es ist eine große Realität, an der wir nicht vorbeikommen: Ich bin nicht Gott. Psalm 100 spricht es aus: „ER hat uns gemacht, und nicht wir selbst …“ Du bist nicht Gott, du wirst auch niemals Gott werden. Damit bist du aber nicht nichts, oder unbedeutend. Du bist Geschöpf, und Gott ist dein Schöpfer. Darum finde ich gut, was der Neutestamentler Klaus Berger festhält über das Gebet:
„Jedes Gebet ist zunächst einmal Anerkennung Gottes und darin ein Stück Reparatur der Welt, in der die meisten Menschen gottvergessen dahinleben.“ (Klaus Berger, 2010) Ein äußerst realistischer Satz! Er besagt: 1. Gott ist – 2. ich bin nicht Gott, aber 3. im Gebet erkenne ich Gott an. Die Welt ist reparaturbedürftig, weil sie Gott vergessen hat. Mit jedem Gebet tritt etwas mehr Realismus ein: Die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf.
b. Als Geschöpf bist du bedürftig
Als Geschöpf bist du bedürftig. Du lebst, und zum Leben brauchst du allerhand. Essen und Trinken, Schutz, Liebe. Jesus sagt: Gott der Vater hat das Leben in sich selber (Johannes 5, 26), der Schöpfer lebt aus sich selbst. Das Geschöpf aber nicht. Um zu leben, brauche ich dringend und ständig Dinge, die nicht in mir sind, und doch Teil von mir werden müssen. Als Geschöpf bin ich empfangend. Ganz und gar. Am Essen und Trinken wird das sofort deutlich, oder am Atmen. Aber auch die Seele ist ein Geschöpf. Die Seele braucht Ansprache, Liebe, Vertrauen, Grund zur Freude. Diese Dingen kommen als Gaben von außen zu uns.
Es ist höchster Realismus, wenn Paulus sagt: „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ (1. Korinther 4, 7). Ob wir diese Frage mögen oder nicht, sie ist realistisch. Mein Leib hat Moleküle, die ich als Speise zu mir genommen habe. Meine Seele hat Kenntnisse und Erfahrungen, die mir geschenkt wurden.
Nun könnte man sagen: Das ist ja im Grunde die ganze Realität: Erst Gott der Schöpfer, dann ich als sein Geschöpf, und drittens die Gaben, die Gott mir zum Leben schenkt. Das ist die ganze Realität, denken wir.
Entweder bekomme ich in dieser Realität das, was ich brauche: das wäre eine gute Realität – oder, und das wäre eine bittere Realität – ich bekomme es nicht. Das wäre eine Not.
Doch das ist eben nicht die ganze Realität! Es kommt noch eine weitere Realität dazu, die für das Gebet entscheidend ist – und zugleich für jeden Menschen unausweichlich. Jeder wird das sofort einsehen, denn wir befinden uns gerade sehr intensiv in dieser Realität:
c. Sprache
Es ist die Realität der Sprache. Ich rede und ihr hört gerade zu. Wir haben eben über große Realitäten gesprochen und gehört. Das geht nur mit Sprache. Sprache ist eine ganz besondere Realität. Ohne Sprache könnten wir nicht darüber sprechen oder nachdenken, was wir als Geschöpfe zum Leben brauchen oder haben. Die Not, wie zum Beispiel der Hunger oder die Einsamkeit, wäre ein Schmerz, und sprachlose Instinkte würden alles tun, die Not zu beenden. Tiere leben so. Menschen manchmal auch, aber wir jetzt gerade nicht. Sprache hat es in sich, nicht nur Situation zu sein. Wir sind nicht nur hungrig oder satt, nicht nur in Sicherheit oder in Gefahr. Wir sprechen auch. Darüber könnte man noch viele Worte machen. Mir ist jetzt nur wichtig, daß wir die Sprache als unausweichlichen und Notwendigen Teil unserer Realität erkennen.
Ohne Sprache könnten wir weder bitten noch danken. Die stummen Gesten des Bittens und Dankens leben davon, daß wir in der Sprache zuhause sind. Sprache unterscheidet uns vom Instinkt.
Aber auch in der Sprache leben wir wie Geschöpfe: Wir sind darauf angewiesen, daß man uns anspricht. Kinder lernen Sprache durch Ansprache. Wir verlassen uns darauf, daß man uns versteht, oder wenigsten verstehen möchte. Sprache ist so. Wir sind von ihr abhängig.
Ich glaube irgendwie, daß das, was ich denke, irgendwie bei euch ankommt. Und Ihr glaubt irgendwie, daß das, was bei euch ankommt, von mir auch so gemeint ist. Mißverständnisse bestätigen die Regel. Wir sind der Sprache ausgeliefert.
Darum sind Lügen ja so furchtbar; sie mißbrauchen das Vertrauen, das wir in die Sprache setzen, weil es anders gar nicht geht. Lügner verlassen sich darauf, daß alle anderen die Wahrheit sagen. Sonst würde man ihnen ihre Lüge ja nicht abnehmen. Die Sprache ist eine wunderbare, große Gabe des Schöpfers. Wir sind Gottes sprachlichen Geschöpfe.
Diese Realitäten: Schöpfer, Geschöpf, Sprache, sind die Grundlage für meine These, daß Beten realistisch ist. Denn was ist ein Gebet anders als: Ein Geschöpf mit Sprache spricht mit seinem Schöpfer.
d. Beispiel aus dem Neuen Testament
In der Bergpredigt spricht Jesus wiederholt über das Gebet. „Welcher ist unter euch Menschen, wenn ihn sein Sohn bittet ums Brot, der ihm einen Stein biete?“ (Matthäus 7, 9). Da haben wir die Ursituation. Dein Kind ist ein Geschöpf und ist bedürftig. Es ist ein sprachliches Geschöpf und bittet. Wir sind uns alle einig, daß in der Situation ein Stein statt eines Brotes nicht nur ein Mißverständnis wäre. Es wäre eine schäbige und unmenschliche Verletzung und Enttäuschung. Der Sohn kann nicht anders, als sich darauf zu verlassen, daß der Vater ihn versteht, und weiß, was er meint. Als sprachliche Geschöpfe wären wir empört über so einen Vater. Und jetzt kommt’s: „Wenn ihr, die ihr doch fragwürdig seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt – wieviel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten?“ – Jesus ruft seine Hörer nachdrücklich in den Realismus des Gebets hinein. Im Grunde sagt er ja: Wenn es schon funktioniert, daß ein Sohn seinen Vater bittet, dann doch erst recht, wenn ein Kind Gottes seinen himmlischen Vater bittet. Ja, Jesus fragt uns: Oder bist du besser als Gott? Ist Gott unzuverlässiger, als du? Wenn es also realistisch ist, dich zu bitten, dann ist es um Lichtjahre mehr realistisch, Gott zu bitten!
Und was sagst du jetzt?
GÖTTLICHE NOTWENDIGKEIT
Was ich bis jetzt versucht habe, in ein paar Gedankengängen zu zeigen, sagt uns unser Glaube klar und deutlich. Beten ist nicht nur realistisch, sondern eine Notwendigkeit. Gott will das Beten von uns haben.
a. Das 2. Gebot im Katechismus
„Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht mißbrauchen!“ Gott gibt seine Kontaktdaten weiter, seinen Namen. Gott ist erreichbar, ansprechbar. Gott hat sich bekanntgemacht. Was machen wir mit Gottes Namen? Ein Name steht für eine Person. Wir brauchen diesen Kontakt zu Gott angemessen, wenn wir als sprachliches Geschöpf mit unserem Schöpfer reden. „Wir sollen Gott in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.“ Das ist ein Gebot. Es ist nicht eine Frage des Geschmacks, der Laune oder der Neigung. Wir kommen nicht daran vorbei. Wenn wir beten, tun wir Gottes Willen. Und das bedeutet: Wir werden kein Gebet bereuen, und jedes versäumte Gebet bereuen. Bei allem, was uns den Atem nimmt, oder belastet, und ratlos macht, wird Gott uns immer sagen: „Du hattest meinen Kontakt, hast du mich angerufen? Ich wäre von meiner Seite für dich da. Ganz. Von deiner Seite muß das Gebet kommen. Du hast meinen Kontakt,“ sagt Gott, „ruf mich an!“
b. Jesus lehrt beten
Jesus lehrt beten. Wir haben schon davon gehört. Wir haben das Vaterunser von ihm. Jede Zeile im Vaterunser führt uns dahin, das wir wieder zu einem Geschöpf vor unserem Schöpfer werden. Das Gebet richtet sich an Gott, aber es tut auch etwas mit uns. Jede Bitte im Vaterunser unterstreicht alle Aussagen, die ich bis jetzt gemacht habe.
Auf jeden Fall aber lehrt Jesus seine Jünger zu beten, weil sie es sollen. Jesus bestätigt das Gebot: Betet! Es ist eine Notwendigkeit! Wir haben keine Wahl. Jesus lehrt uns nichts Überflüssiges. Wenn wir bei diesen Worten eine Not fühlen, dann will Jesus das. Denn sein Ziel ist, daß wir beten.
c. Gott verheißt Erhörung
„Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ (Psalm 50, 15). Zu Recht ein beliebter Vers. Die Bibel ist voll von Verheißungen und Einladungen Gottes zum Gebet. So auch der Wochenspruch: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.“ (Psalm 66, 20). „Du erhörst Gebet, darum kommt alles Fleisch zu dir.“ (Psalm 65, 2).
Ein frommer Theologe des 18. Jahrhunderts, Friedrich Christoph Oetinger, hat einmal gesagt: „Beten ist mit Gott wirken.“ Das ist eine erstaunliche Aussage. Das ist aber das Ergebnis und das Ziel von Gottes Verheißung und unserem Gebet. Die Verheißung rundet die göttliche Notwendigkeit des Gebets ab.
Gott nimmt uns ernst, wenn wir beten. Denn Gott meint alles, was er sagt. Wir sollen beten, und er will uns hören. Wer nicht betet, der nimmt Gott nicht ernst. Wer das Gebet unterschätzt, der unterschätzt Gott selbst.
ES GIBT HILFE
Nun kann man mit Recht fragen: Ist das denn noch eine „Ermutigung zum Gebet“, wenn alles so ernst ist? Nun, eine Ermutigung taugt nur so viel, wie sie Realitäten ins Auge blickt!
Trotzdem! Es gibt Hilfe, und sie ist schon da – oder, sie ist unterwegs, jedenfalls nicht weit!
a. Gott eröffnet das Gespräch.
Es wird gerne gesagt: „Beten ist ein Gespräch mit Gott.“ Das ist es auch! Ganz entscheidend für ein Gespräch ist nicht nur das Reden, sondern ebenso auch das Hören. Das Christliche Gebet geschieht niemals so, als würden wir Gott nicht kennen, als würden wir nichts von ihm wissen, als hätte Gott nicht schon gesprochen. Gott eröffnet das Gespräch. Unser Gebet antwortet darauf, und bezieht sich darauf. So heißt es denn auch in Psalm 27, 8: „Mein Herz hält dir vor dein Wort: „Ihr sollt mein Antlitz suchen.“ Darum suche ich auch, HERR, dein Antlitz.“ – Mein Herz hält dir vor dein Wort: Das gehört zum Gebet dazu! Gott, du hast es gesagt! Gott, ich nehme dich bei dem, was du gesagt hast! Gott, so ist es doch, oder??
Gott hat sich mitgeteilt. Zuverlässig und deutlich. Als Schöpfer, in seinem Sohn, und im Heiligen Geist. Aus der Bibel wissen wir, wie Gott ist, und was er tut. Als Dr. Martin Luther einmal gebeten wurde: Wie soll man beten? , hat er geraten, das anhand des Katechismus zu tun. Eine gute Übung! Man kann zum Beispiel bitten, daß die 10 Gebote gehalten werden. Das klingt jetzt furchtbar trocken, wenn nicht sogar langweilig. Aber Wenn ich um Gottes Schutz und Segen bitte, dann gehört auf jeden Fall dazu, daß ich Gott bitte, das Menschen die Gebote halten, mich nicht töten, nicht belügen, nicht bestehlen. Das gilt für mich natürlich auch!
Und ein Christ kann auch nicht so beten, als gäbe es keine Vergebung. Oder ist Jesus etwa nicht gekommen? Wir können doch nicht so beten, als wäre Jesus nicht gekommen!
Oder im Gebet so tun, als gäbe es keine Hoffnung im Angesicht des Todes?
Vielleicht hast du Schwierigkeiten mit dem Gebet, weil du nicht ausreichend hörst?
Gott hat schon angefangen! Er hat nicht nur gesprochen und gehandelt, er hat sein Wort auch aufschreiben lassen, er läßt es predigen und auslegen. Gott spricht uns an mit dem Ziel, daß wir ihn beim Wort nehmen, und antworten. Ihn beim Wort nehmen, und ihn bitten, Sorgen auf ihn werfen. Solch ein Gebet ist niemals wie eine Münze in einem übergroßen Glückautomaten, im Sinne von: „Mal gucken, was dabei herauskommt!“
b. Gott ist in Vorleistung gegangen
Ich sprach vorhin davon, daß wir in der Sprache leben, wie ein Fisch im Wasser, meistens ohne uns dessen bewußt zu sein. Als Geschöpf mit Sprache sollten wir auch Psalm 94, 9 bedenken: „Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören? Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?“ Während wir hören, haben wir Zweifel, ob Gott uns hört – dabei hat Gott das Ohr erdacht und geschaffen! Wenn jemand hören kann, dann Gott!
WER BETET, FÄNGT NICHT BEI NULL AN
a. Wer betet, fängt nicht bei Null an: Erstens
Wer sprechen kann, der kann auch beten. Keine Diskussion. Warum? Weil alle Sprache sowieso bei Gott ankommt. Sagt nicht Psalm 139, 4: „Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wissest.“ Was wir mit der Sprache machen, hat Gott schon gehört, und zwar deutlicher und intensiver, als wir es gesagt oder gedacht haben. Es kommt nur darauf an, daß wir auf Gott zielen dabei. Also: Du betest schon mehr, als du denkst! Aber wie!
b. Wer betet, fängt nicht bei Null an: Zweitens
Wer betet, ist niemals allein. Wer betet ist in dem Moment umgeben von unzähligen Betern. Jemand betet einen Psalm oder ein Vaterunser zu jedem Zeitpunkt. Wenn du gerade nicht beten kannst, dann betet jemand für dich. Wenn du nicht beten kannst, dann setz dich zu denen, die beten. Paulus sagt ganz offen: „Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“ (Römer 8, 26). Der Heilige Geist ist ein betender Geist, der in uns betet. Er hilft uns auf jeden Fall.
Die Gemeinschaft der Beter ist schon da – alle Erfahrungen, die wir machen, haben unzählige schon vor uns gemacht. Der Heilige Geist hat schon angefangen deine Gebetsstelle offen zu halten. Mit einem Seufzer bist du dabei!
Es gibt aus der russischen Kirche einen berühmten Text von einem Beter, der damit Ernst machte, „ohne Unterlaß“ zu beten. Er hatte die Sehnsucht danach, unter allen Umständen zu beten, und alles dabei vor Gott zu bringen. In den „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“ gibt es eine Ermutigung zum Gebet, die atemberaubend ist. Ein lutherischer Theologe könnte das nicht so sagen, wie er es sagt. Aber er spricht aus Erfahrung, und diese Erfahrung könnte uns zugute kommen!
- Bete und denke alles, was du willst, und dein Denken wird durchs Gebet geläutert werden. Das Gebet wir deinen Geist erleuchten; es wird alle abwegigen Gedanken vertreiben und dich beruhigen. …
- Bete und tue, was du willst, und deine Werke werden Gott wohlgefällig sein, dir selber aber nützlich und heilbringend! Häufiges Beten, gleichviel worum es geht, bleibt nicht ohne Frucht, denn in ihm selbst ist eine heilbringende Kraft beschlossen. ‚Heilig ist Sein Name, und jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet‘ (Apg 2, 21). …
- Bete und bemühe dich nicht, aus eigener Kraft deiner Leidenschaften Herr zu werden. Das Gebet wird sie in dir zunichte machen. ‚Der in euch ist, ist größer als der Welt ist‘, sagt die Heilige Schrift (1 Joh 4,4). …
- Bete und fürchte nichts. Fürchte dich weder vor Unglück noch vor Unheil – das Gebet wird dir zur Abwehr dienen und alles abwenden. Denke an den kleingläubigen Petrus, da er am Ertrinken war (Mt 14, 30-31), an Paulus als er im Gefängnis betete (Apg 16, 25), …
- Bete nur irgendwie, aber immer, und laß dich nicht verwirren! Sei fröhlich im Geiste und ruhig: Das Gebet wird alles machen und dich unterweisen. …. ‚Irgendwie zu beten, liegt in unserer Macht; aber rein zu beten ist ein Geschenk der Gnade.‘ Also, was in deiner Macht ist, das bringe Gott dar; bringe wenigstens die dir mögliche Anzahl (der Gebete) dar – ihm als Opfer, und Gottes Kraft wird sich in deine Ohnmacht ergießen …
Ein Philosoph aus Südamerika, der überzeugter katholischer Christ war, hat nachdenkenswerte Sätze über das Gebet formuliert. Sie mögen zum Weiterdenken – und Beten! – ermutigen:
- Das Christentum lehrt nicht, daß das Problem eine Lösung habe, sondern daß das Flehen eine Antwort erhalte.
- Die einzige Vorsichtsmaßnahme ist es, beizeiten zu beten.
- Die Religionen verkümmern, wenn die Bittgebete aufhören.
- Nur im Niederknien drückt sich die Wahrheit des Menschen aus.
- Das einzig Sinnvolle ist es, Gott starrsinnig mit unseren Gebeten zu belästigen.
- Solange der Mensch fähig ist niederzuknien, ist nichts verloren.
- Beten ist der einzige Akt, auf dessen Wirksamkeit ich vertraue.
- Das Gewicht dieser Welt läßt sich nur tragen, wenn man niederkniet.
Nicolás Gómez Dávila
(1913 – 1994)