14. Sonntag nach Trinitatis

Von | September 27, 2025
Gemälde an der Unterseite der Empore der Stiftskirche St. Lambrecht (Steiermark): Jakobs Traum Himmelsleiter

Predigt Pfarrer Hillermann
21.09.2025

Gnade, Barmherzigkeit, Friede
von Gott, dem Vater,
und Christus Jesus, unserm Herrn!

10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran
11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.
13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.
15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wußte es nicht! 17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goß Öl oben darauf
19 und nannte die Stätte Bethel; vorher aber hieß die Stadt Lus.
20 Und Jakob tat ein Gelübde und sprach: Wird Gott mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen
21 und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der HERR mein Gott sein.
22 Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Steinmal, soll ein Gotteshaus werden; und von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.

1. Mose 28, 10-22

Gebet: Allmächtiger Gott, segne Dein Wort an uns; Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

Liebe Gemeinde!

Gottes Wort bleibt in Ewigkeit.  Gott hat aufzeichnen lassen, was Jakob vor gut 3500 Jahren erlebt, ja geträumt hat, und das ist bis heute Wirklichkeit.

Du und ich, wir, die wir hier im Namen Jesu, des Sohnes Gottes, versammelt sind, und uns vor Gott und der Welt zu ihm bekennen, wir sind Teil genau der Wirklichkeit, die wir aus dem Ersten Buch Mose hören. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist nicht nur unser Gott, sondern realer als alles, was wir sonst hören und sehen.

Es ist meine Aufgabe als Prediger und Ausleger der Heiligen Schrift, das klarzustellen. Aber diese heiligen Worte müssen nicht klargestellt werden, weil sie unklar sind. Die Unklarheit ist ganz und gar und nur auf unserer Seite.

Die Heilige Schrift spricht nicht nur über vergangene Realitäten, schon gar nicht nur über vergangene menschliche Auffassungen von Realitäten, sondern wenn Gott spricht, dann ist sein Wort so groß, wie Er selbst.

Wir hören, daß Jakob träumt. Was ist schon ein Traum?

Doch dieser Traum ist realer, als alles, was wir im wachen Zustand sehen und hören. Diese Erkenntnis muß das Ergebnis dieser Predigt sein.

An Jakob zeigt Gott sich, wie Er handelt und wie Er ist. Das ist der Gott, zu dem wir heute hier in der Annenstraße gekommen sind. Das ist der eine Gott, der zu uns kommt.

Jakob zog aus von Beerseba, hören wir.

Er mußte weg. Er hatte seinen Vater Isaak und seinen Bruder Esau betrogen. Isaak war der Träger des einen Gottessegens für die Menschheit. Gott hatte sich an die Familie Abrahams gebunden. Isaak war der Sohn Abrahams. Nun sollte der Segen  – der uns heute im Gottesdienst erreicht! – von Isaak auf die nächste Generation weitergehen. Esau war der ältere Zwilling. Esau sollte den Segen weitertragen. Doch Jakob und seine Mutter Rebekka täuschten den alten Isaak, der blind war. Isaak übertrug den Segen auf Jakob, den jüngeren Sohn.

Esau war sauer. Aber gesegnet war gesegnet!  

Jakob mußte weg.

Betrug, Lüge, Täuschung  – das reißt einen Menschen aus allem raus. Jakob flieht. Es ist eine seltsame Mischung aus Segen und Schuld. Ohne Wahrheit kann kein Mensch leben. Wer lügt, wer täuscht, kann gegen die Wahrheit nicht gewinnen. Die Sünde wirft Jakob aus allen Zusammenhängen, die sein Leben an Leib und Seele schützen, heraus.

Was wird nun aus dem Segen? Wußte Gott denn nicht, worauf Er sich einläßt, wenn Er mit Menschen Geschichte macht? Ist nicht „das Dichten und Trachten des Menschen böse von Jugend auf?“  (1. Mose 8, 21).

Segen ist das, was von Gott kommt, und was du dir selbst nicht geben kannst, was aber lebensnotwendig ist.

Die Frage nach dem Segen muß gestellt werden, und sie muß auch eine Antwort bekommen.

Jakob hat den Segen gänzlich in Frage gestellt. Sünde macht Segen unerreichbar. Für den Leib und für die Seele. Alles wird ihm fremd, er ist aus allem raus. Alles, was selbstverständlich war – bis dahin, daß er zuhause ein Bett hat – das ist nun fraglich, nein: unerreichbar.

Sünde und Segen schließen sich gegenseitig aus.

Liebe Gemeinde, das war zu Jakobs Zeiten war, und das ist heute wahr. Segen ist eine unsichtbare Größe, die realer ist, als Schwerkraft und Chemie.

Es wird Nacht. In der Dunkelheit, im Schlaf muß Jakob sich irgendwem anvertrauen. Er kann sich nicht schützen. Wem vertraust du dich an, wenn du schlafen gehst? Wem dankst du, wenn du aufwachst?

Wem vertraust du, wenn du nicht sehen, nicht hören, nicht denken kannst? Wir nehmen doch nur einen verschwindenden Bruchteil der Wirklichkeit wahr – und vertrauen doch einfach, daß es schon weitergeht, nicht nur weitergeht, sondern gut wird – wir rechnen einfach mit Segen.

Jakob kann nicht anders, als vertrauen, als er sich schlafen legt. Einen Stein richtet er auf, der soll das Schlimmste von seinem Kopf fernhalten.

Er schläft, er träumt. Er macht den Traum nicht, der Traum widerfährt ihm. Jakob kann sich gegen den Traum nicht wehren, nicht über ihn bestimmen. Theologisch ausgedrückt: Dieser Traum ist eine Erfahrung des unfreien Willens. Über das Entscheidende entscheidest du nicht. So wie du dir deinen Namen nicht selbst gegeben hast, sondern deine Eltern, so wie du eine Person geworden bist, weil man dich angesprochen, gerufen, und geliebt hat – so ist es auch vor Gott. Er tut alles. Er ist frei. Du empfängst. Es widerfährt dir.

Das war zu Jakobs Zeiten wahr. Das ist heute wahr. Es mag verborgen sein, aber es ist dennoch realer, als alles, was du hörst und siehst und denkst.

Dieser Traum ist nicht irgendein Traum. Jakob hat sicher noch viele Träume gehabt. Aber diesen Traum durfte er nicht vergessen. Die Menschheit darf in nicht vergessen. Darum macht Jakob ihm ein Denkmal. Ja, Jesus selbst erinnert an diesen Traum und sagt dazu „Amen, Amen!“  – darüber später noch mehr.

Doch haltet das jetzt fest: Dieser Traum eines Flüchtlings aus eigener Schuld, vor 3500 Jahren, Luftlinie 3000 km enfernt – dieser Traum hat mehr Realität, als alles, was du jetzt siehst, hörst und denkst.

Jakob sieht die Realität: Eine Leiter von der Erde zum Himmel. Himmel und Erde sind nicht getrennt. Gottes Welt ist nicht weit weit weg. Das, was dich geschaffen hat, und dich meint, und dich unendlich wichtig macht, das, was alle Fragen beantwortet, alles erklärt, alles in Liebe und Frieden ankommen läßt – denn das ist Gottes Himmel – das alles nicht getrennt von dem Teil der Erde, den du einnimmst, sondern verbunden.

Dynamisch verbunden.

Denn Engel steigen auf dieser Leiter auf, bis ganz oben bei Gott, und kommen von ganz oben bei Gott auf dieser Leiter herunter, bis sie dich erreichen, bei dir ankommen, so daß zwischen dir und Gott nichts mehr ist.

Jakob sieht das. Gott zeigt ihm die Dimension, die hinter allem, über allem und unter allem da ist.

Alles von uns kommt ganz und unverloren und unverdünnt bei Gott an, und alles, was uns erreicht, kommt von Gott.

Die Engel gehen hinauf und hernieder. Es liegt alles offen.  Die ganze Realität ist zuerst und vor allem das zwischen dir und Gott. Gott ist dir näher, als deine Gedanken, als deine Wahrnehmung.

Das ist riesig. Wie soll man das im Kopf aushalten? Es ist eine Überforderung.

Darum ist es ein Geschenk und eine große Gnade, daß Gott spricht. Diese ganze überwältigende Wirklichkeit faßt Gott zusammen und spricht. Es sind wenige Sätze. Diese wenigen Sätze sind genug für Jakob. Wenn er diese wenigen Sätze aufnimmt, dann hat Jakob seinen guten Platz in dieser riesigen Realität, daß Gott ihm näher und realer ist, als seine Gedanken.

Gott spricht mit dem Menschen. Das ist unser Leben. Gottes Wort hören und verstehen und zu Herzen nehmen, das ist Leben. (Vgl. Matthäus 13, 19: „Wenn jemand das Wort von dem Reich hört und nicht versteht, so kommt der Böse und reißt hinweg, was in sein Herz gesät ist“, und 13, 23: „der das Wort hört und versteht und dann auch Frucht bringt“.)

Gott erklärt Jakob nicht alles, sondern genau das, was lebensnotwendig ist für ihn:

„Der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.“

Gott wiederholt und bestätigt dem Jakob die Verheißung, die Er seinem Großvater Abraham und seinem Vater Isaak gegeben hatte. Diese Verheißung besagt drei Dinge: 1. Das Land, 2. Die große Nachkommenschaft, und 3. Der Segen für die gesamte Menschheit.

Diese drei Verheißungen bedeuten für Jakob persönlich dies:

„Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“

Gott steht zu seinem Wort, das er gegeben hat. Gott wiederholt sein Wort. Jakob hört nichts Neues, sondern genau das, was er von seinen Vorfahren gehört hatte. Es ist ihm vertraut. Er kennt es.

Und doch ist es neu und lebensnotwendig, daß er es wieder hört. Denn er hatte es ja durch sein Verhalten in Frage gestellt. Der Betrug hat nicht nur seinen Bruder Esau und seinen Vater Isaak verletzt, sondern der Betrug hat Gott selbst getroffen. Es ist nicht nur zwischen Menschen, sondern zwischen Mensch und Gott. Nun kann Jakob nicht mehr fliehen. Er erlebt, was Psalm 90, 8 sagt: „unsre Missetaten stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.“ Eine schwere Anklage, auf die Jakob nicht antworten kann.

Doch Gott sagt das Alte neu. Er wiederholt die Verheißung.

Das ist auch heute genauso wahr. Was Gott uns sagt, ist überschaubar. Es ist verständlich. Aber darin gibt Gott sich selbst, und darin haben wir das Leben und alles. Das Glaubensbekenntnis paßt zu dieser Wahrheit. Es ist überschaubar. Ein Kind kann es aufnehmen und nachsprechen. Es sagt uns, wer Gott ist, und was er tut. Es ist keine Überforderung. Wir wiederholen es immer wieder. Es spricht mit uns, wenn wir Kinder sind, und wenn wir erwachsen oder alt sind. Leider ist es seit dem Sündenfall so, daß wir Menschen Gott nicht nur vergessen, sondern auch über Seinen Willen hinwegsetzen. Darum werden wir dasselbe doch immer wieder als etwas völlig Neues hören. Jakob kannte die Verheißungen. Aber in dieser Nacht hatte er sie wie aus dem Nichts, wie aus heiterem  Himmel als etwas Neues von Gott gehört.

Gott spricht so, daß Jakob antworten kann.

„Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wußte es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goß Öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel“, Haus Gottes.

Jakob tut den Traum nicht ab als Schaum. Er macht ihm ein Denkmal. Er darf ihn unter keinen Umständen vergessen. Was er im Traum gesehen und gehört hat, darf er niemals verlieren. Es ist so groß, wie Gott selbst. Er steht früh auf, das heißt: Er wartet nicht. Es ist das erste, was er tut, vor allem anderen. Er nimmt den Stein und richtet ihn auf, das heißt: Er verändert seine Umgebung, damit sie auf das Unsichtbare hinweist. Er gießt Öl darauf, das heißt: Er weiht den Stein, sondert ihn ab. Er soll nun für nichts anderes mehr da sein, als für die Erinnerung an diese Begegnung mit Gott. Dieses Wort Gottes soll eben einen festen, unverlierbaren, ersten Platz, einen Ehrenplatz in seinem Leben behalten.

Diesen Platz des Wortes Gottes baut Jakob weiter aus: „Und Jakob tat ein Gelübde und sprach: Wird Gott mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der HERR mein Gott sein. Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Steinmal, soll ein Gotteshaus werden; und von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.“  Sein ganzes Leben dreht sich nun um dieses Wort, das Gott ihm gesagt hat. Wenn Gott ihn behütet, wenn Gott ihm Brot zu essen gibt und Kleider anzuziehen, dann sind das alles Gaben, die dieses Wort bestätigen. In allem zeigt Gott sich. Und Jakob will aus Gottes Gaben den Zehnten geben. Also einen festen Anteil, damit dieser feste Platz, der an Gottes Wort erinnert, an das Wort des Lebens, bestehen bleibt.

Liebe Gemeinde, das ist bis heute wahr. Wir hören Gottes Wort, weil wir ein Haus haben dafür. Das Haus Gottes ist der feste Platz, in dem Gottes Wort seinen festen Platz hat, damit Gottes Wort in deinem Leben einen festen Platz hat.

Doch was ist unser Traum, was ist Gottes Wort an uns? Gott hat mit uns viel klarer, massiver und deutlicher gesprochen, als ein Traum das kann: Er ist Mensch geworden. Jesus hat uns den Vater gezeigt. Jesus hat uns die Liebe und die Vergebung des Vaters ein für allemal gezeigt.

Ganz am Anfang, als Jesus die ersten Jünger bekommt, staunen sie. Bevor ein Jünger zu Jesus gebracht wurde, sagt Jesus zu ihm: „Bevor dein Freund Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.“ Du kommst bei Gott vor, bevor Menschen dich ansprechen. Das erschüttert den Nathanael, und er sagt zu Jesus: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel!“ Du machst, daß ich Gott begegne! Und nun sagt Jesus zu ihm: „Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen. Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn.“ (Johannes 1, 48-51).

Jesus ist die Himmelsleiter. Wo er ist, da ist der Himmel offen.

Das ist die tiefe Realität. Diese Realität hat auch dieses Gotteshaus gebaut und geweiht. Im Namen Jesu kommen wir bei Gott an, und Gott bei uns.

Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus zum ewigen Leben. Amen.


Beitragsbild: Gemälde an der Unterseite der Empore der Stiftskirche St. Lambrecht (Steiermark): Jakobs Traum Himmelsleiter