
Pfarrer Johann Hillermann
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen.
Amen.
23 Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern,
Psalm 22, 23 – 27
ich will dich in der Gemeinde rühmen:
24 Rühmet den Herrn, die ihr ihn fürchtet;
ehrt ihn, all ihr Nachkommen Jakobs,
und scheut euch vor ihm, all ihr Nachkommen Israels!
25 Denn er hat nicht verachtet noch verschmäht
das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen;
und da er zu ihm schrie, hörte er’s.
26 Dich will ich preisen in der großen Gemeinde,
ich will mein Gelübde erfüllen vor denen, die ihn fürchten.
27 Die Elenden sollen essen, daß sie satt werden; /
und die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen;
euer Herz soll ewiglich leben.
Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste,
wie es war im Anfang, jetzt und immerdar,
und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Liebe Brüder im Amt und alle!
Jeder Psalm gibt deiner Seele Worte, die dich zu Gott tragen. 150 Psalmen – 150 Einladungen des Dreieinigen Gottes, die Seele „heimlich vor jedermanns Trotz zu verbergen, und sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen zu verdecken.“ (Psalm 31, 21).
Ich verdanke die Auswahl des Textes für die Auslegung heute dem Rand der unveränderten Lutherbibel. Sie verweist am Rande dieses wundersamen Tonwechsels nach furchtbarem Leiden und Klage in kräftigen Lobpreis – auf das Evangelium St. Johannes, Kapitel 20, Ostern. Vorher kommt die Passion: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? – und mit unserem Text dann ein Lobpreis mit universaler Perspektive.
Jesus, Sohn Gottes und Gott, der das Wort in Anfang bei Gott ist (Johannes 1, 1-2), betet hier. Der wahre Gott und wahre Mensch in einer Person betet sein Leiden und leidet sein Gebet. Der Hohepriester, Pilatus, Judas, Petrus, die Soldaten, das Volk – sie alle sind Handlanger und Assistenten zu diesem Gebet, das Jesus am Kreuz schreit – in seiner Person sind menschliche Klage und Bitte, sowie göttliche Erhörung und Erfüllung EINES.
Wenn dieser Psalm auch vom König David gefaßt und dem Volk Gottes zum Nachbeten übergeben wurde – 1000 Jahre früher – so ist er doch in herausragender Bedeutung Jesu Eigentum. Es ist göttlich, wie Jesus diese Worte in Gebrauch wie ein bereitgelegtes Kleidungsstück oder Besteck, um damit auszusprechen, was da wirklich auf Golgatha geschieht. Wenn die große Gemeinde der Christen im Vaterunser sagt: „Denn dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit“, dann sagt sie damit auch: „Denn dein ist der Psalm, dein ist das Wort, dein ist die Sprache, dein ist das Gebet.“
Wir können nicht so tun, als hätte Jesus diesen Psalm nicht gebetet. Wir kommen dahinter nicht zurück. David war beseelt von genau dem Heiligen Geist, der den kommenden Messias zur Hoffnung Israels machte und von dem die Jungfrau Maria dann Jesus empfing, wie das Apostolische Glaubensbekenntnis uns einprägt.
Psalm 22 ist ein Gebet des „HERRN, der unsere Gerechtigkeit ist.“ (Jeremia 23,6). Nur Er kann den Psalm eindeutig von Anfang bis Ende aussprechen und mit ganzer Person ohne Abstriche beten. Denn er allein ist der Gerechte. In seinem Munde ist der ganze Psalm in jedem Wort ohne Abstriche wahr.
Psalm 22 ist prophetisch und bringt uns das Innenleben des Sohnes Gottes bei Kreuz und Auferstehung.
Natürlich ist dieser HERR großzügig mit Seinen Brüdern und gewährt es ihnen, also auch uns, mit- und nachzusprechen, die Seele in seinen Worten unterzubringen, und sich von diesen Wort vor Gott tragen zu lassen, wie von Engeln, und so vom Verstummen, Erstarren, oder vorm Fluchen und um sich Schlagen bewahrt zu werden. Der Heilige Geist macht uns in der Heiligen Schrift nicht zu „Gästen und Fremdlingen“, wie es eine Hermeneutik ohne Wunder scheinbar will, sondern zu „Mitbetern Davids und Mitsprechern der Apostel und Gottes Wortgenossen.“ (Vgl.: Epheser 2,19).
Johannes 20. Ostern. Der Gekreuzigte und Auferstandene betet. Unsere Worte aus Psalm 22 geben im Heiligen Geist das Innenleben wieder, zu dem, was äußerlich über Jesus von Karfreitag bis Ostern berichtet wird. – Der Sohn Gottes schämt sich nicht, uns Brüder zu heißen, wie es im im Hebräerbrief Kapitel 2, 12 heißt, und, durch dieses, Sein Gebet, nimmt Er uns mit, wie Paul Gerhardt in seinem Osterlied singt: „Wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit.“ Der Psalm ist Gottes Mitfahrgelegenheit. Er nimmt dich mit. Steig ein!
„Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern,“ Das betet der, der nach furchtbarem Leiden stirbt, verlassen von Gott und allen Menschen im äußersten Elend: Es wird dieses Ich nach seinem Tod geben. Gott der Sohn sagt das Gott dem Vater. In Johannes 20 gebietet der Auferstandene der Maria Magdalena: „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ (Johannes 20, 17). Er nennt die, die geflohen sind, ihn verleugnet und sich von ihm losgesagt haben, und sich nun aus Furcht vor den Juden verschließen, seine Brüder. Der Überwinder des Todes schafft sie vor seinem himmlischen Vater neu zu seinen Brüdern. Jesus beruft sie damit aus dem Tod ins Leben, ins ewige Leben. Jesus betet als der Gerechte, und sein Gebet gebietet über die Wirklichkeit, sein Gebet erfüllt sich schöpferisch selbst. Am Ende des hohenpriesterlichen Gebets hat er das seinem himmlischen Vater gelobt: „Ich habe ihnen (meinen Brüdern) deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.“ (Johannes 17, 26).
Wenn Jesus als der Auferstandene sich zu seinen Jüngern bekennt, dann ist hält er damit ein gegebenes Wort und Versprechen.
„Ich will dich in der Gemeinde rühmen:
Rühmet den Herrn, die ihr ihn fürchtet;
ehrt ihn, all ihr Nachkommen Jakobs,
und scheut euch vor ihm, all ihr Nachkommen Israels!“
Jesus macht seine Jünger zu Brüdern mit der weltumfassenden Perspektive der Sendung, der Mission, die sie in Israel beginnen. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ (Johannes 20, 21) Durch die Stimme seiner Brüder und Apostel rühmt Jesus seinen Vater in der Gemeinde. Seine Auferstehung macht Gott berühmt bei denen, die ihn fürchten.
Die Nachkommen Jakobs und Israels werden als erste zum Evangelium, zum Reich Gottes berufen. Die Apostelgeschichte beschreibt dieses Rühmen der Apostel, durch die Jesus sein Volk Israel zu sich, und damit zu Gott ruft. Die Wurzel unseres Lobgesangs ist Jesu Psalmgebet. Wenn wir Gott loben, dann ist das eine gottgewirkte Erhörung dieses Gebets des Sohnes Gottes. Es macht uns zu Abrahams Erben des Segens. (Galater 3, 29).
„Denn er hat nicht verachtet noch verschmäht
das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen;
und da er zu ihm schrie, hörte er’s.“
Jesus, der Beter dieses Psalms, ist betend als wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch ins Elend, bis hin zur Gottverlassenheit, gegangen. Leibliche und seelische Qualen, Spott, Verachtung, Folter: Der Psalm spricht es aus, und die Evangelisten bezeugen das Elend des „Allerverachtetsten und Unwertesten“ (Jesaja 53,3). Die Menschheit, repräsentiert durch, Priester Akademiker, Politiker, die Menge: Alle „verbargen ihr Angesicht vor ihm und achteten ihn für Nichts.“ (ebenda).
Der Tiefpunkt des Elends aber ist dieser: Die Menschheit unter dem Kreuz macht überdeutlich klar: Wir sind nicht Sünder, wir sind im Recht – Du Elender, Verfluchter, du bist im Unrecht! Du wirst von Gott geschlagen und gemartert! (Ebenda).
Jesus, der Beter dieses Psalms, hing einsam am Kreuz der ganzen Menschheit gegenüber, in einer Ökumene der Verachtung und Verurteilung vereinigt; sogar die verurteilten Verbrecher schauten auf ihn herab. Noch der Allerletzte traute sich, auf diesen „Wurm“ (Psalm 22, 6) herabzuschauen. Das ist Elend. Ihm gegenüber hielten sich alle für gerecht, und ihn für schuldig.
Doch, „da dieser Elende rief, hörte der HERR und half ihm als allen seinen Nöten.“ (Psalm 34, 7). Gott der Vater hat sich zu seinem Sohn bekannt – ihn angesehen und sein Schreien gehört. Gottes ganzer Ruhm ist es, daß Er sich zu diesem Elenden bekannt hat. Gottes ganzer Stolz ist es, vor der Weltöffentlichkeit sich zu diesem einen elenden Gerechten zu bekennen und zwar durch die Auferweckung von den Toten. Das ist die gründlichste und umfassendste Gebetserhörung, die sich denken läßt. Der Vater hat das Elend des Sohns nicht nur „nicht verachtet noch verschmäht“, sondern Er hat sich grundlegend, und entgegen dem Urteil aller Menschen zu ihm bekannt und „zu Ehren gemacht.“ (Psalm 91, 15).
Wir müssen sagen: Jesus ist das Gebet des Elenden in Person, aber seine Person ist auch durch und durch Gebetserhörung. Wie Paulus sagt: In Jesus sind „alle Verheißungen Ja und Amen sind“ (2. Korinther 1, 20). Wo Jesus ist, da ist Gebetserhörung. Sagte er nicht in der Nacht, da er verraten ward: „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, auf daß der Vater verherrlicht werde im Sohn.“ (Johannes 14, 13). Wer an Jesus glaubt, glaubt zugleich an Gebetserhörung. Wenn Gott jenen, den allerletzten der Elenden hörte, und sein Antlitz nicht vor ihm verbarg, und zwar so vollständig, daß Er als der Vater, seinen Sohn auferweckte, wieviel mehr wird er dann unsere Bitten hören, die wir mit kindlichem Geist rufen: „Abba, lieber Vater!“ (Römer 8, 15).
„Dich will ich preisen in der großen Gemeinde,
ich will mein Gelübde erfüllen vor denen, die ihn fürchten.“
Ich muß zum Schluß kommen. Wenn Ihr Euch in dieses Gebet des Sohnes Gottes habt assimilieren lassen, dann tun sich diese Worte von selbst christologisch auf. Die „große Gemeinde,“ das ist die Eine weltweite Christenheit, in der das Evangelium gehört wird. Der Übersetzer des Ingolstädter Psalters von 1430 gibt den Glauben der Christenheit bis in die Reformationszeit hinein wieder: „Meinen Brüdern künde ich deinen Nam, mitten in der Christenheit lob ich dich.“ (Siegfried Hofmann: Der Ingolstädter Psalter. Heidelberg, 2010, S. 111).
Der Sohn Gottes, der Beter dieses Psalms, bleibt der Sprecher des Evangeliums. Bevor wir ängstlich fragen, ob denn unsere Gebete erhört werden, werden wir von der größeren Wahrheit getragen, daß wir als Gemeinde vor allen Dingen selber eine Gebetserhörung sind. „Mein Vater hat mir meine Jünger gegeben“, sagt Jesus als der Gute Hirte (Johannes 10, 29). Ebenso auch im Hohenpriesterlichen Gebet: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.“ (Johannes 17, 6). Erhörte Bitte, erfüllte Gelübde, gehaltene Versprechen: Das alles ist verbindliches Wort, und das ist es, was wir, was unsere Seelen, ganz dringend brauchen. Leere, unseriöse Sprache zehrt die Seele auf. Gott zürnt darüber. (Epheser 5,6). Jesu Gelübde ist: Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. (Matthäus 28, 20). Dieses gegebene Wort hält er. Unsere Seele lebt davon.
„Die Elenden sollen essen, daß sie satt werden; /
und die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen;
euer Herz soll ewiglich leben.“
Es ist wunderbar, daß der Auferstandene mit seinen Jüngern gegessen hat. Gebratenen Fisch (Lukas 24, 42 und Johannes 21, 9). Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß der Beter von Psalm 22 seinen Weg in Erniedrigung und Erhöhung, Elend und Erhörung, Kreuz und Auferstehung auf gar keinen Fall für sich selbst geht. Er geht ihn für die Elenden, für seine Brüder, für dich und mich.
Die Elenden sollen satt werden, und zwar satt in Ewigkeit. Ein Essen vor und mit dem Auferstandenen, was kann das anderes sein, als Sein Mahl, das er eingesetzt hat, und das seine große Gemeinde immer wieder feiert? Wonach kann ein Elender mehr hungern und dürsten, als nach dem Leib und Blut dessen, der das wahre Ja-Wort für ihn ist? Und was kann Leib und Seele mehr sättigen?
Die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen, also nicht aufhören können „von die großen Taten Gottes zu reden“ (Apostelgeschichte 2, 11). Also ohne Ende, ohne Unterlaß, ohne Aufhören. Das hat schon angefangen in seiner Gemeinde. Im Preisen ist Gott ja selbst da, und Seine Taten kommen immer wieder auf uns zu, denn wir sind auch Erben Seiner Wunder.
Euer Herz – – – wessen Herz? Das Herz aller, die als Mitbeter Davids und Wortgenossen Gottes ganz bei Jesus waren und sind, und sich selbst dabei vergessen. Euer Herz, das brannte wie die Herzen der Emmaus Jünger am Oster-Abend, als sie zuhörten und heiße Sehnsucht hatten, das doch das alles wahr sein möchte, was sie da hörten. Es war wahr. Ihre Herzen leben ewig, „denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ (Johannes 14, 19).
Der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Beitragsbild: Gekreuzigter Christus, Diego Velázquez, um 1630