
Predigt vom 19.3.2025 gehalten von Pastor Johann Hillermann
Das Lamm, das erwürget ist,
ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum
und Weisheit und Stärke
und Ehre und Preis und Lob.
Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserem Vater,
und dem HERRN, Jesus Christus.
Amen.
Am nächsten Tag sieht Johannes, daß Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
Johannes 1, 29
Gebet: Lieber Gott im Himmel! Zeig uns das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt! Schaffe in uns, daß auch unsere Sünde auf dieses Lamm kommt und von ihm weggetragen wird, zu unserem Heil und Frieden. Amen.
Liebe Gemeinde!
In der ersten Passionsandacht vor einer Woche haben wir von Jesus als dem Lösegeld gehört. Durch sein Leiden und Sterben, in der Hingabe Seines Lebens wurde Jesus zum „Lösegeld für viele.“
Heute hören wir, daß Jesus in Seinem Leiden und Sterben das „Lamm Gottes“ war und ist, „das der Welt Sünde trägt.“
Johannes der Täufer sagt vor Gott und der Welt, im Angesicht von Himmel und Erde, jedem Menschen:
„Siehe!“ Er sagte das am hellichten Tage. Er sagte es sehenden Menschen. Dieses Wort: „Siehe!“ Ruft mitten am Tage zum Licht. In diesem Wort schafft Gott selbst dich neu, und beginnt das ewige Leben mit dir, gibt dir den Anfang deiner Freiheit.
Johannes zeigt, was kein Mensch von sich aus sehen oder begreifen kann. Durch seinen Boten zeigt dir Gott, was du noch nie gesehen hast, was du nicht sehen kannst, und was du sehen mußt. Mit diesem Befehl wird alles, was du bisher gesehen hast, alt und dunkel, weil ein neues Licht gekommen ist.
„Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.“
In einem Satz kommt das Größte vor: Gott und die Welt.
Der Prophet Johannes bringt Welt wird mit dem Wort „Sünde“ auf den Punkt.
Gott bringt sich selbst mit dem Wort: „Lamm“ auf den Punkt.
Das mußt du sehen. Das muß jeder Mensch sehen. Alles andere verblaßt gegen dieses Licht.
Denn: Die Sünde macht die Welt dunkel, nein finster, chaotisch finster, bedrohlich und tödlich finster. Manchmal sehen wir das, oder ahnen es. Haß verfinstert das Herz. Habgier und Begehren, Mißtrauen und Groll blenden das Auge – es sieht Gottes Güte nicht mehr. Das Herz wird hart und ist verschlossen, es macht keinen Platz für ein anderes Leben, Liebe wird unmöglich. Wir leben in einer Welt, die auch das Ergebnis von unzähligen Fällen von Lieblosigkeit ist. Der Prophet Jesaja spricht es aus: „Siehe! Finsternis bedeckt das Erdreich, und Dunkel bedeckt die Völker.“ (Jesaja 60, 2). Und wenn Gott dir sagen läßt: „Siehe!“, dann ist damit auch gesagt: Du bist Teil der Finsternis, du trägst auch dazu bei.
Wenn Johannes also in diese Finsternis hinein: „Siehe!“ ruft, dann ist das dasselbe, wie Gott am Anfang über die wüste und leere Erde spricht: „Es werde Licht!“ (1. Mose 1, 3) Wenn Gott sagt: „Siehe!“, dann wissen alle Hörer: Gott will und bringt das Ende der Finsternis, Gott will und schafft das Licht neu.
Johannes sagt das, und zeigt auf einen Menschen, auf eine Person, auf den einen Mann Jesus. Da ist das Ende aller Finsternis. Mit ihm kommt das Licht.
Das läßt Gott durch Johannes den Täufer der gesamten Welt und Menschen sagen.
Wie bei Jesaja: „Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und das Dunkel die Völker – ABER über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ (Jesaja 60,2). Jesus sagt selbst später: „Ich bin das Licht der Welt“, und heilt sofort einen Menschen, der blind geboren war. (Johannes 8, 12; 9, 5-7).
Johannes zeigt auf diesen Mann Jesus, den Mann gegen alle Finsternis, und sagt: „Das ist Gottes Lamm.“
Wir sehen einen Menschen, und hören: Er ist Gottes Lamm.
Das ist Gottes Sprache aus dem Alten Testament. „Lamm“, das ist ein Wort, das Gott in die Welt gesetzt hat, damit es Sprache gibt gegen die Finsternis. Sprache, die eine allmächtige Hilfe ist, Jesus nicht zu verpassen, das Licht nicht zu verpassen.
Die Verknüpfung zwischen einem Lamm und einem Menschen vor Gott nimmt Johannes aus dem Buch des Propheten Jesaja.
Jesaja hat Jahrhunderte vor Christus in Israel gegen die Finsternis gepredigt. Jesaja spricht von dem Knecht Gottes, der den einmaligen Auftrag von Gott hat, „Licht für die Heiden“ zu sein (Jesaja 42,6). Dieser besondere Knecht Gottes wird aber das Licht in der Weise sein und bringen, daß er in die Finsternis hineingeht, aber die „Finsternis wird ihn nicht unterkriegen“ (Johannes 1, 5). Jesaja sagt es so: Dieser Knecht, der das Licht bringt, wird in die Finsternis eingehen, aber „er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte.“ (Jesaja 42, 4).
Also: Der Knecht Gottes wird leiden.
Der Übergang von der Finsternis zum Licht, Chaos zur Herrlichkeit, von der Last und dem Druck zur Freiheit, von der Sprachlosigkeit zum Loben, vom Tod zum Leben geschieht an genau einem Punkt: Dem Leiden des Knechts Gottes.
Davon spricht Jesaja in dem zu Recht berühmten und innig geliebten 53. Kapitel:
„Siehe, meinem Knecht wird’s gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein.“ (Jesaja 52, 13) … Dann beschreibt Jesaja, wie dieser Knecht in die Finsternis eingeht: „Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.“ Der Knecht Gottes leidet also nicht nur an dem einen oder anderen Schmerz, sondern auch und vor allem an der Sünde der Menschen. An der Lieblosigkeit, an dem Haß auf Gott, an dem Widerwillen gegen Gottes Willen. Jesaja vollbringt dann ein Sprachwunder, das bis heute leuchtet. Er zeigt im Geist auf diesen wundersamen Knecht und bekommt von dem Heiligen Geist die Worte, auf die kein Mensch kommen konnte: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53, 4-5).
Was dieser Knecht Gottes leidet, ist nicht seine eigene Schuld, sondern er nimmt auf sich die Schuld aller, die hören können: „Unsere Krankheit … unsere Schmerzen … unsere Missetat … unsere Sünde … unsere Strafe“ – es passiert vor den Augen der Menschen eine riesige Umschuldung statt, eine Umbuchung. Was die Menschheit sieht, was den Knecht trifft, was über ihn kommt und ihn vernichtet, das ist „unsers“. Es ist „unsers“ weil wir Sünder sind.
Liebe Gemeinde, es gehört zur Finsternis, daß wir den Zusammenhang zwischen der Sünde und ihren Folgen nicht erkennen können, und nicht wahrhaben wollen. Der Sünder ist blind dafür. Der Sünder begreift nicht, wie ernst Gott ihn nimmt. Gott nimmt uns ernst. Ernster, als wir selbst. Dazu gehört auch, daß Sünde Folgen hat, Folgen die offenbar machen, daß der Sünder sich von Gott losgesagt hat. Das ist Strafe.
Nun sieht Jesaja die Strafe nicht auf dem Sünder, der sie verdient hat, sondern auf dem Knecht Gottes, der sie „auf sich lädt“, dem Gott sie „auferlegt.“ In diesen Worten: „Aufladen“ und „Auferlegen“ birgt sich der gewaltige Schuldentransfer, den nur der allmächtige Gott tun kann.
Um das auch nur irgendwie erfassen oder begreifen zu können, spricht Jesaja die Sprache des Gottesdienstes in Israel. Und damit sind wir endlich wieder beim „Lamm“!:
„Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.“ Mit diesen Worten faßt Jesaja die Finsternis zusammen, und was Gott gegen die Finsternis tut. Und dann beschreibt er den Knecht Gottes, wie er leidet: „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.“ Wie ein Lamm. 500 Jahre lang hat das Volk Israel auf diese Worte gehört und sie ehrfürchtig bedacht und bewahrt: Der Knecht Gottes als ein Lamm. 500 Jahre lang hielten sich alle daran fest, die die große Finsternis spürten und unter ihr litten und die brennende Sehnsucht hatten, daß Gott wieder Licht macht.
Warum war diese Sprache verständlich? Jesaja sprach von einem Lamm; im Gottesdienst Israels war das Lamm zweimal bedeutsam.
- Das Passa-Lamm. Als Gott sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens befreite, mußte vier Tage vor dem Weg in die Freiheit in jedem Haus ein Lamm beiseite genommen werden. Am Tag des Auszuges mußte es geschlachtet, zubereitet und gegessen werden. (2. Mose 12, 1-12) Und dann ging es los! Weg aus der bedrückenden, quälenden ägyptischen Finsternis! – Das Lamm war mitten in der unterdrückenden, ausbeutenden und entwürdigenden Finsternis Ägyptens schon das sichere Zeichen der kommenden Freiheit. Gott gab das Lamm als das Versprechen, das Sein Volk mit Händen greifen konnte, mit eigenen Augen sehen konnte. Es war der erste Lichtstrahl, der die Nacht beendet und den neuen Tag bringt.
Johannes zeigt auf Jesus als dieses Lamm. Jesus ist deine wirkliche Freiheit, dein Licht.
- Dann war das Lamm aber auch von Gott festgelegtes Opfertier. Im Gesetz des Mose gab es genaue Vorschriften. Ein Lamm konnte als ein Schuldopfer oder Sündopfer dargebracht werden. Gott hat es so verfügt. Ein Israelit, der Schuld auf sich geladen hatte, mußte aus seinem Besitz ein Tier, wie etwa ein Lamm, hingeben, töten lassen, und dabei Gott vertrauen, daß die Sünde vergeben ist. Gott selbst hat seinem Volk diesen Weg eröffnet. Wer Schuld vor Gott hatte, konnte sie so los werden. Wenn ich sage: „Schuld hatte“, dann schließt das unbedingt das Bewußtsein ein: „Ich habe durch meine Sünde mein Lebensrecht vor Gott verloren! Hätte ich das doch nur niemals getan!“ (Gesetze: 3. Mose 5,6; 4. Mose 6,12; 4. Mose 7, 15-17, zum Beispiel). Dieses Verlangen nach Vergebung beantwortete Gott, indem er das vorgeschriebene Opfer annahm.
Mit anderen Worten: Gott selbst legte fest, daß der Sünder leben darf, weil seine Schuld durch ein Opfer getilgt und beseitigt wurde. Gott selbst machte diesen Schuldtransfer, diese Umschuldung möglich, damit der Sünder nicht verlorengehen muß.
So hat Jesaja mit der Sprache des Gottesdienstes in Israel Worte gehabt für diesen einen Gottesknecht. Und der Heilige Geist hat Johannes den Täufer erleuchtet, so daß er „Jesus zu ihm kommen sieht, und spricht: ‚Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“
Johannes hat dieses „Siehe!“ ausgesprochen, als Jesus zum ihm kam, um sich taufen zu lassen. Mit der Taufe ist Jesus in die Finsternis eingetaucht, denn Johannes taufte „Buße zur Vergebung der Sünde.“ (Markus 1,4). Jesus ging dorthin, wo Gott die Sünder haben wollte, wo die Sünder hingehörten. Als Johannes Jesus zum ihm kommen sieht, zeigt Gott ihm: Hier kommt mein Knecht, der aus Freiheit alle Schuld auf sich nimmt. Darum konnte Johannes sagen: Das ist Gottes Lamm!
Es trägt die Sünde der WELT. Und das heißt: Die Sünde eines jeden. Gerade und vor allem meine und deine. Gott will, daß sie dich nicht mehr drücken, quälen, ersticken, verbittern und am Ende töten. Er will im großen Stil eine Sündabfuhr durchführen, „Siehe!“.
Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinnte
Beitragsbild: Das Lamm auf dem Buch mit sieben Siegeln, Johann Heinrich Rohr, um 1775.