Predigt Pfarrer Dr. Wolfgang Fenske
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. – Amen.
Gottes Wort für die Predigt steht geschrieben im hl. Evangelium nach Matthäus im 24. Kapitel und wird im Laufe der Predigt verlesen werden. Laßt uns beten.
Liebe Gemeinde,
in einer der Talkshows seit dem Zerbrechen der Ampel-Regierung hat der frühere Finanzminister Christian Lindner über eine andere Partei gesagt, sie sei ja immer nur für etwas, wenn sie gleichzeitig auch dagegen sein könnte. „Wenn es so weiter geht“, sagte er, „werden die Grünen irgendwann für Weihnachten sein, aber gegen die davor geschaltete Adventszeit.“ Diese Gefahr besteht tatsächlich, aber nicht nur bei den Vertretern einer Partei.
Wenn ich mich umsehe, dann ist dieses Szenario schon längst Realität. Mal ganz im Ernst, wann wart Ihr das letzte Mal auf einem Adventsmarkt? Gibt es ja kaum noch. Stattdessen haben wir seit dem Montag nach Ewigkeitssonntag („Totensonntag“) in allen großen Städten – Weihnachtsmärkte. Es dudeln Weihnachtslieder aus den Lautsprechern. Jede Firma hat eine Weihnachtsfeier, auf der der Weihnachtsmann kommt und zum Abschluss glühweinselig „O du fröhliche“ gesungen wird. Natürlich könnten wir als Kirche darauf hinweisen, dass die Weihnachtszeit ja erst am Vorabend des 25. Dezember beginnt, dass sie bis Epiphanias oder gar bis Lichtmeß geht und dass davor bitteschön Stille, Besinnung und Fasten angesagt sind. Natürlich könnten wir unsere Weihnachtsfeiern alle im Januar ansetzen. Natürlich hätten wir damit Recht, und natürlich würden wir niemanden damit gewinnen. Wir würden als Spielverderber und Miesepeter gelten, ohne dass es irgendwem was nützt.
Also freuen wir uns besser darüber, dass die Geburt unseres Herrn für die meisten Menschen in unserm Land ein Anlass zur Freude und zum Feiern ist, und kommen wir mit ihnen darüber ins Gespräch. Das wird ihnen und uns mehr nützen. Vielleicht wird sich dabei auch ein bisschen mehr Verständnis dafür ergeben, was eigentlich Advent ist. Trotzdem: Für Weihnachten, aber gegen Advent – das ist keine parteipolitische Einzelmeinung, das ist Realität in unserem Land.
Wir ziehen Weihnachten lieber vor und feiern es vier Wochen lang, mit dem Advent als etwas eigenem wissen wir nicht viel anzufangen. Das ist auch kein Wunder, wenn man seinen Sinn nicht versteht, sondern ihn nur noch für etwas „Davorgeschaltetes“ hält wie Christian Lindner.
Einen ganz anderen Advent präsentiert uns unser Predigtwort für den 2. Advent bei Matthäus im 24. Kapitel: Da heißt es:
Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen. 9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.
Liebe Brüder und Schwestern,
ja, Ihr habt richtig gehört. Das ist ein Predigtwort für den ersten Advent unseres Herrn. Sein Thema aber ist der zweite Advent. Advent, das ist ein lateinisches Wort und bedeutet im Deutschen „Ankunft“. Es ist die Zeit, in der wir an die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus denken. Wir könnten auch sofort Weihnachten beginnen und die Ankunft Jesu feiern. Aber wir nehmen uns 4 Wochen Zeit, um daran zu denken, dass das alles andere als selbstverständlich ist. Dass Gott Mensch wird, uns in unserem Elend nicht allein lässt, dass er es teilt und uns davon erlöst. Das ist nichts, worauf wir einen Anspruch haben, nichts, was andere Religionen von ihren Göttern auch nur zu denken wagen. Darum ist es gut, sich in diesen Wochen immer wieder Zeit zu nehmen, zur Ruhe zu kommen, einen Bibeltext zu lesen, ein Adventslied zu singen oder einfach nur, wie die ersten Christen, immer wieder beten: „Komm, Herr Jesu!“
Uns bewusst zu machen, wie wenig selbstverständlich es ist, was wir zu Weihnachten feiern, dafür ist diese Wartezeit, diese Erwartungszeit da. Mit diesem Bewusstsein ist die Freude über Weihnachten um so größer. Darum leben wir in der Adventszeit. Wir leben außerdem in der Erwartung des zweiten Advents, der zweiten Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Im Glaubensbekenntnis sagen wir es jeden Sonntag:
Von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.
Darum kann man sagen, wir leben seit 2000 Jahren in der Adventszeit. Denn seit Jesus zu seinem Vater aufgefahren ist, erwarten wir seine Wiederkunft. Wir wissen nur nicht, wie lange es noch dauert. Da geht es uns genau wie Kindern, die auf Weihnachten warten. Immer wieder fragen sie: „Wie lange dauert es denn noch?“ So haben das auch die Jünger Jesu getan, als er noch auf der Erde war. Gerade sind sie durch den Tempel von Jerusalem gegangen. Die Jünger, einfache Menschen wie wir, kommen aus dem Staunen nicht heraus. So muss es unsereinem gehen, wenn er im Kölner Dom oder im Petersdom ist. Eine große, schöne Kirche, wo allein schon das Wort „Wow!“ ein dreifaches Echo wirft. Und dann sagt der Reiseleiter zu einem: „Hier wird kein Stein auf dem anderen bleiben!“ Ganz schön frustrierend.
Anscheinend sind die Jünger erst mal sprachlos, und auch Jesus sagt nichts mehr. Jedenfalls steht in der Bibel nichts mehr von einem Gespräch, bis sie außerhalb der Stadt sind. Vielleicht ist ihnen nach dieser Prophezeiung die Lust auf einen Stadtbummel vergangen, sie machen sich schweigsam auf den Weg nach draußen. Erst als sie dort auf einem Berg sitzen und auf die Stadt blicken, bricht einer von ihnen das Schweigen und fragt: „Herr, wann wird das geschehen? Was für Vorzeichen wird es geben für dein Kommen und für das Ende der Welt?“
Was Jesus ihnen dann erzählt, klingt wie die Zusammenfassung der Fernsehnachrichten aus dem Jahr 2024: Immer wieder werden Menschen auftreten und sich als Heilsbringer feiern lassen. Ihr werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei hören. Ein Volk wird gegen das andere kämpfen, ein Reich gegen das andere. Es gibt Erdbeben und Hungersnöte. Menschen werden gehasst und verfolgt werden für ihren Glauben an Jesus. Menschen verlassen die Kirche aus Angst vor den Verfolgungen, werden ihre Brüder und Schwestern verraten. Eine falsche Vorhersage jagt die nächste. Die Kirche wird sich über Nebensächlichkeiten zerstreiten, die Liebe ausgelöscht werden wie eine Kerze auf dem Adventskranz.
Und all das ist noch nicht das Ende. Sondern – so nennt es Jesus – der Anfang der Wehen. Er vergleicht all die Katastrophen, von denen wir Tag für Tag hören, mit Geburtswehen. Es ist immer riskant, wenn ein Mann von Wehen spricht. Immerhin kennen wir Männer den Geburtsschmerz ja allerhöchstens als Augen- und Ohrenzeugen. Aber wir wissen: Geburtswehen sind eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, die es gibt. Und hinterher sagen viele Frauen, die sie durchlebt haben: „Es war der schönste Moment in meinem Leben.“
Wenn ich meiner Frau allerdings damals mitten in den Wehen gesagt hätte: „Hey, ist doch toll, du hast gerade den schönsten Moment in deinem Leben vor dir!“ – dann hätte sich mir wahrscheinlich mitten im Kreißsaal eine gewatscht – und das mit Recht! Auf der anderen Seite: Die Christen, die all das gerade durchmachen müssen, die für ihren Glauben verfolgt, eingesperrt und getötet werden, in Pakistan, Nordkorea, China, Sudan und anderswo – die schöpfen aus dieser Aussicht tatsächlich Hoffnung. Sie erwarten und erbeten die Ankunft unseres Herrn jeden Tag. Es hilft ihnen, all das zu erdulden, wenn sie wissen: Es geht vorüber.
Am Ende sind wir auf der Seite des Siegers oder vielmehr: Ist der Sieger auf unserer Seite. Es macht ihnen Mut, weiter von Jesus zu erzählen. Sie bekennen: Er ist für meine und eure Sünde gestorben. Sie geben seine Liebe in Wort und Tat auch an ihre Feinde weiter, vergeben ihnen, laden auch sie ein, mit Jesus zu leben, auch da, wo man noch nie von ihm gehört hat. Das geht bis heute so und ist noch nicht abgeschlossen.
Alle Völker haben noch nicht die Botschaft von Jesus Christus gehört. Jesus sagt: Erst wenn alle Völker von mir gehört haben, dann kommt das Ende. Alle sollen diese Chance haben, mit mir anzufangen. Erst dann, vorher nicht, komme ich wieder. Erst dann ist die zweite Ankunft, der 2. Advent. Wir Christen in Deutschland erleben die Geburtswehen dieses 2. Advent wie Männer: Als Augen- und Ohrenzeugen, aber selber kaum betroffen.
Es wäre zynisch von uns, den Leidenden zuzurufen: „Haltet durch, es sind nur die Vorzeichen, dass der Herr bald wiederkommt!“ Die Freude können wir ihnen nicht machen, die kommt erst, wenn die Wehen vorbei sind. Es ist nicht zynisch von uns, ihnen beim Durchhalten zu helfen. Für die Verfolgten zu beten, von unserem Reichtum abzugeben, uns an die Regierungen zu wenden, gegen Christenverfolgung einzutreten. Das ist die Verantwortung, die Gott uns auferlegt.
Es ist ebenso unsere Verantwortung, dazu beizutragen, dass die Botschaft von Jesus Christus allen Völkern weitergesagt wird. Dazu gehört, dass wir uns für Religionsfreiheit einsetzen, die auch in Europa und selbst in Deutschland nicht mehr selbstverständlich ist. Dazu gehört, dass wir mit unserem Geld und unseren Gebeten denen dienen, die Gottes Wort verkündigen, auch dort, wo sie statt eines Beamtengehalts dafür Stockhiebe bekommen. Verkündigung, Einladung zum Glauben und materielle Hilfe, das gehört zusammen, weil beides zu Gottes Liebe gehört.
Und es ist unsere Verantwortung, dort, wo wir sind, Gottes Liebe in Wort und Tat weiterzugeben, zu helfen, zu bekennen, andere zum Glauben an Jesus einzuladen. Wer für den 2. Advent des Herrn Christus ist, steht hierfür in der Pflicht. Auch am 1. Advent. Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.