Pfarrer Johann Hillermann am 6.3.24
43 Und alsbald, während er noch redete, kam herzu Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine Schar mit Schwertern und mit Stangen, von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten und Ältesten.
44 Und der Verräter hatte ihnen ein Zeichen genannt und gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist’s; den ergreift und führt ihn sicher ab.
45 Und als er kam, trat er alsbald zu ihm und sprach: Rabbi!, und küßte ihn.
46 Die aber legten Hand an ihn und ergriffen ihn.
47 Einer aber von denen, die dabeistanden, zog sein Schwert und schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab.
48 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Ihr seid ausgezogen wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen, mich zu fangen.
49 Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen und habe gelehrt, und ihr habt mich nicht ergriffen. Aber so muß die Schrift erfüllt werden.
50 Da verließen ihn alle und flohen.
51 Ein junger Mann aber folgte ihm nach, der war mit einem Leinengewand bekleidet auf der bloßen Haut; und sie griffen nach ihm.
52 Er aber ließ das Gewand fahren und floh nackt davon.
53 Und sie führten Jesus zu dem Hohenpriester; und es versammelten sich alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten.
54 Petrus aber folgte ihm nach von ferne, bis hinein in den Palast des Hohenpriesters, und saß da bei den Knechten und wärmte sich am Feuer.
55 Aber die Hohenpriester und der ganze Hohe Rat suchten Zeugnis gegen Jesus, daß sie ihn zu Tode brächten, und fanden nichts.
56 Denn viele gaben falsches Zeugnis ab gegen ihn; aber ihr Zeugnis stimmte nicht überein.
57 Und einige standen auf und gaben falsches Zeugnis ab gegen ihn und sprachen:
58 Wir haben gehört, daß er gesagt hat: Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen andern bauen, der nicht mit Händen gemacht ist.
59 Aber ihr Zeugnis stimmte auch so nicht überein.
60 Und der Hohepriester stand auf, trat in die Mitte und fragte Jesus und sprach: Antwortest du nichts auf das, was diese gegen dich bezeugen?
61 Er aber schwieg still und antwortete nichts. Da fragte ihn der Hohepriester abermals und sprach zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?
62 Jesus aber sprach: Ich bin’s; und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.
63 Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und sprach: Was bedürfen wir weiterer Zeugen?
64 Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was ist euer Urteil? Sie aber verurteilten ihn alle, daß er des Todes schuldig sei.
65 Da fingen einige an, ihn anzuspeien und sein Angesicht zu verdecken und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage uns! Und die Knechte schlugen ihn ins Angesicht.
Markus 14, 43-65
Liebe Gemeinde!
Innerhalb weniger Stunden ist Jesus einer, der zum Tode verurteilt ist. „Als er noch redete …“ – da war er mit Seinen Jüngern als Lehrer allein. Ein vertrauter, privater Kreis. Nach wenigen Stunden steht Er als ein Verurteilter vor der höchsten religiösen Instanz auf Erden. Wenn wir Jesus dabei begleiten, dann werden drei Dinge immer wieder deutlich, und immer deutlicher:
- Jesus bleibt immer überlegen – um aus dieser Überlegenheit sich um so nachdrücklicher hinzugeben. Unter die Schuld der Menschen zu begeben.
- Die Menschen sind alle unfrei, ohne sich dessen bewußt zu sein.
- In allem bleibt das Wort Gottes aus der Heiligen Schrift intakt. Es bleibt wahr und erfüllt sich.
Der Verräter Judas geht ja in die Nacht, in den Schutz der Dunkelheit verborgen, hin um heimlich mit den Feinden Jesu zu verhandeln. Er geht sozusagen in den blinden Fleck. Gegen das, was dich aus deinem blinden Fleck angreift, bist du wehrlos. Das Böse, der Betrug, die Lüge, sucht diesen blinden Fleck, um über dich herzufallen. Das Böse nutzt die Grenzen, die unser Leib nun mal hat: Ich kann im Dunkeln, hinter meinem Rücken, nicht sehen. Diese böse Verborgenheit geht bis dahin, daß Judas Jesus begrüßt und küßt, wie ein guter, respektvoller Schüler es damals tat. Mit dem Kuß tut er das genaue Gegenteil. Er ist kein Zeichen der Wertschätzung und Freundschaft, sondern der Verachtung und des Verrats. „Rabbi!“, das war ein Zeichen der Demut. Jetzt ein eindeutiges Zeichen, daß er genau dem Meister in den Rücken fällt. Aus dem blinden Fleck. Er kennt Jesus gut genug, um ihn der Vernichtung auszuliefern.
Wie bleibt Jesus überlegen?
Nicht, indem Er sich wehrt, nicht indem er verzweifelt. Er nimmt diesen Verrat auf sich. Wir wissen, daß Er den Verrat kommen sah. Er hat Judas so bezeichnet, daß Judas genau wußte, daß Jesus wußte … Jesus hat die Wahrheit auf Seiner Seite. Judas hat sich auf die Seite des Bösen und der Lüge gestellt. Es war seine „freie“ Entscheidung. Er hat die irdische Macht auf seiner Seite. Mit Waffen und Befehl steht die weltliche Macht hinter ihm. Die Wahrheit aber nicht. Er muß dabei, ob er will oder nicht, der Wahrheit dienen. Jesus ist sein Meister. Das bleibt war, er spricht es aus. Wenn er auch das Gegenteil beweisen will. Jesus ist nicht nur sehenden Auges auf den Verrat zugegangen, sondern auch auf die Verhaftung. „Denn er lehrte seine Jünger und sprach zu ihnen: ‚Der Menschensohn wird überantwortet werden in die Hände der Menschen und sie werden ihn töten; und wenn er getötet ist, so wird er nach drei Tagen auferstehen.‘ Sie aber verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen.“ (Markus 9, 31-32). Die einzige Überlegenheit, die Jesus hat, ist die göttliche Wahrheit. Und gerade, um diese göttliche Wahrheit zu bewahren, verzichtet Jesus auf jede andere Überlegenheit. Jesus spricht die Wahrheit auch aus. „Ihr seid ausgezogen wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen, mich zu fangen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen und habe gelehrt, und ihr habt mich nicht ergriffen. Aber so muß die Schrift erfüllt werden.“
Sie behandeln ihn wie einen Räuber, einen gewalttätigen Terroristen, der alle Ordnung und den Frieden zerstören will. Doch das ohne jedweden Anhaltspunkt oder Beweis. Sie kommen mit Waffen – doch ohne Grund. Es gibt keinen Grund. Etwas ohne Grund tun, das ist Unfreiheit. Der Grund liegt dann nicht in Jesus, sondern in der Lüge. Jesus spricht die Wahrheit aus: Sie fangen ihn nicht als Räuber, sondern als Lehrer, als Lehrer der Wahrheit. „Täglich im Tempel“ hat Jesus die Wahrheit gesagt. Da trauten sie sich nicht – am hellen Tag, in der Öffentlichkeit, wie es sich für Gottes Wahrheit gehört. Sie sind nicht frei, sondern unfrei. Obwohl sie alle Macht haben, „fürchten sie sich vor den Menschen.“ – So lesen wir bei Markus im 12. Kapitel: „Sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.“ (Markus 12, 12). Sie erkannten in ihrem Gewissen, daß Jesus ihnen die Wahrheit gesagt hatte. Zur Wahrheit, die Jesus auf seiner Seite hat, gehört nicht nur, daß Er sie ausspricht, was die Situation zwischen Menschen eindeutig macht, und klar, sondern zuerst Gottes Wort aus der Heiligen Schrift. „So muß die Schrift erfüllt werden.“ Gottes Wahrheit geschieht. Und die ist allein auf Seiner Seite. Alle Menschen um ihn herum stellen sich gegen sie, oder fliehen. Von Judas und den Soldaten und ihren Auftraggebern haben wir es gehört. Aber es gilt auch für die Jünger. Sie fliehen ja – und zwar ohne Wahrheit; denn sie hatten ja ausgesprochen, ihr Wort gegeben, daß sie mit ihrem Herrn und Meister sterben wollten. (Markus 14, 31). Ihr Wort hat keinen Bestand. Die Heilige Schrift hat mit Jesus Bestand. Bei Ihm bleibt das Wort intakt, und damit auch die Wahrheit.
Dann hören wir von einem Jüngling, der nicht sofort flieht. Doch, als man ihn greift, flieht er mit um so mehr Energie davon, und läßt dabei sein Kleid zurück. Eine geheimnisvolle, fast peinliche Geschichte. Man könnte sie für trivial halten. Aber wo Jesus ist, da ist nichts trivial. Im Buch des Propheten Amos hören wir, was am Tage des Gerichts geschehen wird: „Siehe, ich will’s unter euch schwanken machen, wie ein Wagen voll Garben schwankt, sodaß, wer schnell ist, nicht entfliehen noch der Starke etwas vermögen soll, und der Mächtige soll nicht sein Leben retten können. Die Bogenschützen sollen nicht standhalten, und wer schnell laufen kann, soll nicht entrinnen, und wer da reitet, soll sein Leben nicht retten, und wer unter den Starken der mannhafteste ist, soll nackt entfliehen müssen an jenem Tage, spricht der Herr.“ (Amos 2, 13-16). Er war der mutigste, und machte sich doch nackt aus dem Staub. Doch er hat sein Leben gerettet. Der Mächtigste hat sein Leben nicht in Sicherheit gebracht. – Doch beides nur in den Augen der Welt. Am Ende sah es dann umgekehrt aus.
Dann erscheint Jesus vor dem Hohen Rat. Vor den Hohenpriestern. Eigentlich war immer nur ein Hoherpriester im Amt, aber ehemalige Amtsinhaber behielten den Titel, und oft wurden sie auch hinzugezogen. Auch hier bleibt Jesus überlegen, wenn auch ganz anders, als ein Mensch das erwarten und selber erstreben würde. Seine Überlegenheit besteht darin, daß die Wahrheit auf seiner Seite bleibt, und daß diese Wahrheit in der Heiligen Schrift gründet. Die Evangelisten berichten, daß der Hohe Rat „falsche Zeugen“ bestellte. Das Urteil stand ja schon fest. Jesus sollte getötet werden (Markus 14,1). Es ging also nicht darum, die Wahrheit herauszubekommen und der Wahrheit zu dienen. Mit anderen Worten, die Zeugen waren nur noch dazu da, das Urteil scheinbar zu begründen. Welch‘ ein Widerspruch! Wenn will der Hohe Rat eigentlich beeindrucken? Für wen hält er den Schein des Rechts aufrecht? Wieder: Er scheint frei zu sein, aber er ist unfrei. Er dient seiner eigenen Unwahrheit. Jesus scheint unfrei zu sein, aber Gottes Wahrheit ist auf Seiner Seite. Er schweigt auf alle Anklagen, die ja mutwillig falsch sind. Man versucht nicht, Seine Aussage zu verstehen: „Ich werde den Tempel abreißen und in dreien Tagen wieder aufbauen.“ Man kann nicht beweisen, daß er deswegen irgend etwas unternommen hat. Nach der Wahrheit wird nicht gefragt. Die Wahrheit würde die eigene Lüge aufdecken. Jesus legt das alles in die Hand Seines Vaters. Das macht ihn überlegen.
Erst, als nach Seiner Wahrheit gefragt wird, ob er Christus, der Sohn des Allerhöchsten, sei, legt er ein klares Zeugnis ab. Ein Zeugnis, das Seinen Tod bedeutet. Endlich stimmen 72 Zeugen überein. Sie haben es gehört. Jesus bezieht Gottes geschriebenes Wort auf Seine eigene Person: „Ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.“ Das ist ein Wort aus dem Buch des Propheten Daniel. Dort wird die Abfolge der Weltreiche beschrieben. Die Weltmächte werden der Reihe nach als furchterregende Tiermonster beschrieben, doch am Ende zeigt Gott dem Propheten Daniel:
„Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, daß ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.“
(Daniel 7, 13-14).
Das Volk Israel verstand diese Worte richtig als eine Prophezeiung des Messias. Jesus sagt dem Hohen Rat: Ich bin der König im Reich Gottes. Meine Macht wird nicht aufhören, denn meine Macht ist Gottes Macht.
Das ist eine vollständige innere Freiheit und Überlegenheit. Er ist frei von dem, was er sieht: Die geballte Macht der Menschen, und frei von dem, was er fühlt: Die eigenen Bande, die eigene Ohnmacht. Der entscheidende Unterschied ist Gottes Wahrheit. Der Choral aus der JohannesPassion von Johann Sebastian Bach (aus dem Jahr 1724) besingt diese Freiheit, die Jesus mit allen teilt, die an ihn glauben:
Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn,
Ist uns die Freiheit kommen,
Dein Kerker ist der Gnadenthron,
Die Freistatt aller Frommen,
Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein,
Müßt’ unsre Knechtschaft ewig sein.
Oder, wie Jesus zu den Juden sagte, die an ihn glaubten:
„Die Wahrheit wird euch freimachen.“
Johannes 8, 32
Er ist, hat, und bringt diese Wahrheit, die frei macht.
Der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.